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Winterwahn. Wolfe Eldritch
Читать онлайн.Название Winterwahn
Год выпуска 0
isbn 9783742779588
Автор произведения Wolfe Eldritch
Жанр Языкознание
Серия Weltengrau
Издательство Bookwire
Aber wer mag das schon wissen? Für eine echte Panik ist das alles zu vage, aber in Aufregung sind viele Leute hier, das kann ich dir sagen. Vor allem, weil niemand weiß, was diese Horde von Irren hierher getrieben hat. Vielleicht ja genau die Seuche, die sie letztendlich alle hat verrecken lassen. Was, wenn in ihren Dschungeln gerade überall so eine Krankheit wütet? Das kann nur ein großer Stamm gewesen sein. Wo die sind, sind vielleicht noch mehr. Jeden Moment kann die nächste Welle von denen heranspülen, und das macht mir persönlich viel mehr Sorgen als irgendeine Seuche.«
Er zuckte mit den feisten Schultern, was seinen speckigen Oberkörper hüpfen ließ. »Aber was soll es, das Geschäft muss weitergehen. Was bringst du mir Schönes?«
»Das Übliche«, erwiderte Shaya geistesabwesend.
»Zumeist Stoffe, aber auch Eisenwerkzeuge und ein paar andere Dinge. Warum schaust du dich nicht einfach an Bord um? Ich möchte einen Moment am Kai entlanggehen und mir die Beine vertreten. Treffen wir uns in einer Stunde bei dir in der Handelsstube?«
Pultiko nickte und grinste, dann machte er sich in seinem Watschelgang auf den Weg zur Windpeitsche. Er schien hocherfreut darüber zu sein, dass sie ihm so viel Vertrauen entgegenbrachte, ihn zum ersten Mal auf das Schiff zu lassen. Und dazu noch, ohne darauf zu bestehen, ihn zu begleiten. Sie suchte mit den Augen das Deck ab, bis sie den Mann gefunden hatte, der so etwas wie der erste Maat war. Er schaute in die Richtung, aus welcher der fette Händler auf das Schiff zukam, und erwiderte dann ihren Blick. Sie machte mit der Hand ein Zeichen und nickte, dann wandte sie sich ab und schritt langsam den Kai entlang.
Die Namenlosen waren tot. Alle vergangen, wie Okatoh, Kanao und die anderen Dorfbewohner. Wie die Männer, die sie verstümmelt und geschändet hatten. Jetzt war das letzte imaginäre Band, das sie noch mit ihrem alten Leben und dem Festland verbunden hatte, durchtrennt.
Die Erleichterung, die sie zu spüren gehofft hatte, blieb jedoch aus. Sie fühlte nicht mehr als eine schale Genugtuung. Die Bedrohung für Umbrahope und ganz Umbrakali, die aus dem Süden drohte, berührte sie kaum. Die Stadt war für die Flotte wichtig um Beute umzuschlagen und zu handeln, aber auch das war ihr gleichgültig. Schanga, die in der ersten Zeit nach ihrem Erwachen aus ihrem komaartigen Heilschlaf ihre engste Bezugsperson gewesen war, entfremdete sich mit jeder Woche mehr von ihr. Aber nicht nur von ihr, und das war es, was ihr wirklich Sorgen machte.
Die Königin der Piraten schlief schlecht und träumte offenbar grauenvolle Dinge, die sie auch im wachen Zustand heimsuchten. Irgendetwas schien ihren Geist mehr und mehr zu verwirren, und mehr als einmal hatte Shaya sie dabei ertappt, wie sie Dinge vor sich hinmurmelte. Als spräche wie mit unsichtbaren Stimmen, wobei sie allerdings eine Sprache verwendete, die Shaya noch nie gehört hatte. Diese Vorgänge empfand sie als beängstigender, als jede Seuche oder Horde aus dem Süden es sein konnte. Sie hatte behutsam mit Belandros darüber gesprochen und er teilte ihre Sorge. Dem Eunuchen begann Shaya in gleichem Maße mehr Vertrauen zu schenken, wie Schanga ihr entglitt. Sie fragte sich gelegentlich, ob diese Entwicklungen zusammenhingen. Traute sie ihm nur, weil sie Angst hatte, mit Schanga ihre einzige Bezugsperson zu verlieren? Brauchte sie nach allem, was sie erlebt hatte, immer noch einen Ersatz für ihren Onkel? Aber was, zum Schaitan, spielte das schon für eine Rolle. Ihr Leben bestand ohnehin nur noch aus dem Überleben von Tag zu Tag.
