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Stelle, an der seine gebrochenen Rippen schmerzten und humpelte zur Konsole hinüber, an dem das Funkgerät angebracht war.

      Er hörte Schritte und drehte sich zu Tür um, durch die er eben selber die Brücke betreten hatte. Er erschrak, denn da stand es. Blickte ihn direkt an. Carsten machte einen Schritt zurück und stolperte, so dass er auf dem Hintern landete. Er neigte den Kopf zur Seite und sah, dass er nicht mehr weit weg vom Funkgerät war. Er robbte rückwärts zur Konsole und guckte dabei zum Eingang. Es war groß, hatte ein getigertes Fell und dunkle schwarze Augen, die mit einer leuchtenden gelben Iris durchzogen waren. Es sah aus wie ein Tiger, nur dass es nicht auf allen Vieren lief, sondern aufrecht stand. An den Pfoten prangten lange scharfe Krallen und in seinem Maul konnte er die Reißzähne erkennen, an denen der Speichel herablief. Es hatte den Kopf auf die Seite gelegt, so als würde es sich erstmal anschauen, was sein Opfer als Nächstes machen wollte. Ohne dabei die Gefahr zu sehen, dass es ihm entkam.

      Carsten stieß mit dem Rücken gegen die Konsole und griff mit der rechten Hand nach oben, um den Hörer vom Pult zu nehmen. In diesem Moment kam es mit langsamen Schritten auf ihn zu.

      Er drückte den Sprechknopf.

      »SOS! Hilfe! Bitte helfen Sie uns! SOS!«, brüllte er.

      »Hier spricht die Küstenwache. Identifizieren Sie sich und nennen Sie uns ihre Position!«

      »Mein Name ist Käpt´n Carsten Svensson, ich bin auf der Samphire.«

      »Bitte geben Sie uns ihre Position durch.«

      »Wir brauchen Hilfe!« Es stand bereits fast vor ihm.

      »Was haben Sie für einen Notfall?«

      »Es hat alle getötet und jetzt ist es hinter mir her.«

      »Carsten, Sie müssen mir sagen, wo Sie sind, ansonsten...« Der Funk wurde kurz unterbrochen. »Warten Sie, ich habe Ihr AIS Signal lokalisiert. Bleiben Sie ruhig, wir schicken jemanden zu Ihrer Position.«

      Nur noch zwei Schritte, dann würde es direkt über ihm stehen.

      »Zu spät! Es wird mich töten.«

      »Wer wird Sie töten? Carsten?«

      »Das Monster!«

      Carsten sackte am Pult zusammen und der Hörer fiel ihm aus der Hand. Er legte sich auf die Seite. Der Kopf des Monsters war direkt über ihm. Carsten zog die Beine an seine Brust und fing an, vor und zurück zu wippen. Er schloss die Augen und begann, ein Gebet zu sprechen. Er spürte den warmen Hauch von der Bestie, die jetzt bis zu seinem Gesicht an ihn herangekommen war. Er fühlte die Haare, die ihn berührten, roch den stinkigen Atem und hörte das Knurren, das aus der Kehle kam.

      Er hatte Angst. Aber er wusste, dass er nichts tun konnte, um seinem Schicksal zu entrinnen. Ein brennender Schmerz begann sich in seiner Brust auszubreiten und dehnte sich aus, so als würde er aufgeschlitzt werden. Er wollte sich nicht mehr wehren. Es sollte endlich vorbei sein.

      Der Schmerz wurde unerträglich und er schrie noch einmal laut auf, bevor sein Verstand die Oberhand gewann und Carsten in eine tiefe Dunkelheit schickte.

      In der Nähe von Swakopmund, Namibia 2004

      Der kleine Junge saß auf dem Dach seines Elternhauses und genoss die unendliche Weite, die er von dort überblicken konnte. Der rote Sand der Savanne und die flirrende Luft darüber wirkten so, als würde der Boden wie ein schier endloser Teppich aus kleinen Flammen ewig brennen. Die dicken Stämme der Schirmakazien ragten aus dem lodernden Boden heraus und ihre Blätterdächer, die wie grüne aufgespannte Sonnenschirme aussahen, spendeten den Gazellen, die darunter lagen, ein wenig Schatten. Einige fraßen die dürren Halme des ausgetrockneten Steppengrases, andere wiederum dösten einfach vor sich hin.

      Nico konnte bis an den Horizont blicken, wo sich die Berge vom Namib Naukluft Park in den tiefen blauen Himmel erstreckten. Sie wirkten mit einer unheimlichen Anziehungskraft auf ihn. Manchmal verfingen sich ein paar Wolken an ihren weißen Spitzen und als wären die hohen Gipfel mit etwas Klebrigen eingeschmiert worden, dauerte es sehr lange, bis diese sich wieder lösen konnten. Er wusste, dass es dort einen Ferienkomplex gab, aber dieser Ort lag viele Kilometer von ihm entfernt.

