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Die Prüfung. Ralf Wider
Читать онлайн.Название Die Prüfung
Год выпуска 0
isbn 9783742765314
Автор произведения Ralf Wider
Жанр Языкознание
Серия Ferry Blacks Abenteuer
Издательство Bookwire
Ferry bemerkte, dass sie ihn wiederholt heimlich anstarrte, um schnell den Kopf wegzudrehen, wenn er sich in ihre Richtung drehte. Vielleicht war ihm sein Ruf als ständiger Querulant vorausgeeilt? Oder sie hatte sich über ihn schlau gemacht und herausgefunden, dass er eine Legende war im Corps, mit mehr Kampfeinsätzen und Abschüssen als irgend jemand sonst? Vielleicht gefiel ihr ja auch sein neuer Look? Er musste ob dem Gedanken lächeln, doch schnell wurde er wieder ernst: wo blieb Laura? Seine Untersuchung hatte schon lange gedauert, doch die ihre schien sich noch viel länger hinzuziehen!
Gerade, als er sich aufmachen wollte, um ins Lazarett zu gehen um nachzufragen, was so lange dauerte, öffnete sich die Tür und Laura trat ein, gefolgt von Klara. Lauras Miene nach zu urteilen, war sie alles andere als entspannt. Klara lächelte ihr entrücktes Lächeln wie immer.
"Na endlich!", brummte Ferry. "Kaffee?"
"Hm." Das sollte wahrscheinlich "ja, gerne" bedeuten, vermutete Ferry und beeilte sich, Laura einen doppelten Espresso zu machen. Er reichte ihr die Tasse und sie setzte sich damit wortlos an den Tisch, neben die junge Mitarbeiterin mit den roten Haaren, welche Laura mit grossen Augen anstarrte. Doch Laura schien es nicht zu bemerken. Sie trank langsam ihren Espresso.
"Klara? Auch Kaffee?", fragte Ferry.
"Nein, danke. Ich wollte nur Laura herbringen. Ich muss gleich wieder ins Labor und einige Tests starten. Trinkt ihr ruhig euren Kaffee. Ich komme dann gleich wieder und begleite euch zu Paris. Ferry: wenn du mal Zeit hast, würde ich gerne mit dir über Lauras Beinbruch reden... Das ist überaus interessant! Und Laura: wie gesagt - wenn ihr bei Paris fertig seid, kommst du bitte noch einmal auf die Station, dann sollten die Ergebnisse vorliegen… Tschü-üs, bis gleich!" Mit einem breiten Lächeln war sie auch schon zur Tür hinaus, geschäftig wie immer. Und ebenso kryptisch.
Ferry trat zu Laura und drückte ihre Schulter. Sie sah zu ihm hoch und erkannte seinen fragenden Blick.
"Alles in Ordnung bei dir?", fragte er.
"Weiss nicht... Irgendwas ist Klara aufgefallen, doch ein Gerät scheint kaputt zu sein, also muss sie einen anderen Test machen… Ich bekomme nachher die Resultate. Kann aber nichts Schlimmes sein, sie hat mich für grundsätzlich gesund erklärt… Der Beinbruch war auf dem Röntgenbild kaum zu sehen, Klara hat es fast nicht glauben können!" Sie lächelte ihn an. "Hast du wirklich gut hingekriegt!" Ferry lächelte zurück.
"Wollen wir dann?" fragte er. Laura zögerte.
"Lass mich noch einen Espresso trinken… Die Hinrichtung kann warten." Die strahlend blauen Augen von Petra, die neben ihr sass und so tat, als hörte sie nicht zu, weiteten sich.
"Alles klar, lass dir Zeit. Aber ich bin sicher, dass sich alles aufklären wird...", sagte er und drückte nochmals ihre Schulter. Er beugte sich hinab, um ihr einen Kuss aufs Haar zu geben. Sie duftete frisch, nach Seife und Puder, wie immer… Er liebte diese Frau und er würde sie beschützen!
Petra verschluckte sich an ihrem Cappuccino und entschuldigte sich, um fluchtartig den Raum zu verlassen. Erneut musste Ferry lächeln; das Mädchen war wirklich noch sehr jung und unerfahren. Aber jetzt hatte sie tolles Klatsch-Material, das sie ihren Kollegen von der Schicht erzählen konnte…
Er holte Laura einen weiteren Espresso und stellte ihn vor sie hin; sie schien es nicht einmal zu bemerken, sie war total abwesend. Ferry drehte sich um und begann, das Schwarze Brett zu studieren. Dort hingen immer die neusten News, Angebote von Mitarbeitern von Dingen, die sie suchten oder verkaufen wollten und solche Sachen. Sein Blick blieb an einem offiziellen Schreiben hängen, das zentriert am Brett hing: es trug das Logo des Corps, die parallelen Linien, von denen sich eine der anderen an einem Punkt näherte. Das Schreiben trug die Unterschrift von Master Paris, Leiter P1AF, der Parallel 1 Armed Forces.
