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bin ich ganz gut zu Fuß. Und überhaupt nur ein bisschen zittrig, aber ich kann nicht mehr richtig Essen. Irgendwas ist mit meinem verdammten alten Magen nicht in Ordnung. Hat letztes Jahr irgendwann angefangen, glaube ich. Oder war es vor zwei Jahren? Na, ist ja auch egal. Jedenfalls merke ich, dass ich langsam schwächer werde. Und ich bin vielleicht ein bisschen senil, aber ich bin nicht dumm. Ich weiß, dass ich nicht mehr besonders lange zu leben habe. Das ist auch in Ordnung, denn ich bin schon sehr, sehr alt. Trotzdem würde ich den Zeitpunkt meines Abtretens gerne noch ein wenig hinauszögern. Und nicht unbedingt allein sterben. Sapinbois ist ein elendes Loch, kaum mehr als ein paar Dutzend Bauernhöfe. Petit-Ruisseau ist die nächste größere Stadt, oder jedenfalls die Einzige, die ich kenne.«

      »Dann müsst ihr also Geld dabei haben«, sagte Louis. »Damit in eurem Alter schutzlos über so viele Landmeilen zu reisen, kann das Leben genauso verkürzen, wie die schlimmste Krankheit.«

      »Meint ihr, dass Wegelagerer so tief im Reich unseres geliebten Königs eine Gefahr darstellen?«, gab der Greis zurück. »Ich weiß gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal davon gehört habe, dass jemand hier in der Gegend überfallen worden ist. Das muss in den Jahren nach dem Grau gewesen sein, als alle halb verhungert waren. Aber ansonsten haben die Menschen hier genug, um nicht zu hungern und gleichzeitig eben auch nicht viel mehr, das sich zu stehlen lohnen würde. Eine recht gesunde Situation würde ich sagen. Außerdem seid ihr ja auch hier unterwegs, ein Mann allein mit seiner bezaubernden jungen Tochter. Wenn eine Bande zerlumpter Wegelagerer über einen herfällt, ist ein kräftiger Mann auf sich gestellt genauso wehrlos wie ein Greis. Ihr würdet vielleicht ein wenig länger durchhalten, aber das Ergebnis wäre ebenso fatal, nicht wahr?«

      Bevor Louis etwas erwidern konnte, kam Louanne ihm zuvor.

      »Ihr müsst die Welt vor dem Grau noch kennen«, sagte sie mit leuchtenden Augen. Louis war ihr einen mürrischen Blick zu, sagte aber nichts. Er wusste, wie verrückt seine Tochter nach allem war, was vor dem Grau lag. Diese nichtsnutzigen Flausen im Kopf musste sie von ihrer Mutter haben, soviel war sicher.

      »Wie war es damals? Habt ihr da auch schon hier gelebt oder seid ihr im Königreich herumgekommen, als ihr jünger wart? Die paar Alten im Dorf bei uns haben alle ihr ganzes Leben hier verbracht. Für die hat es außer dem Hunger gar keinen großen Unterschied gemacht, ob der Himmel grau oder blau war.«

      »So viel anders als jetzt war es davor auch gar nicht«, meinte der Greis. »Es war heller, wärmer und die Sonne war natürlich noch zu sehen. Ein Ball aus strahlendem Licht, der bei klarem Wetter im endlosen Blau des Himmels schien. Das ist im Grunde das Einzige von damals, das sich die jungen Leute kaum vorstellen können. Die Sonne, und wie sich ihre Strahlen auf der Haut anfühlen, wenn sie direkt auf einen scheint.

      Aber sonst war die Welt der Menschen vor dem Grau nicht viel anders, als sie es jetzt ist. Wirklich brutal, oder wie du es wohl sehen würdest, aufregend, war die Welt nur in den ersten Jahren danach. Die Jahreszeiten waren durcheinander, es war viel zu kalt und zu nass und die Ernte auf den Feldern ist verfault oder erfroren. Die Hungersnöte waren furchtbar. Und dadurch kam es überall zu einer Art Bürgerkrieg. Die Menschen haben sich wegen eines Stückes Brot gegenseitig erschlagen, und die Herren waren nicht viel besser als das Gesinde. Alles versank im Chaos, aber irgendwie ist es dem König gelungen, nach Jahren wieder Ruhe ins Land zu bringen. Und unter Randolf hat sich die Lage dann dauerhaft stabilisiert.«

      Er lachte ein meckerndes Lachen, das erneut frappierend an eine Ziege erinnerte. Für einen Moment dachte Louanne, dass sein vierbeiniger Begleiter in das Lachen mit einfallen würde. Aber das Tier stapfte nur stoisch neben seinem Besitzer her.

      »Wer wollte sich auch schon mit Randolf anlegen. Er war noch fast ein Kind, als er die Krone nahm, aber er hat seine ärgsten Widersacher gleich in der ersten Woche nach der Machtübernahme abschlachten lassen. Da wussten die ganzen Herzöge und Grafen, mit wem sie es zu tun hatten. Und bald darauf wussten das alle.

