Скачать книгу

seine Wangenknochen entlang und sein Kinn. Die Haut war glatt und weich. Doch wie sehr er Mika jetzt auch mit seinen zwei Beinen und seinem aufrechten Gang ähnelte, war er doch nicht wie sie. Gab es andere wie ihn? Menschen, die sich in Tiere verwandelten? Oder war er ein Tier, das sich in einen Menschen verwandelte?

      Ein Rascheln riss ihn aus seinen Gedanken. Mika war aufgewacht. Lautlos huschte er durch die Wohnungstür, zog sie hinter sich zu und klopfte, kaum dass sie ins Schloss gefallen war. Mit zerzaustem Haar öffnete Mika und fragte verschlafen: „Wer ist da?“

      „Yuki“, antwortete er.

      „Yuki-san! Vielen Dank noch mal“, beeilte Mika sich zu sagen. Ihre Wangen röteten sich und sie verbeugte sich tief. Ihr dunkles, kurzes Haar hüpfte bei der Bewegung auf und ab, fiel ihr ins Gesicht.

      „Sie haben mir und dem kleinen Yuki das Leben gerettet. Wir stehen tief in Ihrer Schuld.“

      „Nenn mich Yuki!“, erwiderte er irritiert. Es gefiel ihm nicht, von Mika mit san angesprochen und gesiezt zu werden. Zu sehr war er an ihre Körperwärme und ihren Geruch gewöhnt, um falsche Distanziertheit heucheln zu können.

      „Okay, Yuki-kun. Komm doch rein! Ich habe nicht viel da, aber für ein Dankeschön-Frühstück wird es reichen.“ Mika trat auf die Erhöhung, die den Eingangsbereich von der Wohnung trennte, und ging in dem schmalen, dunklen Gang vorbei am Bad und an der kleinen Ablage, auf dem das Telefon stand, in die Küche. Yuki folgte ihr. Mika griff mit routinierten Händen im Regal nach dem Hundefutter, öffnete die Dose und rief: „Yuki!“

      „Ja?“

      „Ah, ich meinte den kleinen Yuki“, erwiderte Mika lachend. Ihr Lachen berührte etwas in ihm, eine kleine Dampfwolke stieg von seinem Kopf auf. Dampf? Wolke? Er fuhr mit beiden Händen hoch, berührte Pelz und wackelte mit weißen, puschelligen Ohren. Als sein Herz erschrocken schneller klopfte, verwandelte sich seine Nase in eine Schnauze. Er tastete sie entlang und versuchte, sich zu beruhigen. Was war bloß los mit ihm? Er konzentrierte sich und hatte plötzlich Tatzen anstelle von Händen. Yuki schloss die Augen atmete tief ein und es gelang ihm, seine menschliche Form zu stabilisieren.

      „Siehst du Yuki irgendwo?“, fragte Mika besorgt.

      „Der … ist an mir vorbei gerannt. Durch die Tür.“ Mika legte die Stirn in Falten, ihre Ohren spitzten sich, als sie genauer in die Wohnung hineinhorchte. Sie fand keinen Yuki und nickte zweifelnd. Doch sie setzte mit gekonnten Griffen Kaffee auf und schob Brotscheiben in den Toaster. Jeder Handgriff saß. Ordnung war alles für Mika.

      „Singst du, Yuki-kun?“, fragte Mika aus dem Blauen heraus, griff nach rechts, öffnete eine Schublade und holte zwei Löffel heraus.

      „Singen?“, fragte Yuki verwirrt. Er begleitete Mika ab und zu heulend. Aber singen?

      „Deine Stimme ist fürs Singen geschaffen. Sie vibriert tief, selbst wenn du nur sprichst. Man hört Stärke und Willenskraft.“

      „Ich singe nicht“, nicht mit Worten, dachte Yuki. „Aber ich kenne alle deine Lieder“, fügte er nach einer kleinen Pause hinzu. Mikas Augen weiteten sich vor Überraschung. Dann lächelte sie, öffnete ihren Mund und eine bezaubernde Melodie entsprang ihren Lippen. Leise und sanft. Dann wurde sie kräftiger. Yuki hatte die Worte schon so oft im Geiste gesungen, dass sie automatisch aus seinem Mund schlüpften. Eine tiefe Version von Mikas Lied, die in den Magen fuhr und eine Unruhe erzeugte, die mehr forderte. Yuki war so gefangen in dem Moment des Zaubers, dass er nicht bemerkte, dass einer seiner Schwänze im Rhythmus mitschwang.

