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Menschenlos. Wolfgang Dahlke
Читать онлайн.Название Menschenlos
Год выпуска 0
isbn 9783847687252
Автор произведения Wolfgang Dahlke
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Der Betreiber des Copyshops räumte ein, diese wohl in einer größeren Stückzahl vervielfältigt zu haben. Wie viel genau? Das weiß er doch jetzt nicht mehr, vielleicht so 500.
Das kostet ja Geld, oder? Was macht der denn beruflich? Die Nachfrage des Bürgermeisters beim Leiter des Arbeitsamtes ergibt, dass der Indianer von dort Hartz IV erhält, obwohl er wohl beim Sozialamt Hilfe zum Lebensunterhalt beantragt hat.
Offenbar hat der immer noch zu viel Zaster. Kann man ihm da nicht noch was streichen?
Nur, solange er noch nicht Arbeitsunfähigkeitsrente beziehe. Der Hartz IV Betrag sei zwar auch in etwa mit der Sozialhilfe identisch und liege somit an der errechneten untersten Grenze des Überlebensnotwendigen, klärt ihn der Amtsleiter auf. Sollte er sich allerdings weigern, angebotene Jobs anzunehmen oder ein gewisses Maß an Bewerbungen pro Monat nachzuweisen, kann man ihm den Betrag noch um bis zu ein Drittel kürzen.
Dann soll er da mal was unternehmen, poltert der Bürgermeister. Und: da zeigt sich, was auf uns zukommt, wenn wir einen vom Steuerzahler finanzierten Freizeitpark einrichten für arbeitsscheues Gesindel.
*
Der Indianer hatte seinerzeit, nach seiner Einlieferung in die Heilanstalt Liesenberg, die idyllisch gelegen und von Wiesen und Wäldern umgeben ist, überhaupt erst mit diesen Dingen angefangen und seine Ausgänge genutzt, seinen Konverter in die unendlichen Tiefen des Raumes jenseits der Stratosphäre zu richten. Als ihn also jetzt seine alte Psychiatrie als Hilfskraft für einen Euro die Stunde und für leichtere Gartenarbeiten wieder einstellt, kann er in den Pausen und während unbeobachteter Momente bei der Arbeit Gleichgesinnte gewinnen und informieren, kann die Ruhe im Anstaltspark zu weiteren orbitalen Horchaktivitäten nutzen.
Seine Beweise hatte er seinerzeit bereits dem Stationsarzt vorgelegt. Der hatte wohlwollend genickt, ein stärkeres Neuroleptikum verordnete und die Blätter, nachdem der Indianer den Raum verlassen hatte, in den Papierkorb geworfen.
Das wusste der Indianer nicht.
Da er dem Stationsarzt noch immer vertraut, lässt er seine handgeschriebenen Aufzeichnungen diesem nun erneut zukommen. Auch jetzt landen sie ungelesen im Papiermüll.
Dort findet sie die Putzfrau, die sie heraussortiert, weil sie schön sind. Der Indianer hat die Blätter selbst geschöpft und gepresst. In das Zentrum jedes Bogens ist ein Zweig, eine Blüte oder ein Baumblatt eingearbeitet. Auf den Rückseiten kann ihre kleine Tochter malen. Die Werke des kleinen Mädchens landen in einem Ordner, immer zwei bemalte Blätter so in einer Klarsichthülle zusammengesteckt, dass sie je eine bemalte Vor- und Rückseite bilden und die beschriebenen Seiten unsichtbar nach innen aufeinander zu liegen kommen.
So bleiben einige der Dokumente der Nachwelt erhalten, ohne dass dieser der Umstand zur Kenntnis gelangt. Der Indianer weiß es nicht, der Stationsarzt nicht und auch der Bürgermeister hat keinen Schimmer.
Letzteren könnten die Texte womöglich interessiert haben. Schließlich sind sie nicht nur Protokolle ganz unglaublicher Vorkommnisse. Aus ihnen ließen sich mitunter Andeutungen auf spätere Handlungen ablesen. Ob das Wissen um sie das Schicksal des Bürgermeisters abgewendet oder auch nur positiv beeinflusst hätte, bleibt indes reine Spekulation.
*
Auf der Lichtung, auf der der Indianer sich des Öfteren abends nach der Arbeit für längere Zeit aufhält, muss irgend etwas geschehen sein. In der darauffolgenden Zeit stellen die Ärzte bei ihm einen merkwürdigen Gleichmut fest, der anfänglich als Depression diagnostiziert, später als ebenso harmloser wie erfreulicher Glückszustand interpretiert wird. Unter der Hand war er also wieder zum Patienten geworden, der vorübergehend unter Beobachtung stand. Allerdings kriegte er jetzt keine Medikamente und konnte abends raus; und da ging er nach Hause ? wie man zumindest annahm.
