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Mikas Herz aufgeregt schlagen. Ihre Wangen färbten sich rot und ein bezauberndes Lächeln erstrahlte auf ihrem Gesicht, als er: „Bis Morgen“, brummte.

      Yuki ging zur Tür, öffnete sie und schloss sie, ohne herauszutreten. Dann wurde alles um ihn herum größer und er kleiner. Mit seinen vier puschelligen Beinen tappte er mit erhobenem Haupt leise über das Laminat, ging zu Mika und stupste sie mit seiner feuchten Nase an. Sie hob ihn hoch, setzte ihn auf ihren Schoß und erzählte aufgeregt von dem Auftritt, der Menschenmenge, von dem großen Yuki und seiner tollen Stimme. Etwas peinlich berührt hörte Yuki zu.

      DIE KATZE UND DAS MEER

       Yokohama November 2010

      Der Wind peitschte Linas Haare in die Luft, biss sich mit kalten Zähnen in die Haut. Sie wartete bereits über eine Stunde. Was machte dieser überdimensionale Kater nur? Lina saß auf der Treppe, blickte abwechselnd aufs Meer und in den Himmel. Dann lehnte sie sich zurück, reckte ihr Kinn nach oben und versuchte jeden Sonnenstrahl einzufangen, den sie erhaschen konnte. Die Sonne wärmte ihr Gesicht, während der Meereswind sein Bestes gab, es einzufrieren. Das Meer barg Gefahren. Jetzt mehr denn je und Lina wusste, dass es ihre Schuld war.

      Plötzlich verschwanden die roten Flecken, die zu sehen, waren, wenn das Licht der Sonne, durch die Augenlieder reichte. Das bisschen Wärme war ihr genommen worden. Gleich würde sich über ihre Haut ein weißer Film Eiskristalle legen. Lina öffnete ihre Lider langsam und blickte in blaue Augen. Blauer als der Himmel. Sie starrten sie fragend an, suchend.

      „Du bist spät! Was hast du die ganze Zeit gemacht?“ Lina mochte es nicht, wenn Van sich Sorgen machte und ging in Angriffsstellung über, wie sie es immer tat, wenn sie verunsichert war. Und er verunsicherte sie seit dem ersten Tag, an dem sie sich begegnet waren. Als sie noch nicht gewusst hatte, was er war. Noch Bevor er sie aus Deutschland nach Japan entführt hatte und für sie gestorben war. Vor dem Sex in einem billigen Love-Hotel. Dem wilden, erfüllenden Sex.

      „In weniger als einer Stunde ein Schiff organisiert, das uns von Japan wegbringt, ohne dass es jemand nachverfolgen kann“, erwiderte er ihre bissige Bemerkung ignorierend. Van wusste, dass Lina ein Recht hatte, wütend zu sein. Sie hatte Freunde sterben sehen und war an ein Wesen gebunden, das sie tief verabscheute: ihn. Eine Windböe ergriff seine Lederjacke und zerrte an seinen schulterlangen, gelockten Haaren. Die bronzene Haut lugte im Kontrast zu dem weißen Hemd spielerisch hervor.

      Leicht angeschrägte Augen blickten auf Lina herab. Sie streckte die Hand aus, wollte die schönen Wangenknochen mit den Fingern nachfahren. Lina erinnerte sich an das samtweiche Gefühl seiner Haut unter ihren Fingerkuppen. Doch sie ließ ihre Hand unverrichteter Dinge fallen. Sie hatte das Recht, ihn auf diese Weise zu berühren, verwirkt. Van wusste, dass sie ihn fürchtete und das war gut so. Denn er hatte die Macht ihre ganze Welt, die sich nur noch auf wenigen, wackeligen Pfeilern aufrechthielt, für immer ins Verderben zu stürzen.

      Verderben ... und Tod. Linas Augen füllten sich mit Tränen und Vans mit Schmerz. Sie hatten Kameraden verloren, sie im Stich gelassen, um sich in Sicherheit zu bringen. Er hatte Akiko zurückgelassen, für Lina. Eine Frau, die ihn und seinesgleichen fürchtete. Zu Recht. Sein Herz krampfte sich zusammen. Ihre schönen grünen Augen schwammen in einem Meer der Traurigkeit. Er würde sie so gerne glücklich machen. Ihr die Welt zu Füßen legen. Und doch war er sich nicht einmal sicher, ob er sie vor ihrem Schicksal retten konnte.

      Van streckte Lina eine Hand hin und half ihr beim Aufstehen. Er nahm beide Reisetaschen und überließ Lina den Rucksack.

      „Ich hoffe, du hast ein Schiff mit bequemen Betten gefunden. Ich weiß nicht, ob ich seetauglich bin.“ Van versteifte sich und wich ihren Blicken aus. Das hieß nichts Gutes. Sie liefen den Pier entlang, an den großen Kreuzfahrtschiffen vorbei in einen Dschungel aus Containern. In allen Farben waren sie aufeinandergestapelt. Kräne streckten ihre langen Hälse wie überdimensionale Giraffen in den Himmel, bewegten sich nur langsam und vorsichtig, fast königlich.

