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ist nicht befugt! Gibt es ein amtliches Formular?

      Nein!

      "Dann dürfen wir Sie bitten, den Platz noch heute Abend zu räumen!"

      "Wird er denn gebraucht?"

      "Das steht hier nicht zur Debatte! Wenn Sie keine Genehmigung haben, sowieso schon mal nicht. Also, gehen Sie bitte!"

      "Warum denn?!"

      Weil, erläutert einer der Abgesandten einfühlsam kulant (er müsse diese Auskunft zwar nicht geben, nur): es finde hier ab morgen über's Wochenende (ob sie das denn nicht in den Ankündigungen gelesen hätten?) das von DeadHead Concerts alljährlich veranstaltete Ein bunter Topf überlebter... äh...

      "Nein, Quatsch", mischt ein weiterer Offizieller sich ein: "Ein bunter Strauß beliebter Heimatmelodien...!"

      "Genau. Das findet hier ab morgen statt. Gäste sind Inge und Heinz ... oder so, wie heißen die nochmal, Kurt?"

      "Gabi und Alexander, oder?"

      "Marianne und Michael!" sagt ein Dritter.

      Um es kurz zu machen: Trotz der bereits eintretenden Abenddämmerung müsse der Umzug stattfinden. Und, weil sie bald die Hand nicht mehr vor Augen sehen würden, möglichst hopp hopp!

      "Welcher Umzug, wohin denn?" hatte Cameo verzweifelt gebrüllt. Mit Mühe hatte er seinen ersten Text zuende erzählen dürfen.

      "Na, in den kleinen Bruch nebenan!"

      Cameo kannte den nicht, war nie so weit gekommen. Der zweite, kleinere Bruch lag vielleicht zwei- bis dreihundert Meter weiter den immer enger werdenden Waldpfad bergan.

      Sie bahnten sich den Weg durch Dornengestrüpp und dichtes Unterholz, das einen von den Seiten her einschnürte. Duckten sich unter ein tiefhängendes Laubdach, das sich wie ein klösterlicher Säulengang über einem wölbte. Vorbei an vereinzelten knorrigen Fichten, über eine am Eingang zum Bruch wie eine Barriere quer über dem Pfad liegende modernde Buche hinweg.

      Sie hatten sein Lesepodest mitgeschleift, vier Mann, vier Ecken, eine ähnlich zünftig gezimmerte Theke, jeder sein Zelt, Proviant. Wenn gute Reden sie begleiten, dann fließt die Arbeit munter fort. Freilich auch das eine oder andere Büchsenbier.

      Aber, wir wollen dem Lauf der Ereignisse nicht weiter vorgreifen und Cameos erste Geschichte anhören...

      Der Indianer

       Nichts als ein Modellversuch

      Die meisten nannten Bernd, alias Berni, nur noch den Indianer. Das mittlerweile vollgraue Haar hing ihm dürr und fettig bis an die Hüften. Früher, als er noch Bass spielte, war er der erste in der kleinen Stadt gewesen: das pechschwarze Haar hatte ihm schon strähnig bis an die Nieren gereicht, als die anderen sich vielleicht hier und da schonmal vorsichtige Pilzköpfe zutrauten. Die meisten jedoch weiterhin durch übliche Façonschnitte, manche gar von Kaiser Wilhelm-Gedächtnis-Frisuren verunziert wurden. Damals hatte er noch einen einzigen Lederanzug besessen.

      Später, als es ihm selbst noch um die Tiere Leid tat, die bereits dafür gestorben waren (die jetzt, im Nach hinein, zwar nicht mehr gerettet werden konnten, allenfalls in Zukunft alle weiteren), nähte er sich per Hand ein Hemd und eine Hose aus Leinenstoff.

      Er hätte auch gerne Hanffasern verwendet. Aber zu der Zeit, als er sich seine beiden einzigen Kleidungsstücke (abgesehen von einem schweren Lodenmantel seines Vaters, für den Winter, und einem alten Paar Tennisschuhe) selbst herstellte, gab es gerade keinen Hanf. Und das nur, weil einige ihn neuerdings gern rauchten, was wiederum den anderen, die weiterhin lieber, um sich zu benebeln, vergorenen Saft aus Reben oder Gerste und Hopfen tranken, so zuwider war, dass sie seinen Anbau verboten.

      Man konnte den Indianer angeblich bisweilen dabei beobachten, wie er mit Tieren sprach; und die alte Dame, die im Haus nebenan wohnte, bemerkte, dass er sogar seinen Blumen gut zuredete, wenn es donnerte oder kalt war. Er kannte jeden heimischen Pilz, sammelte Kräuter für alle möglichen Malaisen und besaß eine Sammlung an Steinen, die er als Heilsteine bezeichnete und denen er unterschiedlich starke und verschieden wirkende Energien zusprach. Er wusch sich mit Wasser aus einer Regentonne vor seinem kleinen Haus, fuhr nur Fahrrad, kompostierte alle natürlichen Abfälle in einer Kuhle im Garten. Anderer Müll fiel fast überhaupt nicht an. Er hielt sich an die zwanzig Hühner, ein Schwein, ungezählte Katzen und einen Labrador.