Ferry lass das Memo mehrmals durch, die Stirn in tiefe Falten gelegt, dann schaute er auf die Anzeige über dem Eingang, welche Zeit und Datum angab. Dann rechnete er.
"Ich weiss jetzt, was los ist!", konstatierte er. Lauras Kopf fuhr herum, ihre schwarzen Augen geweitet. "Und weshalb die Sprachidentifikation versagt hat…" Ferry deutete auf das Memo.
"Wir sind tot!", sagte er.
"Aber herzlich eingeladen, Morgen an unsere Abdankungsfeier zu kommen. In allen Ehren: Commander Black und Squad Leader Hidalgo, killed in action in feindlichem Gebiet…
Statusänderung von missing in action (MIA) zu killed in action (KIA) und damit als tot erklärt am 6. Mai 2015… Die Abdankungsfeier findet in der Kommandozentrale statt, eine Woche später, Morgen, am 13. Mai…"
Langsam liess er seine Hand sinken und schaute Laura an. Er konnte sehen, dass sie versuchte, zu verstehen, was er ihr gerade mitgeteilt hatte, doch sie schien nicht zu begreifen. Ihr Blick schoss hoch zu der Anzeige. Mit einem ungläubigen Ausdruck im Gesicht starrte sie auf den Monitor. Ferry erkannte, dass es in Lauras Kopf fieberhaft rechnete. Immer wieder schüttelte sie den Kopf.
"Das kann doch nicht sein!", flüsterte sie. "Wir waren doch nur zehn Tage weg! Höchstens zwölf. Ich bin am 6. April losgeflogen…" Sie brach ab. Ferry nickte zustimmend.
"Stimmt. Ich bin dir am 8. April nachgeflogen. Heute müsste nach meiner Rechnung der 18. April sein… Aber offensichtlich haben wir heute den 12. Mai…?"
Betreten schauten sie sich an. "Wie ist das möglich?", fragte Laura. Ferry blickte ratlos drein.
"Der Zeitunterschied von P0 zu P1 kann es nicht sein… Der ist nicht so gross!" Commander Black zögerte, etwas schien ihm durch den Kopf zu gehen. "Eigentlich kann es nur der Flug durch den Nebel sein… Da gibt es grosse Diskrepanzen, manchmal…" Ungläubig blickte Laura zu ihm hoch.
"Wir waren drei Tage im Nebel! Und in dieser Zeit sollen hier über drei Wochen vergangen sein? Hältst du das wirklich für möglich?"
"Es scheint mir die einzige mögliche Erklärung zu sein…" Ferry machte eine lange Pause und grübelte weiter.
"Es muss unendlich hart für Paris gewesen sein, über einen Monat nichts von uns zu hören… Uns für tot erklären lassen zu müssen! Stell dir das mal vor!" Er schüttelte den Kopf und las noch einmal das Memo; er konnte es immer noch kaum fassen. Laura hatte ihr Gesicht in den Händen vergraben und schaukelte sachte mit dem Oberkörper vor und zurück.
"Jetzt verstehe ich auch, warum uns alle wie Gespenster anschauen!", murmelte sie zwischen ihren Händen hervor. Ferry nickte und nahm den Gedanken auf.
"Stell dir mal vor, was durch die Köpfe der Leute hier gegangen sein muss: einen Monat verschollen in feindlichem Gebiet! Da kann alles mögliche passiert sein; wir hätten gefangengenommen werden können, von den Grauen gefoltert, umgedreht, geklont oder kopiert worden sein! Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt! Irgendwie verstehe ich jetzt, dass Paris erst mal wissen wollte, ob wir es wirklich sind…" Er raufte sich mit der Hand durch die Haare. Laura blickte auf.
"Unter diesen Umständen hat sich Paris fast schon zurückhaltend benommen. Er hätte uns auch gleich in Ketten legen lassen können in Essaouira! Andererseits - wir waren nicht weit davon entfernt... Ich kann mir vorstellen, dass Youssef am Ende nicht ganz so hart durchgegriffen hat, wie es seine Anweisungen verlangt haben… Dafür wird er von Paris noch was zu hören bekommen! Aber Youssef kennt uns und hat uns wiedererkannt! Kann für ihn auch nicht leicht gewesen sein…"
Beide blieben einen Moment lang still und gingen die vergangenen Stunden geistig nochmals durch, unter Berücksichtigung der neu erworbenen Fakten. Das ganze Gehabe schien schon ein bisschen übertrieben, aber wenn die Sicherheit des Corps betroffen war, durfte man wahrscheinlich keine Abstriche machen. Es war Paris' Job, übervorsichtig und misstrauisch zu sein.
"Na ihr zwei?", lachte sie von hinten eine Stimme an. "Genug Kaffee gehabt? Man könnte fast sagen, der Kaffee hier weckt Tote auf!" Klara brach ab ihrem kleinen Scherz in ein lustiges, ansteckendes Gelächter aus. Sie war vielleicht ein bisschen seltsam, aber man konnte es ihr nicht übelnehmen. Sie schien ehrlich froh zu sein über ihre Rückkehr.
"Na los, gehen