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Winterwahn. Wolfe Eldritch
Читать онлайн.Название Winterwahn
Год выпуска 0
isbn 9783742779588
Автор произведения Wolfe Eldritch
Жанр Языкознание
Серия Weltengrau
Издательство Bookwire
Wie es schien, war Shaya dieses Kunststück gelungen, denn heute würde sie den dicken Pultiko zum dritten Mal treffen. Er war ein widerlicher Kerl, wenn sie je einen gesehen hatte, aber er war recht umgänglich und genoss im Hafen einiges an Ansehen. Nicht umsonst hatte Belandros sie als Erstes mit ihm zusammengebracht. Der findige Eunuch hatte sich in den letzten Wochen im Hafen rargemacht und würde die Stadt erst im nächsten Jahr wieder besuchen. Die Flotte war ohnehin gut versorgt, und wenn Shaya jetzt diese Ladung gelöscht hatte, waren sie alles losgeworden, was sie an leicht versetzbarer Beute übrig hatten. Ausnahmen bildeten brisantere Handelsgüter wie Waffen, Rüstungsteile und von den Gefallenen erbeuteter Schmuck. Diese Dinge würde Belandros im nächsten Jahr verkaufen. Nach all den Jahren kannte er genug Leute in Umbrahope, um derartige Ware gefahrlos loszuwerden.
Shaya sprang vom Deck der Windpeitsche und hob lässig einen Arm, um den unförmigen Mann zu begrüßen, der sie am Kai bereits erwartete. Sie trug dünne, kurze Leinenschuhe, ebensolche Hosen und ein ärmelloses Oberteil. Die Luft war feucht, grau und schwer. Der Geruch der Stadt, der tausenden von Menschen, die hier lebten und arbeiteten, drang an ihre Nase und sie musste für einen Moment gegen aufkommenden Ekel ankämpfen. Noch vor einigen Monaten hätte sie das als exotisch und würzig wahrgenommen, jetzt empfand sie es einfach nur als penetranten Gestank. Genau wie ihr die Luft schwer und schlecht vorkam, nachdem sie sich daran gewöhnt hatte, ihr Leben auf dem Meer zu verbringen. Es hatte eine Zeit gegeben, da war ihr die Stadt für sie aufregend und geheimnisvoll gewesen. Jetzt erschien ihr Umbrahope als widerlich und erdrückend.
Pultiko kam in dem für ihn üblichen, leicht watschelnden Gang einer hochschwangeren Frau auf sie zu. Er hob die Hand zum Gruß und lächelte über sein speckiges Gesicht, was seine ohnehin schon kleinen Augen beinahe völlig verschwinden ließ. Er mochte ein hässlicher und ungeschlachter Kerl sein, aber unsensibel war er nicht. Vermutlich musste man in seinem Geschäft eine gewisse Empathiefähigkeit entwickeln, wenn man erfolgreich sein wollte. Oder überleben. Besonders, wenn man so wenig respekteinflößend aussah wie er. Er hatte nie auch nur den Versuch unternommen ihr die Hand zu reichen und achtete auch sonst peinlich darauf, sie in keiner Weise zu berühren. Er schwitze so stark, dass es aussah, als habe man ihn mit einem Eimer Öl übergossen. Sein unförmiger Körper steckte in einem sackartigen, knielangen Gewand aus blauer Seide, seine ungeschlachten Füße in Ledersandalen.
Er schien allein zu sein, doch Shaya erkannte inzwischen seine Leibwächter, die sich unauffällig in der Nähe herumdrückten. Er befand sich stets in Begleitung von drei oder vier Männern, die sich dezent im Hintergrund hielten. Es handelte sich ausnahmslos um Umbrahato von so dunkler Hautfarbe, dass sie beinahe wie aus Ebenholz geschnitzt wirkten. Shaya merkte sofort, dass Pultiko aufgeregt war und spürte, wie sich ihr Rücken verspannte. Sie misstraute dem Mann nicht sonderlich, nicht mehr als jedem anderen, aber die kleinste Änderung der Routine machte sie angesichts dieser hektischen, unberechenbaren Umgebung nervös. Ihr Körper hatte sich von dem Schrecken der Vergangenheit erholt, ihre Nerven hingegen würden es nie ganz tun. Eine Entwicklung, die sie durchaus begrüßte. Bedeutete sie doch, dass sie nicht noch einmal so leichtfertig und naiv in eine Gefahr hineinlaufen würde wie in jene, die sie das Gesicht gekostet hatte. Sie zog die rechte Augenbraue hoch, diejenige, die nur noch ein Stück vernarbtes, haarloses Fleisch war.
»Du wirkst aufgekratzt. Bist du so neugierig auf meine Waren oder ist etwas passiert?«, wollte sie wissen. Sie benutzte nicht das Kauderwelsch aus Dialekten, das in der Stadt üblich war, sondern die Sprache der einfachen Stämme, mit der sie aufgewachsen war. Sie wusste, dass der Mann sie fließend beherrschte und es ihm irgendwie zu schmeicheln schien, wenn sie sich auf diese Weise unterhielten.
