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Toilette ist gleich da hinten, bei den ersten Häusern." Er zeigte über einen Platz, der den Hafen von der Stadt trennte. Von dem Platz führten mehrere Gassen und Strassen ab; irgendwo dort musste seine Türe stehen.

      Die Zweier-Besatzung kletterte zurück in die Queen, um ihre Sachen zu holen. Ferry fühlte sich plötzlich unendlich müde. So hatte er sich ihre Rückkehr nicht vorgestellt. Auch Laura schien bedrückt zu sein. Schweigend griff sie nach ihrem Rucksack und tätschelte vor dem Aussteigen noch einmal kurz die Armaturen der Queen. Unten angekommen, holte Ferry den Saphir heraus und zu zweit dematerialisierten sie ihr glänzendes, neues Zweier-Schiff.

      Sie beeilten sich, Youssef nachzulaufen, der vorausgegangen war. Kaum waren sie in eine der Gassen eingebogen, sahen sie auch schon die weisse Holztüre. Sie führte zu einer geräumigen Toilette, die mit wunderschönen, handbemalten Kacheln mit Mauresken verziert war. Die Armaturen waren vergoldet. Offensichtlich keine HQ-Toilette. Auf Ferrys fragenden Blick antwortete ihr Gastgeber knapp: "Das ist meine Toilette! Wir gehen erst einmal zu mir nach Hause… Ich wohne gleich hier, in Essaouira." Das erklärte, warum er als Erster zur Stelle gewesen war. Youssef drückte den Home-Button und nach wenigen Sekunden meldete das System, dass sie angekommen waren.

      Youssef öffnete die Tür und führte die beiden Piloten in sein Haus. Es war ein altes Haus, weitläufig, zweigeschossig, es hatte einen Innenhof mit Wasserfläche, auf der Rosenblätter trieben. Es duftete herrlich nach Weihrauch, Amber und orientalischen Gewürzen. Überall lagen und hingen bunte Teppiche. Youssef führte sie zu einer Nische im Patio, die mit bequemen Liegen und bunten Kissen ausgestattet war. Eine grosse Holzschale, übervoll mit Orangen, stand auf einem kleinen Beistelltisch. Der Gastgeber bat sie, sich zu setzen. Er klatschte in die Hände und rief etwas auf arabisch in Richtung einer der reichverzierten und geschnitzten Türen, die von dem Innenhof abgingen.

      Überwältigt von der plötzlichen Farbenpracht, nach so vielen Tagen in grauer und matter Umgebung, liessen sie sich in die Kissen fallen. Ferry sog gierig die süsse Luft ein und Laura seufzte genüsslich.

      "Schön hast du's hier!", staunte sie anerkennend, an Youssef gewandt. Dann zögerte sie einen Augenblick und ihre Züge wurden ernst. "Aber ich denke, wir sollten schnellstmöglich ins Hauptquartier…"

      "Erst gibt es Tee und Gebäck, das schreibt die Gastfreundschaft vor… Paris holt euch ab.", erwiderte der Marokkaner.

      Eine hübsche junge Frau in einer altmodischen Dienstmädchenuniform hatte süssen Tee und klebriges Gebäck gebracht. Laura und Ferry waren hungrig und durstig, und die gereichten Dinge waren eine Wohltat. Youssef war immer noch nicht gesprächiger. Sie hatten noch einmal nachgebohrt, was los sei, doch er hatte nur wiederholt, dass Paris auf dem Weg hierher sei und er ihnen alles erklären könne. Um die peinliche Stille, die darauf folgte, zu überwinden, führte er sie in seinem Haus herum. Im oberen Stockwerk führte er sie durch ein gemütlich eingerichtetes Zimmer auf einen Balkon, der zur Strasse hin ging.

      Draussen war es laut, das bunte Treiben der Stadt drang zu ihnen herauf und sie merkten erst jetzt, dass man von dem Hupen der Autos und Mofas, dem Geschrei der Händler und dem allgemeinen Brummen der Stadt in dem Innenhof nichts gehört hatte.

      Fasziniert betrachteten sie das Gewusel in der engen Gasse unter sich. Alles war voller Farben und Gerüche, Männern in langen Gewändern und Frauen mit Kopftüchern. Die Leute lachten, redeten, tranken Tee oder kauften ein. Ferry und Laura verliebten sich sofort in diese Stadt, die so lebensfroh und bunt war. Nach der Zeit der Isolation, versteckt in Höhlen, ständig auf der Flucht, schien ihnen dieser Ort dem Paradies sehr nahe zu kommen.

      Das hübsche Dienstmädchen mit der dunklen Haut und den markanten Gesichtszügen des Berber-Volkes hatte ihnen nochmals Tee und Gebäck gebracht, auf den Balkon; Youssef hatte sich entschuldigt und war verschwunden. Aneinander gelehnt standen sie auf dem Balkon und genossen die Aussicht, während sie den süssen, duftenden Tee schlürften.

      "Ihr seid also zurück...", tönte ein Bass hinter ihnen; sie fuhren erschrocken herum. Paris war gekommen.