Er verbringt aber meist die Nächte auf der Lichtung. Er hat keinen Appetit, spricht mit niemandem mehr, stellt nach und nach seine Besuche bei Patienten, die er kennt, schließlich die beim Stationsarzt ganz ein.
Er fragt auch bei diesem nicht mehr nach, ob der seine Dokumente, wie erbeten, an den Bundespräsidenten weitergeleitet oder wenigstens an die Zeitung geschickt habe.
Hätte jemand die Gedächtnisprotokolle des Indianers, die der Arzt ungelesen im Papierkorb hat verschwinden lassen, zur Kenntnis genommen, könnte in etwa folgender Sachverhalt rekonstruiert werden:
Der Indianer wartet geduldig auf der Lichtung. Er weiß, sie werden kommen. Sie haben sich schon einmal dort getroffen, er und die anderen. Sie hatten ihr Eintreffen angekündigt, aber keine genaue Zeitangabe gemacht. Jetzt ist es tiefe Nacht. Plötzlich kommt ein Sturm auf, dann schießt ein greller Suchstrahl auf ihn zu, eine in gleißendes Licht gehüllte Maschine landet lautlos, eine graue, blass umrissene Figur steht in einer Tür, die sich geöffnet hatte, sie hält ihm etwas entgegen oder zielt auf ihn.
Danach weiß er vorübergehend nichts mehr. Später ist er in einem Raum. Sie untersuchen ihn, stecken Nadeln in ihn hinein, ziehen Flüssigkeiten aus ihm heraus: Blut, Wasser, Sperma; er weiß nicht, was. Sein Gesprächspartner vom letzten Mal ist nicht dabei. Überhaupt redet keiner mit ihm. Die Person, die die Untersuchungen an ihm vorgenommen hatte, war höchstens einen Meter fünfzig groß, besaß einen überproportioniert großen Kopf, in dem sich auffallend dunkle, riesige Mandelaugen befanden. Nach irgendwelchen Geschlechtsmerkmalen war dieses wie auch die anderen Wesen nicht einzuordnen.
Jetzt, da sie offenbar fliegen, ist nur eine Person mit ihm im Raum, die an einer Art Bordcomputer sitzt und ihm den Rücken zuwendet. Auch diese Person spricht ihn nicht an, scheint ihn nicht einmal zu beachten. Zuvor schon haben sie höchstens über ihn gesprochen, nicht mit ihm. Sie wissen nicht, dass er seinen Sprachkonverter in der Tasche an seinem Gürtel hat. Dass er sie versteht und ihr Gespräch belauscht.
"Melde: Haben den Beschluss der Test-Koordinationszentrale 3/VI ausgeführt und Versuch 763 087 abgebrochen."
"Gut, danke. Ihre Meldung ist registriert und wird dann mit Ihrem Abschlussbericht zur späteren Datenlöschung weitergegeben. Eine Frage noch: warum gleich Abbruch?"
"Waren Sie auf der Sitzung 3578 der orbitalen Hauptversammlung des letzten Planungsquartals?"
"Nein, wieso? Erzählen Sie!"
"Une décision a été prise..."
"Scheiße, was ist jetzt wieder? Lasst euren Konverter ganz aus, wir machen das von hier! Warum müsst ihr überhaupt in einer komischen fremden Sprache, die zwischen Du und Sie unterscheidet, mit uns reden, die entweder ihr oder wir erst wieder rückübersetzen müssen, hat das einen Sinn?"
"Ja, während wir senden, empfangen wir auch terrestrische Informationen über ein und dasselbe System. Zum Beispiel haben wir gerade so einen Idioten an Bord, der offenbar früher mal Kontaktmann für euch war und uns für Leute von der Testkoordination hält. Wir arbeiten also, wie ihr, mit dem linguistischen Autokonverter..."
"Na gut, aber warum dann dieses Code-Chaos bei euch?"
"Wir fliegen über einem sehr dichten Code-Massierungsbereich. Der Konverter passt sich fließend der zu erwartenden linguistischen Majorität an, je nachdem, über welchem nationalsprachlichen Segment wir uns gerade befinden. So können wir, wie gesagt, deren Nachrichten sofort dechiffrieren und gegebenenfalls selbst mit ausgesuchten Individuen, denen man trauen kann, in Kontakt treten. Im Moment befinden wir uns noch innerhalb des Reaktionsbereichs, also weniger als dreißigtausend Meter über dem sogenannten deutschsprachigen Raum. Wollt ihr die Länder wissen...?"
"Nein, danke..., sehe ich hier auf dem Monitor!"
"Bewegt man sich auf Sprachgrenzen zu, beginnt das System zu spinnen und mischt schon mal Fragmente des benachbarten Kommunikationssystems mit rein, die aber nicht automatisch angeglichen werden, weil unser Modell im Übergangsbereich etwas schwerfällig reagiert."
"Dann schaltet doch auf manuell um!"
"Das