»Das kann man wohl sagen«, antwortete der Händler mit seiner melodiösen Altstimme. Sie war das Einzige an ihm, das schön war. Wenn man die Augen schloss, konnte man sich einen hübschen Jüngling von vielleicht fünfundzwanzig Sommern mit dieser Stimme vorstellen. »Die Sache mit den Namenlosen, über die wir gesprochen haben. Sie sind tatsächlich aufgetaucht. Ein letztes Mal, sozusagen.«
Shaya hielt inne und fixierte den Blick des Mannes. Sie hatte ihm erzählt, dass sie damals kurz nach dem Überfall der wilden Horde von Namenlosen auf Umbrahope in der Stadt angekommen war. Auch von dem zerstörten Dorf, in dem ihr Onkel aufgewachsen war, hatte sie ihm berichtet. Die Umstände, die sie auf die See getrieben hatten, verschwieg sie freilich. Zuerst hatte sie sich einreden wollen, dass ihr altes Leben endgültig hinter ihr lag und sie kein Interesse mehr an den Belangen des Festlandes hatte. Doch auch wenn sie jetzt tatsächlich ein Geschöpf des Meeres und der Piratenflotte war, gingen ihr die Bilder des zerstörten Dorfes und des blindwütigen Ansturms der Namenlosen nicht aus dem Kopf. Sie konnte den gehäuteten Häuptling und das Mädchen ohne Arme ebenso wenig aus ihren Alpträumen verjagen, wie die Frauen und Kinder der wilden Menschen aus dem Süden, die sich an den Wällen von Umbrahato in den Tod stürzten.
So hatte sie vorsichtig ihr Interesse an diesen Dingen bekundet und den fetten Händler gebeten, seine Ohren offenzuhalten und ihr zu berichten, wenn er etwas über den Verbleib der Namenlosen erfuhr. Damals war die Horde zwar blutig zurückgeschlagen worden, doch Hunderte, wenn nicht Tausende, waren geflohen. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, ihnen zu folgen. Eine Entscheidung, die, wie sie inzwischen wusste, beinahe einem Dutzend weiterer Dörfer die Vernichtung gebracht hatte. Das letzte Mal, als sie in Umbrahope gewesen war, hatte Pultiko ihr berichtet, dass die Fremden offenbar ein Dorf nach dem anderen überfielen. Sie nahmen die Bewohner gefangen, raubten das Vieh und die Vorräte und brannten alles nieder. Dann zogen sie zur nächsten Siedlung weiter, immer auf der Suche nach neuen Tieren und Menschen, die ihnen als Proviant dienten. Welches Ziel sie hatten, oder ob es überhaupt eines gab, wusste niemand.
»Erzähl mir davon«, sagte sie einfach und ging rasch einige Schritte von der Anlegestelle in Richtung Hafen. An einem Poller am Rand des Kais hielt sie inne, lehnte sich mit dem Rücken dagegen und verschränkte die Arme vor dem Körper. Der schwerfällige Händler folgte ihr und kam schnaufend vor ihr zum Stehen. Sie befanden sich hier ein kleines Stück abseits der Laufwege der Seeleute, weit genug, um in dem Geräuschpegel, der hier herrschte, ungestört zu sein. Inmitten des Treibens der Schauerleute, Matrosen und Händler waren sie hier mehr unter sich, als es in einer Taverne oder beengten Händlerstube der Fall gewesen wäre.
Shaya wusste nicht so recht, warum der dicke Mann Interesse an ihr hatte. Sie vermutete, dass sie durch ihre Jugend und ihr schreckliches Gesicht eine Mischung aus Neugier und Mitleid in ihm hervorrief. Sorgen machte sie sich wegen seiner merkwürdigen Zuneigung jedenfalls nicht, laut Belandros beschränkte sich das einzige sexuelle Interesse, über das Pultiko verfügte, auf Männer jenseits der Vierzig.
»Es gibt seit drei Wochen einen neuen Kommandanten im nördlichen Hafenviertel«, begann der Händler, wobei er sich mit einem Seidentuch den Schweiß von der Stirn wischte. Ein sinnloses Unterfangen, denn es bildete sich sofort frischer und floss in Bächen über seine Schläfen. »Irgendein Baron oder Sohn eines Barons, so etwas in der Art aus dem Kontinent über dem Meer. Gerade dreißig Jahre alt, ein ziemlich finsterer Geselle, so sagt man. Hat von Anfang an Druck auf die Gilden gemacht und innerhalb von zehn Tagen genug Ausrüstung und Leute zusammenbekommen, um eine Strafexpedition zusammenzustellen. Also das zu tun, was dieses faule, gleichgültige Pack von Anfang an hätte tun sollen. Anstatt auf ihren Ärschen zu sitzen, den Wall auszubessern und zuzuschauen, wie das Ungeziefer aus dem Süden die umliegenden Dörfer verheert.«
Er hielt einen Moment lang schnaufend inne, um wieder zu Atem zu kommen. Shaya beobachtete ihn aufmerksam. Es war das erste Mal, dass sie ihn so erregt erlebte. Für gewöhnlich bedachte er seine Umgebung mit lethargischem Sarkasmus. Sie argwöhnte, dass er den örtlichen Dialekt der Dörfer möglicherweise