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a.D. sich erstmals und legte den Text beiseite. Seine Frau war kürzlich erst an Krebs verstorben. Nach einer Zigarette besann er sich und las weiter:

      "Sie kämpfen gegen die Schöpfung, haben begonnen, indem sie diese zu verbessern trachten, sie und damit sich selbst auszulöschen. Man gründet Vereine zu ihrem Schutz, das hört sich gut an. Je mehr man aber glaubt, nach den zugrundeliegenden Gesetzen zu handeln und alte Fehler zu korrigieren, desto mehr neuer Schaden wird angerichtet.

      Viele sagen, sie glauben an Gott und dass er die Welt und damit sie selbst geschaffen habe. Indem sie sich aber bemühen, ihm - der Erfindung wohlgemerkt ihres eigenen Geistes - gleich zu werden, unsere Kreation also weiter zu schaffen, zerstören sie das, was sie für seine Schöpfung halten. Sie haben uns, also vermeintlich ihm, einige Tricks abgeluchst, haben Teile des Vorgangs des Wachsens und Sich-Veränderns erforscht, ohne überhaupt dessen eigentliches Wesen erkannt zu haben. Sie modeln Früchte, Tiere, schließlich sich selbst um, nach ihrem Gutdünken. Sie brauchen immer mehr, und wie sie glauben: immer bessere, gesündere Nahrung, nicht, weil sie sich mit dem, was wir, ihre wahren Schöpfer, für sie entwickelt hatten, nicht hätten ernähren können, sondern weil sie besserwisserisch, selbstherrlich und egozentrisch geworden sind. Sie haben das Prinzip der natürlichen Auswahl, der Verbesserung der Arten und ihrer Überlebenskraft durch Mischung, aber auch durch natürliche Begrenzung eines hinlänglich gelebten oder eines von vorne herein nicht möglichen Lebens, außer Kraft gesetzt - aus humanitärer, wie sie sagen, Weltsicht. Humanitär heißt aber nur: menschenzentriert, nicht: naturgerecht, also aufs ganze System bezogen. Und selbst dann, wenn sie glauben, als menschengerecht Handelnde sich zugleich auch naturgerecht zu verhalten, sind sie zuallererst einmal selbstgerecht.

      Sie wollen zeigen, dass sie zum Beispiel ein Leben verlängern oder retten können. Sogar erzeugen, sagen sie, können sie es. Das können sie natürlich nicht, sie verwenden nur die vorhandenen Bausteine des Lebendigen. Das einzige, was sie damit wirklich erreichen wollen, ist: sie möchten ihr eigenes Leben, allenfalls noch das ihrer Kinder, Ehepartner und Freunde, beliebig verlängern können. Das Ziel ist ihnen von ihrer anmaßenden Religion vorgegeben: ewiges Leben - nur für die paar Menschen, die sie mögen und kennen, nicht alle, versteht sich, nicht die Tiere (außer natürlich ihren Lieblingshaustieren, ihren Pferden und so weiter) und eigentlich ausschließlich für sich selbst und für ihre Angehörigen und Freunde, nicht für all die anderen!"

      Dr. Moyer gießt sich noch einmal Kaffee nach, blickt kurz versonnen vom Text auf, wischt sich eine letzte Träne (hartnäckig anhaftende Folge seiner kurzen Gefühlsaufwallung von eben) aus dem Auge.

      Was aber, fragt der Text an anderer Stelle weiter, soll denn diese niedliche Ewigkeit der Menschen überhaupt sein? Zweihundert, fünfhundert, zehntausend Jahre mehr als üblich? Die Menschen lebten aber doch, ohne sich dessen bewusst zu sein, in dem weiter, was sie ihrer Nachkommenschaft hinterlassen: Erfahrungen, Begabungen, die genetischen Verbesserungen, die jene besagten Schöpfer an ihren Nachfahren vornehmen, nicht in ihren eigenen welken, morschen Körpern, die sie liften und genmanipulieren lassen, in denen sie Organe wie Autoersatzteile vom Schrottplatz austauschen. Gerade in dieser Selbstsucht zeigten sie aber, dass sie nicht einmal Achtung vor sich selbst haben. Und weil sie keinen Respekt aufbringen, schätzen sie genauso wenig die anderen Geschöpfe, mithin die Pflanzen, ihre Luft, ihr Wasser.

      Sie machten sich alles nur untertan, auch die Menschen anderen Glaubens; so stehe es ja schließlich als Programm in ihrem Glaubensmanifest.

      Aber sie können, schließt das Pamphlet, alle Schätze des Bodens fördern, alle Kohle verbrennen und alles Erdöl verpuffen oder gleich in die Meere pumpen. Sie können alle ihre Bomben gleichzeitig zünden, alle ihre Giftgasfabriken in die Luft jagen und sämtliche Haarsprays in einer letzten großen Silvesterparty sich gegenseitig in die schüttere Haarpracht sprühen...

