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durch die Luft und Lina fauchte ihn wütend an. Er ging ein Stück zurück, streckte ihr die Hand hin und seine weißen Zähne blitzten fast so schelmisch wie seine Augen.

      „Baka- Blödmann!“, sagte Lina, ergriff jedoch im gleichen Atemzug seine Hand. Sie war dankbar für die Wärme, die in ihre kalte Hand kroch, sich ausbreitete und fast ihr Herz erreichte hatte, als sie auf dem Deck ankamen und er ihre Hand wieder losließ. Schmerzhaft zog er alle Wärme mit sich und Lina musste ihre Hand unter ihre Axel festklemmen, damit sie nicht von selbst nach seiner griff, um sie nie wieder loszulassen.

      Sie zwang sich dazu, ihren Blick von Van loszueisen und ließ ihn über das Schiff wandern. Ein Wald von Containern türmte sich vor ihnen auf. Van führte Lina durch einen schmalen Gang vorbei unter Deck. Dort gab es mehrere Türen. Einige waren aus Holz, andere aus schwerem Metall. Van ging zielstrebig zu einer der Holztüren, öffnete sie und trat in eine Kajüte.

      Der Raum war klein und dunkel, hatte ein Bullauge und zwei Kojen übereinander aus dünnen, helltürkiesfarbenes Gerüsten, die schon bessere Tage gesehen hatten. Die Farbe war an vielen Stellen abgeblättert, Rost hatte hier und da Löcher reingefressen. Die Matratzen sahen alt und zerfledert aus, die Luft war abgestanden. Eine einsame, nackte Glühbirne hing von der Decke und wackelte quietschend hin und her. Rechts, links, rechts, links. Lina folgte den Bewegungen mit den Augen, spürte wie der Rhythmus sie hypnotisierte, einlullte wie das regelmäßige Atmen eines schlafenden Tieres. Lina fühlte, wie sich sein Brustkorb unter ihren Füßen leicht hob und senkte. Das Meer schlief ruhig, doch versprach die Hölle bei seinem Erwachen.

      Van ließ sich auf die untere Koje fallen und starrte auf das Gerüst über sich. Zwischen der Koje darüber und der Decke war gerade genug Platz, um hineinzukriechen. Aufrecht sitzen schien unmöglich. Lina riss sich von der Lampe los, die nur spärlich die Kajüte beleuchtete und fragte mit Horror in der Stimme: „Wie lange werden wir auf dem Schiff sein?“

      „Vier oder fünf Tage. Je nach Wetterlage“, Van warf aus dem Augenwinkel einen Blick auf Lina und wünschte sich, ihm wäre ein anderer, sicherer und bequemerer Weg eingefallen, Japan zu verlassen.

      „Wir sind sicher blinde Passagiere und dürfen uns nicht auf Deck begeben“, scherzte Lina und erstarrte, als Van nur antwortete: „Je weniger von unserer Anwesenheit wissen, desto besser. Ich habe genug Proviant eingepackt.“ Vier Tage in der Hölle mit ... ihr Blick fiel auf Vans Halskuhle und sein Schlüsselbein. Vier Tage auf engstem Raum mit einem Traum von einem Mann. Wäre sie nicht so verbohrt, könnten sie gemeinsam Spaß haben. Viel Spaß. Lina schüttelte den Kopf. Wo kam dieser Gedanke her? Sie sah zu Van und er blickte sie allzu unschuldig an. Das Spiel konnten zwei spielen.

      Sie setzte sich auf seine Koje, an sich ein Kunststück, da Van über 90 Prozent des Platzes einnahm. Doch sie eroberte ein Stück von der Liege, blickte betont in eine andere Richtung, spielte mit ihrem Haar, fuhr sich langsam über den Hals, senkte den Kopf leicht nach vorne und sammelte ihr Haar auf einer Seite. Hals, Nacken und Ohr lagen blank da. Nackt.

      Van entfuhr ein leises Knurren, er packte sie am Handgelenk, zog sie zu sich, so dass sie auf ihm lag. Neckende Augen, trafen auf Begehren. Lina hatte mit dem Feuer gespielt und durfte sich nicht wundern, wenn sie sich verbrannte. Er packte sie fester, überrascht hob sie den Kopf und stieß ihn an dem Gerüst des oberen Bettes. Van seufzte, sein Griff lockerte sich, er streichelte ihr übers Haar, zog sie zu sich herunter und bettete ihren Kopf auf seine Brust.

      Und so hielt er sie im Arm. Lina konnte sein Herz schlagen hören, fast spüren. Sie war so verwirrt, dass sie nicht bemerkte, wie das Schiff ablegte. Natürlich hätte sie aufstehen können. Aber was tun? Sich in eine Ecke setzen und ihn giftig anstarren? Dafür fühlte es sich zu gut an. In seinen Armen fühlte sie sich sicher und bevor sie sich versah, driftete sie ab in die Welt der Träume.

      Wieder seufzte Van tief, schloss die Augen und versuchte, einzuschlafen. Bittersüß presste sich ihre Brust bei jedem Atemzug an seine. Ihr braunes Haar, das sich über sein weißes Hemd ergoss, duftete nach Frühling.