Außerdem bedurfte sie aus ganz realen und greifbaren Gründen wenigstens eines Verbündeten. Wenn Schanga tatsächlich den Verstand, und damit früher oder später unausweichlich die Kontrolle über die Flotte verlor, war Shaya ohne Fürsprecher nicht mehr als Fischfutter. Und das war noch die gnädigere Aussicht. Sie konnte ebenso gut als Spielzeug für die Mannschaften enden. Bevor es so weit kam, würde sie sich allerdings die Kehle durchschneiden oder, wenn es sein musste, die Pulsadern aufbeißen. Belandros war außer ihr der einzige Mensch, welcher der Piratenkönigin nahe genug stand, um ihren Zustand einschätzen zu können. Wenn es wirklich zum Schlimmsten kam, würden sie vielleicht rechtzeitig reagieren und sich mit einem Schiff vom Rest der Flotte absetzen können.
Sie konnte sich durchaus ein Leben als Händler an der Seite des Mannes vorstellen. Er war intelligent, freundlich und als Eunuch für sie völlig ungefährlich. Nicht, dass noch ein Mann bei klarem Verstand an ihr interessiert wäre. Nicht mit diesem zerhackten Gesicht. Immerhin den einen Vorteil hatte ihre Verstümmelung. Sie mochte sich vor dem eigenen Aussehen ekeln, aber zum Glück taten das alle anderen auch. In gewisser Weise versöhnte diese Reaktion anderer Leute sie ein wenig mit ihrem neuen Aussehen. Die Narbenmaske hielt ihr die Menschen vom Leibe, derer sie müde geworden war.
In derlei Gedanken versunken merkte sie kaum, wie sie den Bereich des Kais verließ. Als es ihr doch auffiel, hielt sie inne und schaute sich um. Hier war es etwas ruhiger und ihre Augen trafen die einer Frau, die sich im selben Moment umdrehte und zu ihr hinübersah. Sie zog einige Amphoren aus Ton auf einem kleinen Handwagen hinter sich her und war auf dem Weg zu den Tavernen und Gasthäusern des nördlichen Hafenviertels.
Sie hatte dunkelblondes, gelocktes Haar und einen so helle Haut, dass sie beinahe wirkte, wie aus Elfenbein geschnitzt. Wie eine grobe Arbeit allerdings, denn schön war sie nicht eben. Dennoch traf der Blick ihrer hellen Augen Shaya wie ein Blitzschlag. Ihr Magen senkte sich spürbar ab und ihr brach der Schweiß aus. Das letzte Mal, als sie diese Frau gesehen hatte, war am Tag gewesen, als die Hurenfänger sie verschleppt hatten. Es war Claire, das Weib von Hunatan dem Wirt. In dessen Gasthaus »Zum toten Vogel« hatte sie das letzte Mal wie ein echter Mensch gegessen, mit jemand anderem als blutrünstigen Piraten gesprochen und in einem richtigen Bett gelegen. Sie war einen Moment lang wie versteinert und wusste nicht, wie sie auf die nur zwanzig Schritte entfernte Frau reagieren sollte.
Plötzlich spülte eine Welle aus Angst und Scham über sie hinweg. Sie dachte an das, was sie getan hatte, seit sie unter dem Dach dieser Menschen geschlafen hatte. Die Überfälle auf die Handelsschiffe, all die Morde und blutigen Rituale, an denen sie schließlich selbst teilgenommen hatte, kamen ihr in den Sinn. Die meisten der Piraten waren selbst Namenlose und im Grund kein Stück besser als die Horde, die das Umland von Umbrahope verheert hatte. Sie selbst war genau genommen nichts anderes mehr als dieser geistlose, mörderische Abschaum, den sie so sehr hasste.
Dann sah sie, wie Claire angeekelt den Mund verzog und hastig den Blick von der Ruine ihres Gesichtes abwand. Sie fasste den Griff des Handwagens fester und machte sich, so schnell, wie sie es mit dem Gewicht hinter sich vermochte, auf den Weg zu den Gasthäusern. Shaya starrte ihr hinterher, aber die immer kleiner werdende Gestalt drehte sich nicht mehr um, bevor sie in der Menschenmenge verschwand.
Sie wandte sich wie benommen ab und ging langsam zurück zur Windpeitsche. Die Lust, ein wenig an den Docks herumzustreifen, war ihr vergangen. Claire hatte sie nicht erkannt. Die unscheinbare aber herzensgute Frau hatte sie so gesehen, wie sie jetzt wirklich war. Ein mageres, zerlumptes Ding mit einer schrecklichen Narbenmaske dort, wo ein Gesicht sein sollte. Ein Geschöpf der See, von dem man sich besser fernhielt. Sie spürte, wie ihr eine Träne über die Wange lief, und wischte sie ärgerlich weg. Ihre Finger glitten dabei über die tiefen Kerben in ihrem Fleisch und eine neuerliche Welle von Ekel und Selbsthass spülte über sie hinweg.
Nicht zum ersten Mal wünschte sie sich stumm, Belandros hätte sie an jenem Tag einfach in der Gosse verbluten lassen.
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