      Deine Neugier auf die Welt vor dem Grau ist also ganz unbegründet, mein Kind. Du verpasst nichts, weil du jetzt lebst. Die Sonne konnte schön sein, aber sie konnte auch unbarmherzig vom Himmel brennen. Heute ersäuft oder verfault mal eine Ernte, früher konnte es sein, dass eine verbrannte oder verdorrte, jedenfalls in der Südmark. Macht keinen großen Unterschied. Die Menschen sind immer gleich, und das Leben ist es auch.«

      »Also seid ihr in eurer Jugend herumgekommen? Ihr redet nicht wie jemand, der sein ganzes Leben in einem kleinen Dorf vergammelt ist.«

      »Lou, mäßige dein Schandmaul«, knurrte Louis, doch der Alte lachte wieder leise unter seinem fahlen, struppigen Bart.

      »Du hast recht, Mädchen. Ich war in meiner Jugend ein rastloser Geist. Ein Wanderer, wenn es je einen gegeben hat. Ich war in vielen Teilen des Reiches und auch in vielen Teilen der Welt. Aber das ist sehr lange her, und die letzten paar Jahrzehnte bin ich tatsächlich in Sapinbois vergammelt, wie du es so treffend bemerkt hast.«

      »Erzählt mir von euren Reisen«, drängte Louanne aufgeregt. »In Petit-Ruisseau findet sich genauso wenig jemand, der Geschichten aus der Welt erzählen kann, wie in unserem Dorf. Jedenfalls keine, die nicht nur schlecht erfunden oder nachgeplappert sind. In der Stadt sind zehnmal so viele Leute, aber alle sind im Grunde genauso langweilig wie zu Hause.«

      »Lou, nun ist es aber gut«, setzte Louis erneut an, verstummte aber, als etwas am Horizont seine Aufmerksamkeit erregte. »Was ist das denn«, murmelte er leise.

      Die Straße, die leicht geschwungen gen Norden führte, erstreckte sich vor ihnen mehrere Landmeilen weit, bevor sie hinter der Kuppe eines Hügels verschwand, den sie an diesem klaren Tag gerade noch erkennen konnten. Auf diesem Weg kam man direkt bis nach Petit-Ruisseau und unmittelbar darauf zu einem Wegekreuz. Von dort aus führte die Straße im Westen zur Küste, während es nach Norden und Osten in das Herzland der Westmark ging. Über den Hügel, der für die kleine Gruppe Reisende den sichtbaren Horizont bildete, sah man in der Ferne nun mehrere schwarze Punkte gleiten. Louanne konnte sie gerade noch erkennen. Sie wusste, dass ihr Vater die Augen eines Falken hatte, war aber überrascht, als der Greis erneut seine brüchige Stimme erhob.

      »Bewegen sich schnell, müssen Reiter sein«, sagte er halblaut und offenbar mehr zu sich selbst.

      »Verdammt hätte ich doch meinen Mund gehalten und nicht von Wegelagerern angefangen«, sagte Louis gepresst. »Hier ist mir seit Jahren niemand begegnet außer anderen fahrenden Händlern. Im Süden endet diese Straße im Grenzland, in die Südmark kommt man über die Handelsstraße weiter im Osten.«

      Er ließ Gerard anhalten und trat zum Wagen, in dem er einen Augenblick herumwühlte, bevor er unter einem Ballen Stoff ein Schwert hervorholte. Es steckte in einer schäbigen Lederscheide, die er mit raschen, geschickten Handgriffen an seinem Gürtel befestigte.

      »Lumpenpack reitet keine Pferde«, meinte der Alte. »Ich weiß nicht, wie die Preise heutzutage aussehen, aber zu meiner Zeit waren ein halbes Dutzend Pferde zehnmal so viel Wert wie der Plunder, den ihr auf dem Wagen habt. Nicht, dass ich Eure Waren schlecht machen wollte.«

      Louis zog eine Augenbraue hoch und schaute zu dem Greis hinüber. »Plunder, eh? Naja, wahrscheinlich habt ihr da nicht einmal ganz unrecht. Und trotzdem kann das da vorne nichts Gutes bedeuten. Aber egal. Gehen wir weiter und halten wir uns am Rand der Straße. Vielleicht reiten sie einfach vorbei und lassen uns in Ruhe.«

      »Könnt ihr mit dem Ding da umgehen, wenn es sein muss?«, wollte der Greis wissen und deutete auf das Schwert. »Es sieht nicht gerade neu aus, scheint aber ganz leidlich gepflegt zu sein.«

      »Gegen einen Mann? Gut genug«, gab Louis zurück. »Gegen mehrere Reiter? Nein. Aber wir werden sehen.«

      Sie setzten ihren Weg fort, wobei Louanne sich auf den Wink ihres Vaters ein wenig zurückfallen ließ. Sie ging jetzt hinter dem Wagen und vor dem Greis, der mit seiner schwarzen Ziege das Schlusslicht bildete. Sie war für gewöhnlich nicht sonderlich ängstlich, aber je näher die Reiter kamen, je unbehaglicher war ihr zumute. Mit jedem Detail mehr, das sie erkennen konnte, wurde ihr klar, dass es sich nicht um einfache Reisende handelte. Und ganz gewiss nicht um Händler.

      Sie

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