      Sanft strich er ihr über den Kopf und schwor sich erneut, einen Weg zu finden, Lina das zu geben, was sie brauchte: ein normales Leben. Ohne Weissagungen, ohne Tor, ohne Orden und ohne Skinwalker. Bei dem letzten Gedanken zog sich sein Herz schmerzhaft zusammen. Sie war erst so kurze in seinem Leben, doch er konnte sich eine Zeit ohne sie nicht mehr vorstellen. Sie hatte ihn gelehrt, seine verfluchte Existenz als Leben zu betrachten und es wertzuschätzen. Er wollte nicht mehr sterben. Nicht solange er bei ihr sein konnte. Was danach kam, darüber würde er sich Gedanken machen, wenn es soweit war.

      Bittersüße Tage standen ihm bevor. Mindestens vier auf engstem Raum mit Lina. Keine Fluchtmöglichkeit. Würde er noch einmal von ihr kosten dürfen, oder würde sie ihn einfach mit ihrem Duft, ihrem Herzklopfen und ihren Lippen in eine süße Hölle stürzen? Er schloss die Augen und ließ sich von dem Schaukeln des Schiffes und der Wärme von Linas Körper in den Schlaf lullen.

      ----

      Am nächsten Morgen erwachte Lina mit schmerzendem Rücken. Van war einfach keine gute Matratze. Durch das kleine Bullauge fiel etwas Licht in die Koje, heller, als das dumpfe Orange der Glühbirne. Lina stand vorsichtig auf, versuchte, Van nicht zu wecken, und lief zum runden Fenster. Ihr Blick schweifte verwundert über die Wasserwelt, die so gar nicht so sein wollte, wie Lina sie sich vorgestellt hatte. Dort war nur Wasser. Sonnenlicht drang durch die Wasseroberfläche, brach an ihr. Hellblau wurde zu Dunkelblau und schließlich Schwarz.

      Lina blickte hoch. Die einsame nackte Glühbirne schaukelte hin und her, heftiger und ruckartiger als gestern. Sie schaukelte. Hin und her. Lina wurde schlecht, ihre Beine wurden weich. Mit einem Plumps landete sie grün im Gesicht auf dem Boden. Panisch schaute sie sich um, erspähte einen Eimer und eilte zu ihm, wie eine Ertrinkende zu einem Stück Treibholz. Der Rest ging ganz von alleine.

      Sie hing eine ganze Weile über dem Eimer, als eine Hand warm über ihren Rücken fuhr. Mit letzter Kraft rief Lina verärgert: „Raus!“

      „Aber ich kann dich doch nicht alleine lassen.“ Vans Hand hielt inne, entfernte sich zögerlich von Linas Rücken. Ein saurer Geruch stieg ihm in die Nase. Der gleiche Geruch, der ihn geweckt hatte.

      „Raus hab ich ...“, der restliche Satz wurde von Würgegeräuschen verschluckt.

      „Niemand weiß, dass wir hier sind. Wir sollten nur im Notfall die Kajüte verlassen“, versuchte Van es erneut, entfernte sich jedoch ein paar Schritte. Linas Blick sagte ihm, dass es für ihn ein Notfall war. Unentschlossen ging er wieder ein paar Schritte zurück und murmelte: „Es ist besser, wenn die Mannschaft uns nicht sieht.“

      „Dann verwandele dich in einen Panther und friss sie!“, fauchte Lina bösartig, blickte ihn mit funkelnden Augen an, als ihre Gesichtsfarbe von blau zu grün wechselte und sie wieder über dem Eimer hing. Van schlich sich durch die Tür, entkleidete sich, versteckte seine Sachen in einem Seilknäul, das nicht weit von der Tür entfernt lag. Nackt stand er im dunklen Korridor. Es wäre bequemer und sicherer gewesen seine Kleidung im Zimmer zu lassen.

      Er seufzte. Aber er konnte sich nicht einfach nackt vor Lina ausziehen und er mochte es nicht, sich vor ihr zu verwandeln. Ohne Schmerzen schrumpfte sein Körper, schwarzes Fell schoss aus allen Poren. In einem Augenblick war alles vorbei und seine Stimmbänder konnten nur noch ein Miauen von sich geben. Dann trottete er Richtung Deck, hüpfte die Treppen hinauf und hielt seine Nase in den Wind. Es roch nach Meer, Fisch, Metall und Rost. Gemütlich schlenderte er über das Deck, zwischen den Containern hindurch, hoppte von einem zum anderen. Wie im bunten Herbstlaub eines Waldes ragten die riesigen Stahlbäume in die Luft.

      Gedankenverloren spazierte Van über die Stahlplatten, zusammengeschweißt zu einem Boden, und wäre beinahe in einen Matrosen gerannt. Gerade rechtzeitig zog er seine Schnauze und Vorderpfoten ein. Gedankenwellen waren in jeder Sprache ähnlich, doch Van bevorzugte es, Gehirne zu beeinflussen, deren Sprache er beherrschte. So war die Gefahr, dass er den Geist beschädigte, geringer. Daher versuchte er so viele Sprachen in seinen Kopf zu pressen wie möglich. Er lernte schnell, wenn es doch anstrengend war. Japanisch war im Vergleich zu Deutsch einfach gewesen. Jedenfalls die Grammatik und die Aussprache.

      Doch

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