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erklang die schneidende Stimme des Jungen.

      Diesmal blieb der Angesprochene stumm. Ein einzelner Blutstropfen quoll unter der Spitze des Messers hervor, dann ging ein Zittern durch den Arm, der die Waffe hielt. Noch immer hielten die beiden Männer Augenkontakt. Ein Moment völliger Lautlosigkeit entstand, der sich immer weiter ausdehnte. Als die die anderen Halunken gerade unruhig zu werden begannen, trat der Junge einen Schritt zurück, hob das Messer und zog die Klinge schwungvoll und mit großer Kraft durch seine linke Halshälfte. Sofort schoss eine Blutfontäne aus der klaffenden Wunde in die Kühle Herbstluft und die Beine des Mannes knickten praktisch im selben Moment ein. Louanne hörte die entsetzten Laute, welche die anderen Männer ausstießen, und riss die Augen auf. Dann ging alles unglaublich schnell.

      Die vorgeblich sterbende Ziege sprang auf, rannte auf einen der Männer zu und rammte ihn mit dem Kopf so hart gegen den Oberkörper, dass der Brustkorb nach innen klappte. Der Getroffene wurde mehrere Schritte weit durch die Luft geschleudert und war tot, bevor er den Boden berührte. Zu Louannes Entsetzen zerfloss das gehörnte Tier daraufhin in der Luft, als bestünde sie aus zähem, schwarzen Wasser. Ihr Blick zuckte zu dem Greis, der beide Hände gehoben hatte und jetzt ruckartig in die Luft vor sich griff. Die Köpfe der beiden Männer, die ihr am nächsten standen, wurden so heftig herumgerissen, dass die Haut an ihren Hälsen aufplatzte. Das doppelte Krachen ihrer brechenden Knochen ging ihr durch und durch.

      Sie hörte einen Mann kreischen wie ein kleines Kind, als die verformte schwarze Masse, die noch vor einem Wimpernschlag eine Ziege gewesen war, ihn erreichte. Es schien, als forme sich eine neue, ebenfalls vierbeinige Gestalt daraus, aber noch war unmöglich zu erkennen, um was es sich dabei handelte. Ein Teil des Gebildes, dass der neue Kopf werden mochte, traf auf den Mann und sofort quoll eine unglaubliche Menge Blut aus seinem Bauch. Er brach unter dem unförmigen schwarzen Angreifer zusammen und hörte auf zu schreien, als seine Innereien über die Straße verteilt wurden.

      Sie hörte jetzt ein leises, unverständliches Murmeln und drehte erneut den Kopf. Der Greis murmelte irgendetwas und machte eine wegwerfende Bewegung mit der Rechten, woraufhin einer der Söldner die Hände vors Gesicht schlug und zusammenbrach. Louanne sah noch, wie ein Schwall Blut zwischen seinen Fingern hervorspritzte, dann knickten seine Beine ein. Zwei weitere Männer hatten ihre Waffen gezogen und waren jetzt bei dem Alten. Der Letzte von ihnen hatte noch auf dem Pferd gesessen, das er jetzt antrieb, um zu fliehen. Offenbar hatte er kein Interesse am Ausgang dieses Kampfes. Louanne erkannte rasch, dass er mit dieser Einschätzung richtig gelegen hatte.

      Einer der Männer hieb mit dem Schwert zum Kopf des Greises, doch dieser wischte den Schlag mit der bloßen Hand beiseite, als wäre es der Hieb eines ungezogenen Kindes mit einer Weidenrute. Gleichzeitig machte er einen Schritt nach vorn und hämmerte dem Angreifer den Handballen der anderen Hand mit so großer Wucht gegen den Kopf, dass er sich beinahe rückwärts überschlug, bevor er reglos liegenblieb. Der zweite Mann stieß nach dem Bauch des Greises, der mit Bewegungen auswich, welche die eines jungen Mannes waren. Ein Rückhandschlag traf den Söldner so hart seitlich am Kopf, dass der Schädel beinahe vom Rumpf gerissen wurde.

      Das, was einmal eine große schwarze Ziege gewesen war, rannte in gestrecktem Lauf hinter dem letzten, fliehenden Söldner her, der sein Pferd wie verrückt antrieb. Es war noch immer schwarz wie die Nacht, ungewöhnlich groß und zottig. Nur schien es jetzt ein Hund zu sein. Es war unglaublich schnell, aber das Pferd wurde unbarmherzig angetrieben und schien selbst halb wahnsinnig vor Angst zu sein. Es blieb eine Länge vor dem riesigen Verfolger, bis der Greis in Richtung des Fliehenden zeigte und erneut etwas murmelte. Plötzlich hielt das Pferd an, so ruckartig, dass sein Reiter aus dem Sattel geschleudert wurde und hart auf der Straße aufschlug. Louanne hörte seine Schreie, die schlagartig verstummten, als die schwarze Bestie ihn erreichte und zerriss wie einen frisch geschlagenen Hasen.

