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sich zu einer Glut abkühlt, wird Lina klar, was sie getan hat. Sie hat mit einem Wesen geschlafen, dessen bloße Existenz die Welt, die sie sich mühevoll aufgebaut hat, zum Einsturz bringen kann. Und das ohne Verhütung! Was, wenn sie jetzt von einem Dämon schwanger ist?

      Linas ehrliche Worte verletzen Van tief, als plötzlich das Zimmer gestürmt wird. Shiro gelingt es Lina und Van, kurz bevor eine Kugel Linas Herz durchstößt, zurück zum Schrein zu teleportieren. Akiko heißt die Ausreißerin kalt willkommen. Die Seherin weiß, dass Van der Schlüssel zum Tor ist, hinter dem die alten, vergessenen Götter gefangen gehalten werden. Sein Blut wird das Tor öffnen und Lina ist die neue Inkarnation der Hüterin des Göttergefängnisses.

      Akiko weiß auch, dass ihre Liebe zu Van nie erwidert werden wird, weil seine Seele und sein Herz an Lina gebunden sind, eine wankelmütige Frau, die ihr Glück, von ihm geliebt zu werden, nicht sieht. Dunkelheit steigt in Akikos Herzen auf, als Lina Van, der blind für Akikos Gefühle war, das Augenscheinliche verrät. In Vans Augen sieht Akiko das einzige Gefühl, das er für sie je empfinden wird: Mitleid.

      Van kann nur zusehen, wie Lina an der Welt, in der er sie gebracht hat, zerbricht und schwört sich, ihr das zu geben, was sie braucht: ein normales Leben, ohne Übersinnliches. Ohne ihn. Sie entschließen sich dazu, den Schrein zu verlassen. Doch auf der Treppe zur Freiheit wartet Heinz auf sie, der Schlächter des Ordens. Die Stufen sind mit Runen besprochen, die Van in Ketten legen und Lina paralysieren. Machtlos muss sie mitansehen, wie Heinz mit Todesrunen eingravierte Kugeln in den Leib des schwarzen schießt.

      Das Tier bleibt regungslos liegen. Muki, der tanuki, der Lina ins Herz geschlossen hat, schleicht sich leise heran und zerkratzt einige der Runen, die Lina gefangen halten. Als sie sich wieder bewegen kann, eilt sie zu dem toten Tier. Mit tränenden Augen versucht sie, die Bindungsrunen mit ihren Händen zu zerstören und reißt sich die Haut dabei auf. Ihr Blut vermischt sich mit Vans und sie wird in die Luft gerissen. Stimmen rufen sie, befehlen ihr das Tor zu öffnen. Die Wächterin, deren Gesicht Lina so oft nach ihren Anfällen im Spiegel gesehen hat, schreit in stummer Agonie, als Lina das Tor berührt. In dem Moment, als sich die Flügeltüren bewegen, schmeißt sich Shiro dagegen und holt Linas Geist zurück in die Welt.

      Stolz prescht der Panther wieder quicklebendig durch die Reihen der Feinde und mäht eine Marionette von Heinz nach der anderen nieder. Auch Shiro schmeißt sich in den Kampf. Sogar der kleine Muki stellt sich mutig zwischen Lina und die Angreifer des Ordens. Doch der Gegner ist in der Überzahl und die Puppenarmee scheint unbesiegbar. Van sieht nur noch in der Flucht Rettung und verlässt mit Lina das Schlachtfeld.

      Lina muss zusehen, wie ihre Freunde für sie sterben und sie fleht die vergessenen Götter um Hilfe an. In ihrer Verzweiflung öffnete sie das Tor einen Spalt, doch der alte Geist des Panthers, der in Van schlummert, wirft es wieder zu. Ein Gott jedoch zerreißt seinen Körper und es gelingt ihm, durch den Spalt zu fliehen. Van übernimmt die Kontrolle über Linas Verstand. Wie eine gehorsame Puppe hält sie sich an seinem Fell fest und lässt sich in Sicherheit bringen.

      Aber der Schaden ist angerichtet. Der erste vergessene Gott ist auf Erden. Während er zerstückelt darauf wartet, dass seine Körperteile zueinanderfinden, sind die einzigen, die den Menschen Hoffnung bringen könnten, in alle Winde zerstreut und jeder in seiner eigenen Welt gefangen. Kann die zersplitterte Gruppe noch das Kommen der alten Götter verhindern?

      PROLOG

       Tôkyô, Januar 2011

      Sein nackter Oberkörper glänzte vor Schweiß, sein langes, weißes Haar schwang im Rhythmus der Musik. Seine eisblauen Augen flogen über die Menge, als seine Stimme durch die Halle vibrierte. Voller Leidenschaft und Sehnsucht suchte er nach ihr. War auf die Bühne der Welt getreten, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. Sein fehlendes Stück, seine neunte Flamme. Sie musste irgendwo dort draußen sein und ihn vermissen, so wie er sie vermisste.

