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Er musste fliehen. Er machte einen Schritt nach rechts und in der Sekunde, als er an den Flammen vorbei ging, stieß er gegen etwas Weiches. Ein quiekender Laut entwich seiner Kehle und er erstarrte in der Bewegung. Vorsichtig, beinahe behutsam, hob der die Hände, um zu fühlen, was sich ihm in den Weg gestellt hatte. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, als er bemerkte, dass es keine Einbildung war. Der linke Zeigefinger traf zuerst auf das Hindernis. Es stand direkt vor ihm, da gab es nicht den Hauch eines Zweifels. Er sog die Luft ein, als er die Haare fühlte, die seine Finger jetzt berührten und sprang zurück.

      Mit einem ohrenbetäubenden Knall zersprang die Vitrine aus Kristallglas hinter ihm an der Wand. Mit aufgerissenen Augen wartete er auf den unvermeidlichen Aufprall auf dem Boden. Er spürte wie die scharfen Kanten, des zerschmetterten Glases, tiefe Schnitte in seiner Haut hinterließen. Unter ihm breitete sich eine Lache aus einer Mixtur der exklusivsten Whiskeys, Weinbrände, Rums und Wodkas aus.

      Wie hatte es so weit kommen können? Noch vor zwei Tagen hatte er die Samphire aus der Werft in Southampton aus der Inspektion abgeholt. Carsten mochte es nicht, wenn er sein geliebtes Schiff aus der Hand geben musste. Für ihn waren die Leute, die die Wartung durchführten, allesamt Stümper. Schmierige Typen, die nach jedem Besuch behaupteten, dass er gerade noch rechtzeitig gekommen sei, um größere Schäden zu verhindern. Ein guter Kapitän aber kennt sein Boot und weiß am besten, was es braucht.

      Eine Inspektion und der damit verbundene dreitägige Stopp in England kostete ihn immer ein kleines Vermögen, ganz zu schweigen davon, dass er in dieser Zeit keine Gäste befördern konnte. Normalerweise schwimmt die Samphire in den Gewässern, rund um die Kanarischen Inseln und vor Afrika. Sie bringt die Reichen und Schönen vom Kieler Hafen aus über den Nord-Ostsee Kanal, entlang an der europäischen Küste bis nach Gran Canaria, Teneriffa, Fuerteventura und anschließend den afrikanischen Kontinent hinunter bis nach Kapstadt. Die Reise war nicht besonders günstig. Die Yacht hatte sechs Kabinen, von denen eine für die Crew war und die anderen Fünf für die jeweiligen Gäste. Zeitweise waren zehn Reisende und vier Stewarts an Board. Der Preis für eine Fahrt lag pro Person in einem hohen sechsstelligen Bereich, dafür hatten die Passagiere jedoch alles inklusive und genossen den höchsten Luxus. Es ging also weniger um das Ziel, sondern vielmehr um die Reise.

      In den Kreisen der Highsociety kannte man ihn und diese Überfahrten. Die Kunden kamen von überall aus der Welt angereist und jeder, der sich für etwas Besonderes hielt, musste sie mitgemacht haben. Es dauerte teilweise bis zu einem Jahr, um einen Platz auf der Yacht zu bekommen.

      Natürlich erwarteten die Gäste für einen so hohen Preis, dass er ein makelloses Wartungsbuch vorweisen könnte.

      Wenn die Passagiere schliefen, saß er auf der Brücke und genoss die Aussicht über die dunkle See. Er vermied es, zu schlafen solange es ging, denn ansonsten träumte er jede Nacht von dem Vorfall, der sich vor zehn Jahren abgespielt hatte und wachte dann schweißgebadet in seinem Bett auf.

      Da er ohnehin nicht viel Zeit in seiner Kajüte verbrachte, gab es keine Notwendigkeit diese großartig einzurichten.

      Drei mal drei Meter, mehr Platz gab es dort nicht, aber es reichte, um ein Bett aus einem einfachen Holzgestell unterzubringen, dass so aussah, als wenn er es aus einer Jugendherberge gestohlen hätte. Aus einem Bullauge in der Mitte des Raumes konnte er auf die offene See blicken und direkt darunter hatte er einen Sekretär untergebracht, auf dem das Logbuch lag. Es gab weder Fotos noch Bilder von Familienmitgliedern, was daran lag, dass seit dem Kauf der Samphire, niemand mehr mit ihm verwandt war.

      Carsten hatte seine Kajüte direkt neben der Brücke einbauen lassen, so dass er im Notfall sofort vor Ort wäre.

      Seine Exfrau Alisha hatte sich vor sechs Jahren von ihm scheiden lassen und Kinder gab es keine. Carsten war über beide Ohren verliebt und ignorierte die Tatsache, dass eine so junge und wunderschöne Frau sich in einen wie ihn fast unmöglich verlieben würde. Sie war von Anfang an auf sein Geld und eine deutsche Staatsbürgerschaft aus.

      Er hatte sie bei seinem Aufenthalt in Afrika kennengelernt. Einen Tag nachdem das grausame Ereignis passierte, welches ihm seither schlaflose Nächte bereitete. Alisha schaffte es in kürzester Zeit, ihn um ihren Finger zu wickeln, indem sie ihn umwarb und auch im Bett keine Grenzen kannte.