      Zitternd schaute sie zu dem Greis, der nun mit einem Lächeln auf den Zügen zu ihr kam. Nur, dass er kein Greis mehr war. Er war noch immer hochgewachsen, aber nicht mehr so klapperdürr, wie sie ihn gekannt hatte. Auch wirkte er geradezu hünenhaft, weil er nicht mehr in der gebückten Haltung eines betagten Mannes ging. Er bewegte sich überhaupt nicht mehr wie ein alter Mann, sondern kam mit geschmeidigen Schritten auf sie zu. Sein Gesicht zeigte noch immer tiefe Falten um die Augen den Mund, soweit man das unter dem Bart erkennen konnte. Doch jetzt wirkte er nicht älter als vierzig und strahle eine beinahe unheimliche Vitalität aus. Ihr Blick war von seinen Augen gefangen, die so grau waren wie der Himmel an einem regnerischen Tag.

      Sie haben die gleiche Farbe wie die der Ziege, dachte sie zusammenhanglos, dann war er bei ihr. Er lächelte, während er seine behandschuhte Hand vor ihr Gesicht hob. Sie verspürte keine Frucht, als er seine Fingerspitzen sanft auf ihre Stirn legte. So wie seine Hand ihr Gesicht hinabglitt, so glitt sie selbst in die Dunkelheit. Er riecht nach verwelkten Rosen, war das Letzte, was sie in ihrem kurzem Leben dachte, bevor sie starb.

      Der zottige Hund trabte mit blutverschmierter Schnauze die Straße entlang auf die verstreut am Boden liegenden Leichen zu. Der dunkle Mann schaute ihm entgegen, dann suchte er sich das kräftigste Pferd aus und schwang sich in den abgenutzten Sattel.

      »So viel zu unserem Ansinnen, unauffällig zu reisen«, sagte er zu der Bestie. Seine Stimme hatte nichts mehr mit der des Greises gemeinsam. Sie war so dunkel wie das Grollen eines Sommergewitters und so kalt wie ein Schneesturm im Dezember. Er stieß dem Pferd mit den Hacken sanft in die Seiten und es trabte an.

      Im Stillen verfluchte sich Darane für seine Vorsicht. Offenbar wollte es das Schicksal, dass sein Rückweg nach Norselund ein steiniger wurde. Er glaubte nicht an Dinge wie Schicksal, aber es konnte nicht schaden, sich einen gescheiterten Plan einzugestehen. Dies war nach einer Patrouille aus Tempelrittern und Priestern sowie einem Trupp Soldaten eines Barons der Südmark die dritte Unterbrechung seines Weges dieser Art gewesen. Von jetzt an würde er auf Geschwindigkeit setzen, anstatt auf Unauffälligkeit. Das Jahr schritt voran und er spürte das Unheil im Norden, das seine Anwesenheit erforderlich machte.

      5. Kapitel 4

       Vestrgadda, Osten von Ulfrskógr

      Der Wind, der unablässig von Norden heranstob, zerrte an Garawan ith Ciaras Kleidung. Er war in mehrere Lagen Wolle gehüllt und trug einen dicken, gefütterten Kapuzenmantel. Dennoch fror er, obwohl das Klabauterfell die größte Kälte noch eine Weile von seinem ausgemergelten, verdorrten Körper fernhielt und er die Kapuze bis tief in die Stirn gezogen hatte. Kaum etwas von seiner runzligen Haut war der Luft ungeschützt ausgesetzt. Frieren tat er trotzdem ständig, selbst in seinem geheizten Haus. Vermutlich kam die Kälte von innen, verlosch sein Körper langsam, wie der Muttersee unter dem Berg es tat. Alt, verbraucht und ausgebrannt. Der schwindenden Kraft zum Trotz kostete es ihn keine Überwindung, sich der zunehmend eisigen Witterung auszusetzen.

      Sein Körper mochte verbraucht sein, sein Geist war es nicht und würde es wohl auch nie sein. Die Neugier auf das Unbekannte und die Faszination des Neuen trieb ihn an wie eh und je. Das galt für Nemunadej, die neue Heimat der Vannbarn, und das galt erst recht für den alten Wald, an dessen Rand er sich jetzt befand. Der Bau der Siedlung war nahezu abgeschlossen. Keinen Tag zu früh, denn wie sie vor Kurzem erfahren hatten, war sie alles, was ihrem Volk geblieben war. Trotz der Bestürzung über die Katastrophe, welche die Welt unter dem Berg ereilt hatte, in der er so viele Jahre verbracht hatte, konnte er sich an dem Neuen erfreuen. Mehr als die Stadt selbst aber zog ihn der Wald an.

      Die uralten, mächtigen Bäume des Vestrgadda erhoben sich vor ihm gen Himmel wie eine lebendige Wand. Das kühle Dunkelgrün der Nadelhölzer wurde immer wieder durch die kahlen Stämme und Äste der Eiseneichen unterbrochen. Kiefern und Tannen gab es in dem großen, alten Wald überall. Tiefer im Waldesinneren im Osten gab es Flächen, die von Birken dominiert wurden, weiter im Süden ersetzen Buchen die Eichen, die hier als Laubbaum vorherrschend waren. Über ihnen zerwühlte der Wind stahlgraue Wolkenmeere, die tief über dem Land flossen und dem Firmament so ein wenig von der Weite nahmen, welche für die Vannbarn so ungewohnt war.

      Für Garawan waren die Bäume ein noch größeres Wunder, als sie es für die Angehörigen seines Volkes ohnehin schon darstellten. Die Vannbarn, die jetzt hier lebten,

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