      Er wurde belächelt aber geduldet. Bis er diese Maschine erfand. Er bezeichnete sie als seinen Universal-Naturenergetischen Sprach-Konverter. Es handelte sich um eine "ulkige" (befand ein Experte von der Technischen Universität Braunschweig), um eine "groteske Konstruktion aus Holzbrettchen" (fand das Patentamt in seiner schroffen Ablehnung), die er zu einem Kasten zusammengefügt hatte. Der erinnerte entfernt an die alten Spielkraftwerke für Kinder, in denen man ein Brikett verbrannte, woraufhin eine Lampe glühte oder ein Rad sich drehte und ein Schornstein rauchte. In ihrer Mitte befand sich ein, wie er sich ausdrückte, hoch potenter Laserkristall. An den vorderen Teil musste eine Antenne montiert werden, für die er Draht hätte nehmen können. Er verwendete aber lieber einen getrockneten Reetgrashalm, ähnlich dem ersten Glühfaden, den Edison benutzt hatte.

      Mit dieser "lachhaften Konstruktion" (hatte die Zeitung in einer späteren Richtigstellung zu einem "Artikel, den ein junger Volontär versehentlich ungeprüft übernommen hatte", formuliert) redete er angeblich mit der Natur und mit Wesen aus fernen Galaxien. Genauer: mit den "wahren Schöpfern alles irdischen Seins", wie er sich ausdrückte.

      Der Volontär hatte den Text, den der Indianer in einem Kuvert in den Nachtbriefkasten geworfen hatte, ungekürzt abgeschrieben und in die bis zuletzt aufgesparten zwei Spalten für späte Aktualitäten eingepasst (zum Beispiel die Ergebnisse der Champions-League und Uefa-Cup-Paarungen mit deutscher Beteiligung. Oder einfach Unfälle, die sich nach Redaktionsschluss, jedoch noch vor Druckbeginn zutrugen).

      Geschehen konnte dies Malheur ohnehin nur, weil der Chef vom Dienst im Urlaub, sein verantwortlicher Vertreter, der diensthabende Redakteur, krank und der Rest der Redaktion die Nacht betrunken und übermüdet war. Und weil Heinz vom Druck nur zusieht, dass er Text und Bild in die dafür vorgesehenen Aussparungen des Layouts richtig einpasst.

      "Wir wissen, dass uns niemand zuhört. Wir haben ihnen wirklich oft genug die Chance gegeben. Sie könnten es hören, sie könnten es sehen, fühlen, riechen, schmecken. Sie haben es verlernt, über die Jahrhunderte ..."

      hieß es da unter der Überschrift: "Die wahren Schöpfer klagen an".

      Insofern sich heute in Zeitungen alles Mögliche und in einigen weit verbreiteten Blättern zudem allerlei Unmögliches anfindet, dürften die meisten Leser die Kolumne gänzlich übersehen oder vielleicht nur kopfschüttelnd übergangen haben.

      Nicht so Dr. Wolf D. Moyer, Gymnasialdirektor im Ruhestand, ehemals Deutschlehrer, pensionierter Schriftgelehrter also, Sprecher des Kirchenvorstands der Evangelischen Gemeinde Sankt Georg, passionierter Vielleser noch immer, im Fall des Morgenblattes sogar: So-ziemlich-alles-Leser!

      Ihn hatte bereits die Anmerkung aufhorchen lassen: der Indianer habe den Text als intergalaktische Tree-Mail, über World-Wide-Wood als Empfangs- und Verbreitungssystem, aus Richtung eines unbekannten Planeten nahe dem Stern Sirius empfangen.

      "Einige wenige von euch verstehen das Prinzip noch, die australischen Ureinwohner zum Beispiel ..."

      las er weiter. Darunter stand wiederum:

      "Die nordamerikanischen Indianer wussten im Großen und Ganzen auch, was sie zu tun und zu lassen hatten. Aber man hat ihnen ihr Land weggenommen und sie fast vollständig ausgerottet. Es ist vielleicht übertrieben zu sagen, dass sie eins mit ihrer Natur gewesen seien. Sie waren zuerst einmal ziemlich in Einklang mit sich selbst und somit ganz selbstverständlich und mit der nötigen Einfühlsamkeit und Demut ein nicht allzu störender Teil unserer Schöpfung..."

      Doch dann:

      "Klar, auch die Menschen heute sind ein Teil von ihr.

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