      "In wenigen Millionen Jahren, die für uns so lange dauern wie für Euch ein Wimpernschlag, werden die Würmer und Kakerlaken, die nicht die Hybris besitzen zu glauben, sie allein seien vernünftig oder hätten eine Vormachtstellung, Parlamente wählen. Also was wir, in den Worten Eurer naturverachtenden Profitanhäufer, Rohstoffverschwender und Umweltvernichter, Warenüberschusshersteller und Kaufverrückten, Neubauzwangsgestörten und Umwälzneurotiker, die allesamt glauben, ausgerechnet sie seien gut und wichtig für die Welt und könnten sie noch verbessern... kurz, was wir also in deren zynischen Worten sagen möchten, ist: Wir haben noch jede Menge andere, lohnendere Projekte laufen."

      Der junge Volontär hatte ins Zentrum des Artikels schließlich noch das beiliegende Foto (Indianer umarmt Baum; Untertitel: "Sein Brieffreund, der Baum") eingescannt, was als optischer Widerhaken in diesem Fall zumindest Gymnasialdirektor a.D. Dr. Moyer frühzeitig, noch vor der zweiten Tasse Kaffee, in die Lektüre des Morgenblattes zurückgeholt hatte.

      Zwei Seiten zuvor hatte die Firma Rohde Hilfsarbeiter zum Baumfällen angeworben, sechs Euro die Stunde. Als sich tags darauf kaum jemand meldet, beschwert sich Ralf Rohde, Juniorchef, persönlich beim Bürgermeister: Über dreißig Prozent Arbeitslose in diesem Kaff, und zwei schlappe Würstchen kommen heut morgen angetrabt.

      Dieser schwachsinnige Waldschrat habe die Leute mit seinem esoterischen Naturgefühl-Gesabbele völlig kirre gemacht. Das war um zehn Uhr morgens, am nächsten Montag.

      Dem Bürgermeister war der Artikel am Samstag früh überhaupt nicht aufgefallen. Er fragt daraufhin beim stellvertretenden Chef vom Dienst nach, ob sie noch ganz dicht sind und ob man vielleicht erwäge, demnächst ins Internet zu gehen oder auf Mikrofilm zu erscheinen.

      Wie jetzt?

      Na, weil sie ja schließlich diesen Dünnschiss auf den zu Pulpe verkochten und plattgewalzten beklagenswerten Opfern eben jener Naturmisshandlung verbreitet hätten.

      Hä?

      "Ich meine, ihr druckt auf Papier, oder? Ihr sägt doch sozusagen an eurem eigenen Ast, buchstäblich, wenn ihr so'n Mist schreibt, Menschenskind!"

      Durch den Bürgermeister erfuhr der Chefredakteur per Handy an seinem Urlaubsort von dem Skandal. Was denn da los gewesen sei, fragt der telefonisch zurück. Nicht bei seinem Stellvertreter, ganz bewusst - den kann er nicht ab und er misstraut ihm. Vielmehr ruft er direkt bei ihrem ehemaligen Korrektor, Dr. Moyer, an, der früher, nach seiner Pensionierung (als man sich bei der Postille diesen Job noch leistete), die Texte vor der Drucklegung überflogen und hier ein überflüssiges Wort gestrichen oder ausgetauscht, dort ein Komma durch ein Semikolon ersetzt hatte. Er wusste, der Moyer hatte das gelesen.

      Der Umweltquatsch sei gar nicht mal so sehr das Problem, berichtet Dr. Moyer. Ärgerlich, geradezu beunruhigend sei vielmehr der blasphemische Aspekt, dass hier von irgendwelchen obskuren Schöpfern geredet wurde. Nicht aber von unserem wahren einen.

      Und dann natürlich der drohende Weltuntergang, Sodom und Gomorrha. Das soll die Leute gefügig machen. So'ne Art neu-esoterischer Umweltfaschismus mit Ufo-Komponente.

      Steckt da die NPD hinter?

      Wohl kaum! Es geht nicht um das deutsche Volk und auch nicht um Ausländer.

      Die Grünen?

      Äh-äh, nee, die wohl auch nicht! Weder die Partei noch die Marsianer.

      Gysy, Lafontaine?

      Schwer zu sagen!

      Sonstige Kommunisten?

      Eher nicht, es ist nicht von Arbeitern, Produktions- oder Besitzverhältnissen die Rede.

      Der Volontär bekam erstmal, als der Chef aus dem Urlaub zurück war, einen ganz unglaublichen Anschiss. Jetzt durfte er eine gehörige Zeit über nichts als das Jahrestreffen des Broichter Taubenzüchtervereins berichten und wie am Samstag Wiedensaal gegen Örpen gespielt hat, und vor allem: warum! Verdammt noch eins!

      "Und zeigen Sie mir das vorher, sonst steht vielleicht bei Ihnen noch Jesus von Nazareth im Tor und seine Jünger abseits! Raus jetzt!"

      Weitere Publikationen ähnlichen Inhalts lagen später auf fotokopierten Handzetteln in Buchläden, Kneipen und hingen am schwarzen Brett des Gymnasiums. Es handelte sich um vervielfältigte handgeschriebene

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