      Die Menge tobte, die Männer grölten, die Frauen schrien und die Mädchen kreischten. Die Musik verstummte. Der Moment war gekommen, jetzt würde er wissen, ob sie unter ihnen war. Alle Lichter im Saal verloschen, alles wurde schwarz. Dann erschien eine blaue Flamme auf der Bühne, tauchte alles in die Farbe des Meeres. Ein weiteres Feuer leuchtete auf, bis acht Flammen ihn umtanzten. Er hatte die Lieder geschlossen, sein Herz raste vor Aufregung. Wäre sie da, wenn er die Augen öffnete?

      Immer noch die Schwärze vor Augen, erhob sich seine Stimme und erreichte jedes Herz in dem ausverkauften Saal. Tastete suchend alle ab. Panik stieg in ihm auf und Hoffnungslosigkeit lähmte seine Brust. Sie war nicht da. Er riss die Augen auf und sah nur eine schwarze Wand vor sich. Kein Licht, das auf seine Flammen antwortete. Als die Verzweiflung seine Stimme brach, nur damit sie stärker und wütend zurückkehren konnte, füllte sich der Saal mit Energie.

      Er gab ihnen einen Traum und ihre Energie, der Euphorie entsprungen, wurde zu einem Teil von ihm. Im Rausch der Musik verloren, tankte er neue Lebenskraft. Wurde eins mit dem Moment und genoss ihn aus vollen Zügen, denn er wusste, dass er sich unvollkommen und leer fühlen würde, wenn das Konzert vorbei war.

      Im Höhepunkt seines Liedes kam sie auf die Bühne. Wunderschön, zerbrechlich und doch voller Kraft stimmte Mika in sein Lied mit ein. Seit ihrer Geburt blind, blickten ihre Augen in die Ferne, nahmen niemanden wahr. Er sah sie an, suchte wie schon so oft in ihren Augen nach dem Feuer, das ihm fehlte. Doch in ihr war nur Musik. Wieso konnte sie es nicht sein, nach der er sich sehnte?

      Er erinnerte sich noch an die erste Nacht mit ihr. Erinnerte sich an ihren Geruch, ihren Geschmack und ihr Stöhnen. Trotz seines weißen Haares und ihrer Blindheit, war sie es gewesen, die ihn im Schnee gefunden hatte. Die ihn aufgepäppelt und ihm seine Menschlichkeit gegeben, ihn zu einem Menschen und einem Mann gemacht hatte.

      „Mika!“, schrie seine Seele voller Wut in das Liebeslied, in dem sich ihre Stimmen vereinten. Ihr Kopf drehte sich zu ihm und sie runzelte die Stirn. Sie hatte ihn gehört. Sie hörte immer, wenn er lautlos schrie.

      Von verzweifelter Liebe und Leid sangen sie. Einer alles verzehrenden Liebe, die doch nicht erfüllen konnte. Mika sang von blinder Liebe und von gebender. Er von einseitiger Liebe und Sehnsucht. Sie war nicht das, wonach er suchte. Konnte ihm nicht das geben, was er brauchte. Und doch war sie alles, was er hatte. Im Schnee, als er kurz vor dem Verlöschen gewesen war, hatte sie ihn gefunden und mitgenommen. Ein armes, kleines Tier ohne Zuhause. Mika hatte ihm einen Namen gegeben: Yuki – wie der Schnee.

      Wäre jene Nacht doch nie passiert! Hätte er doch nie von Mika gekostet! Yuki wünschte sich, er könnte sie lieben. Sie daran hindern, an ihrer Liebe zu ihm zu zerbrechen. Und doch musste er Tag für Tag mit ansehen, wie Mika ihn anlächelte, während sie auf Scherben ging. Wie ihr Herz jedes Mal zerfiel, wenn er mit ihr im Duett nach einer anderen rief.

      Doch er konnte nicht anders. Spürte, dass die Person, die seine Flamme in sich trug, in Gefahr war. Yuki sah ihren Schatten im Licht seiner Flamme tanzen, wenn er in die Welt der Träume abglitt. Flackernd rief sie nach ihm. Er konnte ihren Schmerz fühlen und ihre Angst. Sie brauchte ihn, noch mehr als er sie brauchte. Gefangen in einem unstabilen Körper, weder Tier noch Mann, hatte er vergessen, wer er war. Was er war.

      Während jedem Konzert rief er nach ihr - seiner neunten Flamme. Doch sie antwortete nicht. Nur Mika reagierte auf seine verzweifelten Schreie.

       Warum nur konnte sie nicht seine Flamme sein?

      SHIRO-i YUKI - WEISS WIE SCHNEE

       Tōkyō November 2010

      Wo war er? Wer war er? Er wollte irgendwohin, aber wohin? An einen Ort ... Einen schönen Ort ... Einen Ort der Träume, an dem die Luft so voll war mit Energie, dass Träume wahr wurden. Unsanft schlug er auf dem Boden auf. Er war hart und aus Stein. Hatte er wirklich hier hin gewollt? Es war kalt. Schneeflocken fielen leise vom Himmel und bildeten eine dünne weiße Schicht auf dem schwarzen Stein. Er versuchte aufzustehen, aber seine Beine und Arme gehorchten nicht. Als er die Hand ausstreckte, sah er vor

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