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wenigen unter ihnen selbst sonst höher eingeschätzte) Denk- und Erkenntnisbegabung spielt bei der Suche nach einem Vervielfältigungspartner paradoxer Weise fast keine Rolle. Wichtig sind: Größe und Ausformung primärer und sekundärer Geschlechtsteile, sowie Größe und Formung ihrer ursprünglich zu körperlicher Arbeit vorgesehen Kraftüberträger, Muskeln genannt. Dies, obwohl es körperliche Arbeit immer weniger noch gibt. Wir bezeichnen dieses Auseinanderfallen von Form und Ausstattung und deren Bewertung als offenkundiges Nichtverstehen (wie im Fall der Hauttönung) als die Fetischneigung der Spezies."

      "Das musst du mir erläutern!"

      "Na gut, ein, zwei Beispiele, das muss reichen. Also, stell dir vor: Ein kleines Kind, das wir nach seiner Geburt extra noch eine Weile in Abhängigkeit von seinem weiblichen Erzeuger halten, damit es schon außerkörperliche soziale Erfahrungen machen kann und trotzdem den Schutz seiner sogenannten Mutter genießt, dieses kleine Kind also wird an deren Brust genährt, die wir aus Gründen der besseren Erkenn- und Ertastbarkeit etwas mit Fettgewebe ausgepolstert haben, und zwar rechts wie links."

      "Es handelt sich also um zwei Höcker?"

      "So könnte man die nennen, ja! Nun wächst vor allem bei den Männchen in deren Phantasie dieser Quell des Lebens in der Weise mit, wie sie selbst wachsen und größer werden. Sind sie also zwanzigmal größer, muss auch später dieses Organ zwanzigmal größer sein, obwohl sie gar nicht mehr daran nuckeln sollen. Die Weibchen fangen nun mitunter an, es sich um das Mehrfache künstlich vergrößern zu lassen. Sonst würden die nur körperlich größer gewordenen Jungmännchen nicht auf sie reagieren..."

      "Unglaublich! Also Fetisch ist, wenn etwas für etwas steht, es vertritt, das es gar nicht mehr ist...?"

      "Oder nie war! So könnte man sagen, ja. Noch ein Beispiel: die männlichen Exemplare haben in der früheren Entwicklungsphase dieser Art öfter gejagt als die Weibchen, die den Nachwuchs beschützten, haben möglicherweise insgesamt häufiger körperlich gearbeitet. Jedenfalls können sie etwas mehr Muskelmasse ansammeln und sind durchschnittlich unwesentlich kräftiger und auch größer. Daraus entstand in vielen Kulturen der Eindruck, sie seien generell tüchtiger und zäher und für die Arbeit und das Kämpfen geeigneter. Nun ist durch Maschinen, die sie entwickelt haben, damit sie ihnen Arbeit abnehmen, die Herausbildung großer Muskelmassen zunehmend unnötig geworden. Da aber nun umgekehrt bei den Weibchen oft das sexuelle Interesse an die veraltete Körperform der Männchen gebunden ist, wird das unnötig gewordene Design künstlich hergestellt."

      "Wie das?"

      "Das musst du dir so vorstellen: Männchen, die tagsüber, also wenn es bei ihnen hell ist, in einem Büro sitzen, wo, weil es dort nicht hell genug ist, zusätzlich ein künstliches, nicht bräunendes Licht scheint, und wo die schwersten Objekte leichte Zettel und Stifte sind, fahren nach der Arbeit, wie sie das nennen, in ein Muskelstudio, um durch Heben und Senken schwerer Objekte die Kraftüberträgermasse künstlich anzusammeln, die ihre Väter früher bei schwerer körperlicher Tätigkeit ganz natürlich erwarben und die sie dafür auch brauchten. In diesen Studios holen sie auch die Hautfärbung durch artifiziell generierte UV-Strahlung nach, die beim Hocken in den geschlossenen Räumen ausbleibt. Und sie fahren auf künstlichen Fahrrädern und rennen auf Laufbändern, weil sie sonst nur mit Fahrmaschinen, Automobile genannt, herumgondeln."

      "Also geht es bei diesen Fetischen auch immer darum, etwas, das mal Gültigkeit hatte und später unnötig geworden ist, weiterzumachen?"

      "In vielen der Beispiele sieht es so aus. Es gibt aber, wie gesagt, auch unerklärliche Fixierungen. Früher war man gern weiß, heute ist braun als Schönheitsideal bevorzugt. Aber nicht durch Vererbung, die nichts kostet, sondern nur als durch diese künstlichen Lichtquellen erzeugte Tönung der Haut, für die man Geld bezahlen muss. Früher war man gern etwas dicker, heute muss man schlank sein, um ein Recht zu haben, auf seinen Körper stolz oder allgemein: eitel zu sein. Das führt sie zum Beispiel zu der unverständlichen Sichtweise, dass der optimierte Metabolismustyp, also der Typ, dessen Stoffwechsel langsamer läuft, der mehr sammelt und weniger verbrennt und ausscheidet, dadurch nicht mehr so leicht vom Verhungern bedroht ist, sich wünscht, der rückständige Vielverbrenner-Typ zu sein. Er könnte einfach weniger essen und bliebe schlank. Da sie aber alles genießen wollen und unheimlich gern essen, entwickeln sie so eine merkwürdig zwiespältige Logik."