      Obwohl es nicht viel war, was es zwischen dem Haus, in dem er lebte und den Bergen zu sehen gab, kannte er keine schönere Beschäftigung als seinen Blick über die Wüste gehen zu lassen.

      Sein Vater hatte die Lehmhütte vor vielen Jahren mit Hilfe der anderen Einwohner dieses kleinen Dorfes am Rande von Swakopmund gebaut. Es gab insgesamt zehn weitere Familien, die hier lebten. Alle hatten ihre Häuser so aufgebaut, dass sie in einem Halbkreis nebeneinander standen. Zwischen den Gebäuden gab es viel Platz, da einige Dorfbewohner Tiere hielten und andere Gemüse anpflanzten. Sie versorgten sich gegenseitig mit Nahrung und nur, wenn etwas übrig blieb, fuhren die Männer mit den Waren in die Stadt und verkauften sie an die dortigen Straßenhändler. Das verdiente Geld wurde aufgeteilt und für Material ausgegeben, um die Häuser zu reparieren oder zu renovieren.

      Das Frühjahr lief gut für Nicos Familie, so dass sein Vater von dem Geld Holz kaufte und die Wände des Wohnzimmers damit verkleidete. Es sah jetzt sehr luxuriös aus und der Junge war stolz darauf. Die anderen Räume des Hauses waren von innen wie auch von außen aus Lehm. Die Fenster waren mit dreckigen Laken verdeckt, die tagsüber mit Wasser benetzt wurden, damit es in den Zimmern ein wenig Abkühlung gab. Leider gab es keine anderen Kinder in der Siedlung, so dass er sich alleine beschäftigen musste. Sein Vater hatte den ganzen Tag mit den Ziegen im Stall zu tun und seine Mutter kümmerte sich um das Gemüse im Garten.

      Die Sonne brannte unerbittlich auf ihn herab, doch die Hitze machte ihm nichts aus. Seine hellbraune Haut absorbierte die Strahlen. Die Mittagszeit war die heißeste Phase eines Tages in Namibia. Das Thermometer zeigte vierzig Grad im Schatten an und auf offener Fläche herrschten bis zu fünfzig Grad.

      Nicht einmal sein Vater schaffte es lange in der Wärme auszuhalten und das, obwohl er in Namibia geboren wurde. Er hatte bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr hier gelebt und war dann nach Deutschland ausgewandert, um dort zu studieren.

      Auch heute hatten sich ein paar Gazellen in einiger Entfernung zum Grasen niedergelassen. Die meisten von ihnen hockten auf dem Boden und hatten ihre Augen geschlossen. Nur vereinzelt standen welche und fraßen. Immer wieder streckten sie die Köpfe hoch, um nach Feinden Ausschau zu halten und wenn sie sich in Sicherheit wähnten, fraßen sie weiter.

      Der Junge hatte schon oft gesehen, wie Löwen die Gazellen jagten. Erst trennten sie die schwächeren Tiere von der Herde. Es waren meistens die Jüngeren oder Kranken und dann schnappten sie gnadenlos zu. Er war fasziniert davon, wie effektiv, erbarmungslos und gezielt diese Jagd ablief. An diesem Tag jedoch schien es keinen Angriff mehr zu geben. Manchmal stellte er sich vor, dass er ein Tiger war, der auf die Jagd ging und dann die Löwen verfolgte. Er wäre der König der Wüste. Er wusste, dass es keine Tiger in Afrika gab, deshalb war er sich sicher, dass er der unangefochtene Herrscher über alle Tiere sein würde.

      Am Vormittag fuhr sein Vater ihn mit einem alten Toyota nach Swakopmund, wo er zur Schule ging. Obwohl der Wagen den Dorfbewohnern gemeinsam gehörte, war sein Vater der Einzige, der ihn nutzte.

      Er ging sehr gerne zur Schule und war der Beste in seiner Klasse. Seine Lieblingsfächer waren Deutsch und Chemie. Er lernte sehr viel mit seinem Vater, der selber Chemiker geworden war und ihm alles zeigte, was er wusste. Das Periodensystem kannte er bereits auswendig, noch bevor er in die vierte Klasse ging und auch im Deutschunterricht war er allen anderen Kindern einen großen Schritt voraus. Seine Mutter kam aus Deutschland. Sie war eine hübsche Frau, wie er selber fand und obwohl sie täglich der Sonne ausgesetzt war, weil sie im Garten Gemüse anpflanzte und fast den ganzen Tag damit beschäftigt war es zu hegen, blieb ihre Haut blass. Sie war blond und damit fiel sie in der Bevölkerung Namibias natürlich auf. In der Stadt nannte man sie bloß die Duitse, was afrikaans für »die Deutsche« war. Es war jedoch nicht abfällig gemeint. Die Leute liebten sie, weil sie freundlich und warmherzig war. Sie gab den Menschen in den Geschäften immer Tipps, wie man die deutschen Gerichte würzen sollte und hin und wieder

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