      Da weder sie noch er eine Familie vorweisen konnte oder Freunde, die es Wert gewesen wären, sie einzuladen, feierten die Beiden ihre Hochzeit nur zu zweit.

      Nachdem Alisha es die vorgeschriebenen zwei Jahre mit ihm ausgehalten hatte, schob sie ihm pünktlich zum zweijährigen Hochzeitstag die Scheidungspapiere über den Tisch. Sie machte zuvor nie den Eindruck auf ihn, als wenn sie ihre Gefühle nur vortäuschen würde. Doch an diesem Tag war jegliche Liebe und Zuneigung von ihr gewichen. Sie blickte ihn mit Verachtung an und erst, als er sah, um was es sich handelte, verstand er.

      Den Gewinn, den er mit den Überfahrten verdient hatte, musste er mit ihr teilen, was ihr ein paar Millionen einbrachte. Es störte ihn jedoch nicht, er brauchte kein Geld. Er lebte auf der Samphire und alles, was er zum Leben benötigte, hatte er dort.

      Erst als sie auch an die Yacht wollte, lief Carsten zur Höchstform auf. Es gab eine Schlammschlacht, die er am Ende für sich entscheiden konnte, da er die Benetti weit vor ihrer Ehe gekauft hatte.

      Seine Exfrau kaufte sich von seinem ehemaligen Vermögen ein Haus in Norderstedt. Eine riesige weiße Villa inmitten einer grünen, weitläufigen Landschaft.

      Carsten selbst machte einfach da weiter, wo er einen Tag vor ihrem zweiten Hochzeitstag aufgehört hatte. Er brachte Touristen von Kiel nach Afrika. Carsten ließ es sich nicht anmerken, dass er in Scheidung lebte und wenn einer seiner Gäste fragte, wo Alisha war, behauptete er einfach, sie wäre zu ihrer Familie nach Afrika zurückgegangen. Zum Glück stiegen die Passagiere immer in Kapstadt aus und nahmen dann ein Flugzeug für die Heimreise. Er bot grundsätzlich nur eine Hinfahrt an. Die Strecke nach Kiel zurück, fuhr er ausschließlich mit der Mannschaft.

      Er gab sich stets charmant gegenüber seinen Kunden und diese würden ihn als herzensguten Menschen darstellen. Dennoch war Carsten kein geselliger Mann. Er mochte die Ruhe und fühlte sich wohler, wenn er alleine sein konnte. Er hatte ausgerechnet, dass allein die Hinfahrt seine Kosten deckte und einen ordentlichen Gewinn einbrachte. Die Reise zurück nach Kiel nutzte er, um für sich sein zu können. Seine Crew wusste das und ließ den Kapitän mit seinem Ruder alleine.

      Die Samphire zu kaufen war eine spontane Idee. Er hatte sich damals schnell in sie verliebt, fast noch schneller als in Alisha. Dieses Boot zog ihn magisch an. Es schien ihm seinerzeit wie ein Wink des Schicksals zu sein. Er bekam die Yacht angeboten und kurz zuvor erst die Mittel, um sie sich überhaupt leisten zu können.

      Nie wäre ihm der Gedanke gekommen, dass ein Leben auf See etwas für ihn sein könnte. Er hatte früher einen Doktortitel besessen und war Theoretiker, kein Praxismensch. Die Situation erforderte es jedoch, dass er umdisponieren musste und kaum hatte er den Anker das erste Mal gelichtet, spürte er eine Vertrautheit, wie sie zuvor nie da gewesen war. Er fühlte die Freiheit, verglich sich mit Kapitän Nemo. Der gesamte Ozean der Welt lag ihm zu Füßen, er konnte alles machen, was er wollte. Es gab niemanden mehr, der ihn herumkommandieren würde. Er traf ab jetzt seine Entscheidungen selber.

      Ein einziges Bild hing in seiner Kajüte direkt über dem Bett. Es war ein Ölgemälde von ihm selbst. Ein Künstler namens Jacque DeFleur hatte es einst gemalt, während er Gast an Bord der Samphire war. Carsten mochte den Kerl nicht besonders. Er hatte eigentlich so gut wie keine Vorurteile, aber dieses tuntige, metrosexuelle Verhalten, das er an den Tag legte, machte ihn aggressiv. Jede noch so kleine Welle war für Jacque wie ein perfekter Pinselstrich der Natur. Carsten fürchtete die abendlichen Rundgänge über sein Schiff. Er hatte Angst davor, dass er Jacque eines Tages dabei erwischen würde, wie er onanierender Weise an der Reling stand, weil ihm der Anblick des Mondes, wie er sich auf der Wasseroberfläche spiegelte, erregte. Als sie dann im Hafen von Kapstadt einliefen und sich alle voneinander verabschiedeten, überreichte Jacques ihm das Gemälde. Carsten überkam sofort ein schlechtes Gewissen. Hin und wieder schickten die Passagiere ihm eine Ansichtskarte aus dem Urlaub nach der Überfahrt, die er meist direkt in den Müll warf, aber noch nie bekam er etwas so Persönliches von einem Gast

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