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»Was vermisst du am meisten?«

      »Das ist nicht so einfach zu erklären.« Er atmete tief ein. »Das Gefühl dort zu sein, ist ein anderes als hier. Hier geht es nur um Geld und um Besitz. In Namibia geht es um Gemeinschaft, zumindest da, wo ich herkomme.«

      »Was hältst du davon, wenn wir da hinfahren?«

      »Wir sparen für unser Glück, mein Schatz. Wir haben kein Geld dafür.«

      »Es ist mir egal. Wir müssen auf andere Gedanken kommen, hier gehen wir kaputt.« Sie sprang auf und das erste mal seit Langem war das Lächeln wieder in ihr Gesicht zurückgekehrt.

      Sie verbrachten zwei Wochen in einem kleinen Hotel in Namibia und besuchten die Sehenswürdigkeiten. Antonia verstand sehr schnell, was Lemalian meinte, als er das Lebensgefühl beschreiben wollte. Die Menschen waren warmherzig und freundlich. Nicht weil sie es mussten, sondern weil sie es wollten. Antonia verliebte sich in die Leute und in das Land.

      Gleich am ersten Tag vergaßen sie ihre Sorgen und wenn sie sich liebten, dann aus purer Lust und nicht, weil sie ein Ziel hatten.

      Antonia war traurig, als sie am Ende in Namibia in das Flugzeug stiegen, um wieder nach Deutschland zurückzukehren. Sie vermisste die Kultur und die lieben Menschen, die sie auf ihrer Reise kennengelernt hatten.

      Einen Monat später bemerkte sie, dass ihre Periode ausgeblieben war und als sie eines Morgens einen Test machte, konnte sie es kaum glauben, als sie das kleine Pluszeichen auf dem Schwangerschaftstest sah.

      Sie war außer sich vor Freude und wollte es am liebsten gleich in die Welt hinausschreien, aber sie wusste auch, dass man es nicht vor der zwölften Woche bekannt geben sollte, weil es bis dahin immer passieren kann, dass man das Kind wieder verliert. Sie wollte nicht, dass es passiert und auch auf gar keinen Fall, dass die Leute dann Mitleid mit ihr hatten.

      Als Lemalian abends nach Hause kam, empfing sie ihn mit einem Essen aus seiner Heimat und sie stellte zwei Babyschühchen auf seinen Teller. Er hatte es erst gar nicht bemerkt, aber als er sich an seinen Platz setzte, ging ihm ein Licht auf. Antonia beobachtete ihn genau, um seine Reaktion zu sehen und freute sich umso mehr, als sich seine Mundwinkel nach oben zogen und er freudestrahlend aufsprang.

      »Soll das bedeuten wir bekommen ein Baby?« Er hielt in seiner Freude kurz inne. Aber als sie mit Tränen in den Augen nickte und ihn anlächelte, gab es kein Halten mehr. Er fing an, vor Freude zu schreien. Er ging auf sie zu und nahm sie vorsichtig in den Arm.

      »Wir bekommen ein Baby!« Er schrie es laut heraus und Antonia musste ihn bremsen.

      »Nicht so laut, es soll doch noch keiner wissen.«

      »Wieso? Ich will, dass es alle wissen.«

      »Wir müssen noch warten. Es kann leider noch einiges passieren, deshalb wartet man zwölf Wochen, dann können wir es erzählen.«

      Er legte seine Hände an ihre Schultern und blickte ihr mit ernster Miene in die Augen.

      »Dann darf nichts passieren. Du wirst morgen deinen Job kündigen und du wirst nichts Schweres mehr heben. Ich mach das alles, du kümmerst dich um euch.« Er ging um den Esstisch herum und zog ihren Stuhl zurück. »Setz dich. Ich mach das mit dem Essen.«

      »Das ist nicht so schwer, das kann ich schon alleine.«

      »Nein. Du brauchst Ruhe. Keine Widerrede.«

      Sie setzte sich hin und lächelte. Der Moment war perfekt.

      Zehn Monate später kam der kleine Nico zur Welt. Als der Arzt ihn auf ihren Arm legte, blickten sich Antonia und Lemalian an und beide wussten, was der andere dachte.

      Ein Jahr später wanderten sie nach Namibia aus. Lemalian baute ein Haus in der Nähe von Swakopmund. Sie wollten nicht mehr in einem Land leben, in dem es darum ging Geld zu verdienen, um zu leben, sie wollten für einander da sein und das tun, worauf sie Lust hatten.

