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      Die beiden Gardisten kamen kurz vor dem Geschöpf zum Stehen, während Chatikka sie beinahe erreicht hatte. Auch die anderen Vannbarn näherten sich ihm, aber langsamer und zögerlicher. Garawan konnte es ihnen nicht verdenken. Das Fell des Bären war gut eine große Spanne lang, wies aber unregelmäßig kahle Stellen auf, an denen gräuliches Fleisch durchschimmerte. Der Gang des Tieres war schwankend, weil seine Beine verformt waren. Keines von ihnen schien gleichlang zu sein und eines der Hinterbeine war so verwachsen, dass die Pfote beinahe nach hinten zeigte. Der Kopf sah verdreht aus, als habe jemand den Schädel halb zerdrückt.

      Als er jetzt das Maul aufriss und erneut ein durchdringendes Brüllen ausstieß, sah Garawan mehrere Reihen Zähne. Bevor der Rachen sich schloss, glaubte er eine zweite Zunge gesehen zu haben, aber vielleicht war die vorhandene auch gespalten, wie die einer Schlange. Am abstoßendsten aber waren die Augen des Wesens. Sie lagen so weit unten und seitlich im Schädel, dass sie beinahe die Winkel des aufgerissenen Mauls berührten. Auf der Stirn, fast schon auf der Wurzel der Schnauze, befand sich eine Geschwulst, die rot und eitrig erschien. Das ganze Wesen wirkte deformiert und unwirklich, tatsächlich wie ein Monster aus einem bösen Traum, das es irgendwie in die richtige Welt geschafft hatte.

      Das Bärending hob sich auf die missgestalteten Hinterbeine und öffnete das Maul zu einem neuen Schrei. Es bekam nur ein Schnaufen zustande und dann fiel es auf die Seite wie ein Betrunkener. Seine Glieder waren so verformt, dass das Tier die Fähigkeit, sich auf zwei Beine zu erheben, verloren hatte. Die Szene war mitleiderregend und abstoßend zugleich, als würde man den leprakranken Gauklern einer Jahrmarkttruppe aus der Hölle bei akrobatischen Übungen zuschauen.

      Die beiden Gardisten hatten für solche Anwandlungen keinen Sinn, sie nutzen die vermeintliche Gunst des Augenblicks und sprangen vor, um mit ihren Klingen nach dem Kopf des Bären zu schlagen. Er schien unbeholfen zu sein, verfügte aber nach wie vor über ungetrübte Reflexe. Einen Schlag wischte er mit einer einer riesigen Pfote beiseite, wobei er dem Angreifer die Waffe aus der Hand schlug. Er fing sich zwei Schläge des anderen auf Kopf und Hals ein, bevor er wieder auf allen Vieren war, doch die Hiebe durchdrangen das Fell kaum.

      Seine Pranke hingegen zuckte vor und traf den Mann so heftig am Kopf, dass er ihm beinahe den Schädel vom Hals riss. Während der Getroffene leblos zu Boden geschleudert wurde, griff der andere erneut an und rammte sein Schwert in die Seite des Tieres. Die Klinge drang in den Körper des Bären, doch der fuhr so schnell herum, dass die Waffe erneut aus den Händen des Gardisten glitt. Die Krallen des Bären trafen den Lederwams unter der Brust und rissen ihn mitsamt dem Bauch auf voller Länge auf. Der Unglückliche stieß einen kurzen, markerschütternden Schrei aus und brach zusammen.

      Von hinten näherten sich zögerlich einige Männer und Frauen mit Holzfälleräxten. Chatikka hatte den Bären jetzt erreicht und schrie ihn an, um ihn von dem schwer verletzten Gardisten abzulenken. Sie hatte ihre Waffe gezogen, ein schweres Bastardschwert mit einer Klinge aus Nordstahl, dem Besten, das die Schmiede von Norselund zu fertigen verstanden. Davon abgesehen trug sie nur hohe Lederstiefel, ebensolche Handschuhe und einfache Wolle unter einem Klabauterfellmantel. Ihr Körper war ungeschützt, doch ihre Haltung schien so entspannt wie bei einem Trainingskampf. Die Bewegungen geschmeidig wie die einer alten Katze, ihr Blick starr auf die Schultern der Bestie gerichtet. Das Muskelspiel dort verriet ihr den Schlag einen Wimpernschlag, bevor die Krallen des Bären die Luft dort zerrissen, wo sich eben noch ihre Brust befunden hatte.

      Sie glitt zur Seite und schwang das Schwert einhändig mit der Rechten, ein furchtbarer Rückhandschlag, in den sie all ihre Kraft und ihr Körpergewicht legte. Die Klinge wurde durch das dicke, zottige Fell abgebremst, aber sie drang dennoch tief ins Fleisch des Geschöpfes, das in Wut und Schmerz aufbrüllte. Sofort drang Blut aus der Wunde, das beinahe schwarz wirkte und ein übelkeiterregender Geruch erfüllte die Luft, der an verwestes Fleisch erinnerte. Außer sich, scheinbar mehr vor Wut denn vor Schmerz, hieb das Tier mehrere Male wild in die Luft, dann kauerte es sich zusammen und fixierte die Lady av Vestrgadda. Die bewegte sich langsam zur Seite und Garawan erkannte, dass sie das Tier damit ein Stück von dem Gardisten mit der zerfetzten Bauchdecke weglockte.