      "Paris!", riefen sie gleichzeitig und strahlten ihn an. Ferry ging mit weit ausgebreiteten Armen auf seinen langjährigen Freund zu, um ihn zu umarmen. Dieser jedoch verschränkte die Arme vor der Brust und schaute Ferry prüfend an. Sein Gesicht schien in Stein gemeisselt zu sein. Keine Regung. Keine Freude, sie wiederzusehen.

      "Commander.", nickte er eine minimalistische Begrüssung. Sehr offiziell. Zu offiziell. Gar nicht freundschaftlich. Paris schaute zu Laura hinüber und bedachte auch sie mit einem Kopfnicken.

      "Hidalgo." Laura erstarrte zur Salzsäule. Normalerweise nannte er sie Laura, oder Squad Leader. Wenn er den Grad wegliess, konnte das nur heissen, dass sie gefeuert war! Ein Kloss bildete sich in ihrem Hals und Tränen schossen ihr in die Augen: ihr schlimmster Alptraum schien gerade Wirklichkeit geworden zu sein.

      Ferry zog die Augenbrauen zusammen, sagte aber nichts. Er musterte seinen Vorgesetzten eingehend: Paris war gealtert. Sein früher fast pechschwarzes Haar war von vielen silbrigen Streifen durchzogen. Wie war das möglich? Sie waren doch gerade mal vielleicht zehn Tage weggewesen?

      "Gehen wir!" Es war ein Befehl gewesen, der keinerlei Widerspruch zuliess und auch ein Zeichen, dass Paris nicht zum Plaudern aufgelegt war. Irgend etwas musste ihm über die Leber gelaufen sein, dachte Ferry.

      Schweigend stellten sie ihre Teegläser ab und folgten ihrem Vorgesetzten, der mit langen, schnellen Schritten vorausging. Wie Kinder, die man gerade ausgeschimpft hatte, trotteten sie schweigend und mit hängenden Köpfen hinter ihrem Vorgesetzten her. Ferry wagte einen Seitenblick zu Laura und sah, dass sie immer noch mit den Tränen kämpfte. Ihre Kieferknochen standen hervor, ihre Lippen waren fest aufeinandergepresst. Er griff nach ihrer Hand und drückte sie, um ihr zu zeigen, dass er bei ihr war und sie beschützen würde. Alles würde sich aufklären und zum Guten wenden. Diese Gedanken versuchte er in den Händedruck zu legen, auch wenn er selbst im Moment nicht davon überzeugt war. Irgend etwas musste vorgefallen sein. Ferry hatte gar kein gutes Gefühl in der Magengegend.

      Sie trafen Youssef vor seiner reichverzierten Toilette und alle vier traten ein. Youssi transferierte sie nach Essaouira-P1, wo Paris' Toilettentür auf sie wartete. Sie stand direkt vor dem Klotz, der in P0 Youssefs Haus war. Es war von weitem zu erkennen, dass es eine Standard-HQ-Toilette war: Paris war also aus dem Hauptquartier gekommen und würde sie vermutlich auch dort hinbringen. Youssef hob zum Abschied stumm die Hand, dann verschwand er wieder mit seiner Toilette.

      Ohne ein weiteres Wort betraten sie die Toilette, mit der Paris gekommen war. Sie war gross genug für alle drei, auch wenn sie sich nicht setzen konnten, doch das war auch nicht zwingend nötig. Paris war vorangegangen, Ferry hatte Laura den Vortritt gelassen und trat als Letzter ein, zog die Türe hinter sich zu und verriegelte sie automatisch. Ohne die beiden eines Blickes zu würdigen, drückte Paris den Knopf für die Destination HQ-P1. Er hatte ihnen den Rücken zugewandt und starrte geradeaus an die Wand; die Arme hatte er wieder vor der Brust verschränkt. Hinter seinem Rücken tauschten sie fragende Blicke aus. Ferry hob die Schultern und machte mit den Händen ein Zeichen, dass er ratlos war und sich keinen Reim darauf machen konnte, was los war. Laura war leichenblass. Sie senkte den Blick und starrte zu Boden.

      Die Monitore zeigten, dass sie unterwegs waren und eine Computerstimme aus dem Off kündigte an, dass sie im Begriff waren, in Zürich-P1 zu landen. Der Countdown begann herunterzuzählen. Die Transferkapsel ruckelte ganz kurz und es folgte ein feines Zischen, ähnlich einem Seufzer, das ankündigte, dass sie gelandet waren. Paris drehte sich um und trat auf die Tür zu. Laura und Ferry drückten sich an die Wand, um ihm Platz zu machen. Ohne sie anzuschauen, entriegelte Paris die Tür, dann hielt er inne. Er drehte sich zu ihnen um und streckte eine Hand aus.

      "Die Waffen!", sagte er. Sein Gesichtsausdruck liess keinen Zweifel darüber offen, dass er es todernst meinte. "Bitte.", knurrte er hinterher.

      Ferrys Ohren begannen zu glühen; er war kurz davor, zu explodieren. Diese Forderung war nicht nur absurd, sondern eine richtiggehende Frechheit! Youssef hätte ihnen die Waffen abnehmen können, doch er hatte es nicht getan. Paris hätte sie ihnen ebenfalls schon in Essaouira abnehmen können und hatte es nicht getan. Warum also jetzt? Was hatte

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