      Ihre Stimmen vereinten sich im Chor. Unterschiedlich wie sie waren, ergänzten sie sich perfekt. Dann verstummte Mika und bat Yuki, alleine weiterzusingen. Als der letzte Ton verklungen war, sah Mika ihn mit ihren unergründlichen Augen an und sagte: „Du singst wie Yuki.“

      „Ich bin Yuki“, erwiderte er. Mika lachte: „Wie mein Yuki.“ Er griff nach Mikas Hand, drückte sie fest und sagte mit tiefer Stimme: „Ich wäre gern dein Yuki.“

      Mika spürte die Wärme seiner Hand und die Hitze seines Körpers, die sie erreichte, ohne dass sich ihre Leiber berührten. Er roch nach frisch getautem Schnee. Ihre Hand versteifte sich. Wie oft schon war die Süße ihrer verführerischen Hilflosigkeit und Abhängigkeit verflogen und hatte Pflichtgefühl und Belastung Platz gemacht? Sie hörte nachts immer noch Hiros Abschiedsworte: „Wer will schon einen Gendefekt wie dich heiraten? Zu einer blinden Frau auch noch blinde Kinder?“ Ihr Traum von einer Familie lag seit jenem Tag in Millionen Scherben irreparabel zersprungen vor ihren Füßen. Sie war Monate lang auf den Scherben gelaufen. Bis ihre Füße blutig waren und ihr Herz zu müde, um zu schmerzen.

      Mikas schönes Gesicht verzerrte sich zu einem gequälten Lächeln und sie erwiderte mit hartem Ton: „Dieser Platz ist bereits vergeben.“ Yuki ließ Mikas Hand los und die Wärme verschwand, als er Abstand von ihr nahm. Ihr blieb nur Kälte. Bedauern schlich sich in ihr Herz und Mika fügte kläglich hinzu: „Aber du kannst gerne jederzeit vorbeikommen und mit mir singen. Du hast eine wunderschöne Stimme.“

      Yuki erwiderte nichts. Das Schweigen wuchs, nahm den ganzen Raum ein. Als plötzlich der Toast hochsprang und die peinliche Stille zerriss. Mika zuckte überrascht zusammen, sagte jedoch dankbar: „Setzt dich doch! Ich hole kurz Aufschnitt und Aufstriche.“ Mikas Bewegungen waren hektisch, ihr Puls raste.

      Als sie sich endlich hingesetzte hatte, biss Yuki ins Toastbrot und musste an nattō denken. Ob man Toastbrot normalerweise mit nattō aß? Wieder von einem unangenehmen Schweigen umhüllt, saßen sie sich gegenüber. Mika rührte Zucker in ihren Kaffee. Jedes Mal, wenn der Löffel den Becherrand berührte, hallte der Aufprall durch das Schweigen, umgarnte es und hob es hervor, wie etwas Heiliges. Nervös legte Mika den Löffel beiseite, atmete tief ein und zählte bis drei, bevor sie eine Frage stellte. Irgendeine, um der Stille ihre Macht zu nehmen: „Lebst du schon lange in Tōkyō?“

      „Drei Wochen.“

      „Vor drei Wochen habe ich Yuki gefunden“, erwiderte Mika überrascht, „wo warst du denn vorher?“

      „Weiß nicht.“ Yuki dachte sich nichts bei seiner Antwort und griff nach dem Käse.

      „Wie meinst du das?“

      „Ich erinnere mich nicht.“ Er wusste nichts über diese fremde Welt. Kannte nichts, außer der Zeit, die er mit Mika verbracht hatte.

      „Eine Art Amnesie?“, fragte Mika.

      „Was ist mit dir?“, lenkte Yuki ab.

      „Ich lebe seit einem Jahr in Tōkyō.“ Mikas Finger verkrampften sich.

      „Alleine?“ Mika fühlte sich sichtlich unwohl bei dieser Frage, antwortete jedoch trotzdem: „Meine Eltern leben auf dem Land in Akita. Dort bin ich aufgewachsen.“ Mika sagte nicht mehr und Yuki fragte nicht näher nach.

      „Du singst schön.“ Die Worte klangen selbst in seinen Ohren hohl und leer.

      „Danke“, erwiderte Mika, die Wangen leicht gerötet.

      „Danke fürs Frühstück“, sagte Yuki und erhob sich.

      „Ich hoffe, du kannst dich bald wieder an etwas erinnern“, entgegnete Mika.

      Yuki nickte nur und ging in den Flur. Er schloss die Tür, ohne hindurchzugehen und verwandelte sich ohne Probleme in einer fließenden Bewegung in den weißen, puschelligen Yuki. Mit seinen kurzen Beinen brauchte er länger für die Strecke zurück und gab, endlich angekommen, sein seltsames Bellen und Knacken von sich. Mika nahm ihn auf den Arm, drückte ihn an ihre Brust und setzte ihn vor den gefüllten Fressnapf. Die Nase rümpfend dachte Yuki darüber nach, dass es manchmal besser wäre, weniger gut riechen zu können.

      „Mein Held in strahlender Rüstung war gerade hier“, sagte Mika, als sie ihn hinterm Ohr kraulte, „er ist etwas wortkarg. Aber seine Stimme musst du hören! Da werden einer Frau die Knie weich. Vielleicht können wir bald zu dritt auftreten. Seine Singstimme ist bezaubernd.“ Ihre Hand hielt kurz inne, als sie verstummte.

      „Ich

Скачать книгу