      Der Mann hatte die Arme vor den Leib gepresst und atmete keuchend und flach. Der andere lag mit zertrümmertem Schädel tot am Boden, keine Mannslänge von dem ersten Opfer der Bestie entfernt. Garawan humpelte einige schnelle Schritte vor und ließ sich stöhnend neben dem Überlebenden nieder. Er musste darauf vertrauen, das Chatikka ihn deckte und mit dem Tier fertig wurde. So schob er seine Angst um sie resolut beiseite und legte eine knochige, klauenartige Hand auf die Brust des Sterbenden. Seine Augen waren schon glasig und er schien nicht mehr mitzubekommen, was um ihn herum geschah. Auch der Griff seiner Hände löste sich bereits von seinem aufgeschlitzten Unterkörper. Garawan sah, wie zwischen all dem Blut die Gedärme nach außen quollen.

      Er griff mit der Routine vieler Dekaden nach der Macht, welche die Welt um ihn herum durchfloss. Dass es sich jetzt um eine andere handelte, als er gewohnt war, spielte dabei für ihn keine Rolle. Er hatte sich zeit seines Lebens nur der Magie bedient, die vom Muttersee aus durch den Stein seiner alten Heimat geflossen war. Und doch spürte er nun, wo er seine Kraft aus dem Fluss der Macht bezog, der durch die Bäume und die Erde floss, keine Spur von Fremdartigkeit oder Unbehagen. Im Gegenteil erschien ihm diese Form der Magie so vertraut und natürlich, als wäre er ihr seit einer Ewigkeit mit ihr verbunden. Und vielleicht stimmte das in gewisser Weise sogar, war doch seine Lehre die Gleiche wie die der Druiden, die über tausende von Jahren die Geschicke von Norselund gelenkt hatten. Als Weise, Berater, Richter und Heiler.

      Er lenkte die Kraft mühelos und rasch. Der Wald um ihn herum war so voll von unverbrauchter, reiner Kraft, dass die Magie beinahe ohne sein Zutun in die Formen floss, die er ihr gebot. Er hörte ein leises Stöhnen, als das Bewusstsein des Mannes unter seinen Fingern schwand. Sein Atem wurde tiefer und ruhiger, sein Herzschlag langsamer und jeder Muskel in seinem verkrampften, noch vor Sekunden sterbenden Leib entspannte sich.

      Er löste die Hand im gleichen Moment von dem blutigen Körper, als er aufsah. Genau in dem Moment stieß sich die missgestaltete Bestie mit den verformten Hinterbeinen ab und sprang Chatikka an wie eine monströse Katze. Die Wächterin hatte den Sprung kommen sehen und unterlief ihn, rammte das Bastardschwert mit beiden Händen in die Bewegung des Angreifers. Die Wucht des schweren Körpers riss ihr die Waffe aus den Händen und ihren Körper mit einem brutalen Aufschlag zu Boden, doch sie war sofort wieder auf den Beinen. Ihr Blick zuckte kurz zu Garawan hinüber und er sah, dass die Kriegerin völlig gefasst und konzentriert war. Keine Spur von Aufregung, Angst oder Panik.

      Mit einem Satz war sie bei der Waffe des gefallenen Gardisten und hob sie vom Boden auf. Ihr eigenes Schwert war unter dem zuckenden Körper der Bestie begraben. Oder vielmehr darin, denn der Aufprall musste die Klinge auf voller Länge in den Leib des Tieres getrieben haben. Vorsichtig aber zielstrebig trat sie vor und trieb die Spitze der Waffe seitlich unter die Schulter des Bärendings. Der mächtige Körper wurde von einem letzten Zittern durchlaufen. Dann rollte er mit einem feuchten Schnaufen, in dem Garawan so etwas wie Erleichterung zu hören glaubte, zur Seite und lag still.

      Mühsam kam er auf die Beine und humpelte zu der Kriegerin. Chatikka stand aufrecht da, die Hände in die Hüften gestemmt und betrachtete den Kadaver. Sie atmete tief aber ruhig durch die Nase, ihr Blick war sorgenvoll.

      »Alles in Ordnung mit euch, alter Freund?«, wollte sie wissen.

      »Aye«, nickte er und stützte sich auf seinen Stab, nachdem er keine Armeslänge neben ihr zum Stehen gekommen war. »Der Mann wird es überleben, aber sein Bauch wird Wochen brauchen, bis er wieder richtig heil ist. Und ich fürchte, dass er nie wieder ganz gesunden wird. Als Krieger haben wir ihn verloren.«

      »Die anderen beiden haben mehr verloren«, sagte Chatikka düster. »Wir müssen in Zukunft sorgfältiger auf unsere Leute achtgeben. Jedes Leben ist jetzt zehnfach so kostbar wie zuvor, so wenige, wie nur noch übrig sind. Und wenn in den umliegenden Wäldern noch mehr von denen da sind, dann haben wir es mit einem Übel zu tun, das nicht geringer ist als das der Schattenfresser.«

      »Wir müssen dem Jarl davon berichten«, sagte er. »Das ist etwas anderes als das Wild. Das erste Raubtier, das wir auf diese Weise verdorben gesehen haben. Es entstellt sie nicht

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