      „Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?“, fragte Lina scharf, als sie einen Kran beobachtete, der einen Container vom Pier auf ein Schiff verfrachtete. Hoch oben in der Luft wirkte der Container klein, wie ein Spielzeug.

      „Ja“, antwortete Van und beließ es dabei. Sie gingen tiefer in den Containerdschungel hinein. Schlängelten sich an roten, blauen, orangenen und grünen, an mehreren Stellen angerosteten Stahlquadern vorbei. Lina schwante Böses.

      Van spürte ihre Blicke im Nacken, als er vorging und einen älteren Mann mit Bart ansprach. Lina kannte das Spielchen mittlerweile. Van ließ gerade mehr als seinen Charme spielen. Sie hoffte nur, dass er in dem Geist des Mannes keine irreparablen Schäden anrichtete.

      Als sie in Richtung Anlegedock weitergingen, betete Lina inständig, dass ihre Befürchtungen umsonst waren und sie eines der Passagierschiffe vom Dienstboteneingang oder ähnliches aus betreten würden. Ein Wunschtraum, den sie besseren Wissens nicht aufgeben wollte.

      Dann standen sie vor einem Schiff, das mit hunderten von riesigen, bunten Containern beladen war. Es war weiß. Die Backbordseite war in blauer Schrift mit den Buchstaben C-E-S-C-O versehen. Lina blieb wie angewurzelt stehen.

      „Das ist nicht dein Ernst, oder?“, entgeistert starrte sie von Van, der sich verlegen durch die Haare fuhr, zum Schiff und den Containern.

      „Es ist der einfachste Weg Yokohama zu verlassen und sicherzugehen, dass uns niemand wiedererkennen kann. Auf den Kreuzfahrtdampfern sind viele, die diese Touren öfters machen. Das Personal zum Beispiel. Die könnten sich unsere Gesichter merken.“ Zwei Ausländer. Ein atemberaubend schöner Mann und eine ausländische Frau. Sie blieben im Gedächtnis. Wenn der Orden den richtigen Leuten die richtigen Fragen stellen würde ... Er hatte sie durch weniger ausfindig gemacht.

      Linas Wangen glühten vor Scham, als sie daran dachte, wie er sie gefunden hatte. Sie war dumm gewesen. Fazebuch und Skyb waren keine guten Kommunikationskanäle, wenn man gesucht wurde. Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht, das der Wind ihr in die Augen gepeitscht hatte und hoffte, dass ihre Wangen so gerötet vom kalten Wind waren, dass ihre Schamesröte nicht weiter auffiel und seufzte. Van hatte Recht. Komfort stand nicht oben auf ihrer Liste. ÜBERLEBEN war an erster Stelle in Großbuchstaben vermerkt. Danach kam Flucht vor den Armenen und dann Informationen über das Tor sammeln.

      Van wusste, er hatte einen Kampf gewonnen, der nie richtig begonnen hatte. Er drehte Lina den Rücken zu und lief über eine schmale Brücke zum Schiff. Lina folgte ihm, seinen breiten Rücken nicht aus den Augen lassend. Elegant und ohne aus dem Gleichgewicht zu geraten, bewegte er sich auf dem wackeligen Konstrukt aus Seilen und Holzbrettern. Wie immer hatte er seine Ärmel leger hochgekrempelt. Das Schwarz seiner Lederjacke ging über in das Weiß seines Hemdes und hob das Bronzene seiner Haut hervor.

      Normalerweise hätte sich Lina an solch einem Anblick erfreut, doch sie musste all ihre Kräfte zusammennehmen, um einen Schritt nach dem anderen zu machen. Beide Hände krallten sich abwechselnd in die labilen Seile der schmalen Hängebrücke. Das Meer bewegte das Schiff und das Schiff die Brücke. Entsetzt starrte Lina in das blaue Nass. Es musste dort furchtbar kalt sein. Sie würde mit Sicherheit sofort an einem Kälteschock sterben.

      „Sterben“, hallte es in ihrem Geist und Lina gefror in der Bewegung. Wovor hatte sie Angst? Vor dem Tod? Der Tod würde sie von dem Dasein erlösen und von der Schuld. Woher kam dieser Gedanke nur? Lina spürte wie die Flamme, Shiros Flamme, in ihr aufbegehrte und schrumpfte. Sie schüttelte das Gefühl ab und blickte geradeaus, machte einen Schritt nach dem anderen. Die Angst war verflogen.

      Van blickte sorgenvoll zurück. Die Härte, die in Linas Augen trat, schmerzte ihn körperlich. Es war nicht fair. Linas einzige Sorge müssten ihre Haare sein, ihre Kleidung, die Frage, ob der Mann, den sie seit einiger Zeit traf, es ernst mit ihr meinte oder nicht. Dass sie weniger verdiente als ihre Kollegin und ob sie die Deadline vom nächsten Projekt einhalten könnte. Alles, doch nicht diese Härte. Er packte mit beiden Armen jeweils ein Seil, stieß sich mit voller Kraft ab und sprang hoch. Als seine Füße wieder die Brücke berührten, wackelte

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