      Jetzt saß er hier vor ihr. Sie nannte ihn immer ihr kleines Wunder. Er war so schnell groß geworden. Sie konnte immer noch seinen kleinen Körper auf ihrer Brust spüren, wenn er am Anfang noch mit in ihrem Bett geschlafen hatte. Er war doch eben erst geboren und schon war aus ihm ein Teenager geworden, der selbstbewusst und stark war. Gerade noch hatte sie den Wunsch, ein Kind zu bekommen und schon bald würde er auf eine Uni gehen und studieren. Sie sehnte sich nach der Zeit, als er ein Baby war.

      »Du musst bald herunter kommen, Schatz. Wir bekommen gleich Besuch und du musst dich noch waschen.« Nico sorgte sich ein bisschen um seine Mutter. Sie wirkte in den letzten Wochen sehr müde und ihre Haut war noch blasser als sonst. Sie hatte ihm zwar gesagt, sie hätte nur eine Erkältung, aber diese dauerte jetzt schon ein paar Tage.

      »Kann ich nicht hier oben bleiben? Ich möchte nicht mit diesen Leuten reden.«

      »Dein Vater möchte einen guten Eindruck machen, da ist es nicht hilfreich, wenn sein Sohn auf dem Dach sitzt. Also komm bitte gleich runter.« Sie lächelte ihn an.

      »Okay Mama.«

      Sie war bereits wieder auf dem Weg nach unten. Er wollte nicht runter. Viel lieber wollte er die letzten Tage, die er vor seiner Abreise noch hatte, hier oben verbringen. Er wusste, dass es in Deutschland im September sehr kalt sein konnte und da wollte er noch etwas Sonne tanken.

      Er guckte in die Ferne, dieses Mal jedoch in die andere Richtung. Dorthin, wo die Staubwolke zu sehen war, die von dem Auto stammte, das gerade eine Gruppe Männer zu ihrem Haus brachte. Sie waren noch ein paar Kilometer entfernt und obwohl Nico nicht wusste wieso, bekam er große Angst.

      Vielleicht wäre ja alles anders gekommen, wenn er damals auf sein schlechtes Gefühl gehört hätte.

      Nordsee, 10 Seemeilen vor Brunsbüttel , 2014

      Die Leute denken immer, dass wir Kieler, nur weil wir am Meer wohnen, alle surfen, segeln oder den ganzen Sommer über im Wasser planschen. Allerdings glaube auch ich, dass jeder Tiroler Ski fährt und die Schweizer nur Schokolade essen. So viel zum Thema Vorurteile.

      Ich für meinen Teil meide das offene Meer, so gut es geht. Ich habe eine gesunde Angst vor Haien. Natürlich behaupten meine Freunde, es gäbe keine Haie vor unseren Küsten, die mich beißen könnten, aber ich traue diesen Aussagen nicht. Dass so ein Vieh mal hier auftaucht, finde ich sogar eher wahrscheinlich, da es auch schon Pottwale in die Förde geschafft haben. Und wenn es dann doch passiert, denkt sich so ein Hai vielleicht: »Cool, ich bekomme die Gelegenheit und kann deutsches Essen ausprobieren.«

      Das Letzte, was ich brauchen konnte, war auf der Titelseite des Kieler Tagesblattes zu stehen. Ein großes Foto von mir in Badehose, mit zwei nach oben gestreckten Daumen, breit grinsend und dem Titel »Unfassbar! Der erste Haiangriff vor der Kieler Küste und gleich ein Todesopfer.«

      Außerdem finde ich es unheimlich, dass unter mir nichts außer Dunkelheit ist und mich dann womöglich noch etwas am Fuß streift. Genauso beschissen aber wäre es, wenn ich die Zähne im klaren Wasser erkennen könnte, bevor sie sich in meinen Arsch graben. Da es in diesem Fall keine Kompromisslösung gab, musste ich dem Badespaß im offenen Meer eben fernbleiben.

      Die Strände in Kiel und der Umgebung sind im Sommer eh überbevölkert, zu viele Leute auf zu wenig Raum. Da reiht sich ein Handtuch an das andere und wenn man versehentlich mal eindöst und sich dreht, kann es passieren, dass man plötzlich auf der Frau von einem Anderen liegt. Und dann sind da noch die schreienden Gören, die durch den Sand wetzen und dafür sorgen, dass ich mich später wie Schmirgelpapier fühle.

      Da bleibe ich lieber in meinem Garten. In der linken Hand ein kühles Blondes, am liebsten aus der Dose! Das wirkt cooler und in der Rechten schon das Nächste. Meine Beine baumeln dabei im kühlen Wasser des Planschbeckens und dass mich in der 1-Quadratmeter großen Wasserlache etwas anknabbert, ist so gut wie ausgeschlossen. Angeblich halten die Nachbarn die Fenster und Türen geschlossen, weil sie den bissigen Chlorgeruch nicht ertragen können. Dabei halte ich 10 Multitabs durchaus für angebracht. Das Einzige, was ein bisschen komisch aussieht, sind meine weißen

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