      … Hier weist das Manuskript des Indianers merkwürdige Lücken auf, zum Teil durchgestrichene, neu angefangene oder einfach nur wiederholte Satzanfänge, so als denke er selbst oder als dächten die von ihm Belauschten länger nach, verwerfe er einen Gedanken beziehungsweise korrigierten die Sprecher einen.

      "Wie sind wir eigentlich auf dieses Thema gekommen?"

      "Ich wollte dir erklären, was Stolz und Eitelkeit bedeuten."

      "Ja, aber wie kamen wir darauf?"

      "Sie sind zum Beispiel Grund für diese Theorie, die sie haben, diesen Glauben oder besser Irrglauben der Erwähltheit durch ihren Gott."

      "Ach ja, das wollte ich überhaupt die ganze Zeit schon fragen: wenn sie ohnehin beschränkte Erkenntnismöglichkeiten haben, kann es dann zwischen Theorie, Glauben, Irrglauben, bloßer Annahme und so weiter klare Abgrenzungen geben? Wird das nicht alles mehr oder weniger immer dasselbe? Und warum werden sie so aggressiv und gefährlich, wenn sie mal eine Theorie, einen Glauben oder was auch immer haben?"

      "Gut, der Reihe nach: Fassen wir noch einmal zusammen: Diese Wesen haben eine für ihre Selbstregulations-Aufgabe hinreichende, aber für das Erfassen des Gesamtzusammenhangs mangelhafte Erkenntnisfähigkeit. Auch wenn einige von ihnen gelegentlich zu der unerklärlichen Meinung neigen, das All brauche sie, um sich selbst erkennen und verstehen zu können. Jetzt stell dir bitte folgendes vor: So ein Menschenwesen der sensibleren und intelligenteren Ausprägung, verzweifelt und ziemlich hoffnungslos um höhere Erkenntnis bemüht, trifft auf einen von uns, ein Wesen eindeutig höherer Ordnung. Es sieht uns in einem Raumschiff kommen, dessen Funktionsweise es sich nicht annähernd erklären kann. Es sieht glitzerndes Metall, funkensprühende Antriebsaggregate, blitzende Rotorblätter, ein gleißendes Licht, eine nie gesehene Gestalt aus dem Inneren des Gefährts kommend, die mit voluminöser, sonorer Stimme zu ihm spricht. Das Reden in ihrer Sprache übernimmt der Konverter, der überaus tief, laut und deutlich artikuliert. Endlich ist da jemand, von dem der Primativo weiß, dass der mehr erkennt als er selbst, ja der all das erschaffen hat, dessen Beginn, Wesen und Seinsgrund, dessen eventuelles Ende er sich nie wird erklären können. Vielleicht fragt er den Fremden etwas, oder der geht umgekehrt auf ihn zu, weil er dessen primitive Angst spürt und sie ihm nehmen will. Und der Erdianer kniet vor ihm nieder und bittet um Gnade. Oder um Weisung. Oder um Erkenntnis. Das war von Anbeginn das Problem!"

      "Verstehe..."

      "Wir hatten unsere Leute in Schulungen darauf vorzubereiten versucht. Oberste Anordnung war: nicht Angst und Schrecken verbreiten! Keine Aggression! Keine pompösen oder dramatischen Auftritte! Offenbar hat es aber, wie gesagt, auf unserer Seite immer wieder derartiges Fehlverhalten gegeben. Jedenfalls haben fast sämtliche irdischen Kulturen, oft unabhängig voneinander, die fixe Idee von einem Gott oder mehreren Göttern entwickelt, die von oben kommen, sie teils strafen, teils belohnen, mal gutmütig oder böse sind, mal hysterisch, dann wieder weise. An den Bildern, die sie sich von uns machen, kann man die Grade des Fehlverhaltens unserer Leute ablesen, vielleicht nicht unmittelbar, aber doch ungefähr."

      "Wo kommt aber jetzt diese gefährliche Eitelkeit ins Spiel? Bisher klingt das ja mehr nach harmloser Götzenverehrung...."

      "Genau hier, an diesem Punkt: Sie treffen uns und haben Angst. Oder aber: sie sind aufs Äußerste beeindruckt. Jetzt wollen sie, dass andere ihnen gegenüber die gleichen Empfindungen hegen, also auch Angst haben, auch beeindruckt sind. Also nehmen sie für sich in Anspruch, zum Beispiel die einzigen zu sein, die uns gesehen oder mit denen wir gesprochen haben. Sie wollen, dass die anderen sie fürchten, weil wir mit ihnen im Bunde stehen. Stell dir vor, etwa zur gleichen Zeit, als die ulkige Show mit den eingravierten Gesetzen auf den Steintafeln

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