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Monster. Manuel Blötz
Читать онлайн.Название Monster
Год выпуска 0
isbn 9783742777461
Автор произведения Manuel Blötz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Die Augen taxierten jeden Betrachter mit einem finsteren Blick, der aus allen Winkeln des Raumes so aussah, als würden sie einen genau beobachten.
Er verbrachte nie viel Zeit in seiner Kajüte. Die Brücke war sein Wohnzimmer und das verließ er nur dann, wenn es unbedingt nötig war. Nur dort fühlte er sich wohl, denn hier hatte er die Kontrolle über sich und alles andere.
Doch heute war es anders. Er saß nicht auf dem lederbezogenen Stuhl hinter den riesigen Fensterscheiben, von wo aus er den Bug und die offene See sehen konnte. Er kommandierte nicht seinen Steuermann und auch nicht die restliche Besatzung. Er war nicht mal auf seiner Brücke.
Er lag in den Scherben der Vitrine, die eben noch mit den teuersten alkoholischen Getränken gefüllt war. Nur sehr langsam kam er wieder zu sich. Er konnte sich an alle Einzelheiten seiner Vergangenheit erinnern. Daran, wie er und Alisha sich zum ersten Mal küssten oder wie er den Rumpf der Samphire mit den Händen berührte, kurz nachdem er sie gekauft hatte. Er besaß ein aldetisches Gedächtnis! Selbst wenn er es wollte, konnte er nichts vergessen. Und dennoch war dort eine Lücke. Jedes noch so kleine Detail brannte sich in seine Erinnerungen ein, als wären es Meilensteine in seiner Geschichte. Nur die letzten vierundzwanzig Stunden fehlten ihm, als wenn sein Gehirn versäumt hätte, sich einzuschalten und die Erlebnisse abzuspeichern.
Carsten drehte sich auf den Bauch. Er blickte wie durch einen Wasserfall, denn seine Tränen sammelten sich vor der Netzhaut. Die Schmerzen, die die Einschnitte des Glases bei jeder Bewegung hinterließen, waren unerträglich. Seine Arme und Beine fühlten sich schlaff an, so als hätte er einen Marathon gelaufen und dabei die ganze Zeit Gewichte gestemmt.
Nur mit viel Mühe richtete er sich auf und seine Hände griffen nach dem Mahagonitisch. Das Feuer, das er eben noch sah, war erloschen. Es gab keine Glut. Keinen beißenden Geruch. Nichts, was auf einen Brand hinwies. Spielte sein Gehirn ihm Streiche? Dachte er sich das alles nur aus?
Sein Blick ging verwirrt zu den Punkten im Raum, an denen er die Türen vermutete. Es war noch immer stockdunkel. Jemand musste den Strom abgeschaltet haben. Aber wer? Und wiese sprang die Notbeleuchtung nicht an? Normalerweise dauerte es nur zwanzig Sekunden. Er irrte jedoch seit mehreren Minuten in der Finsternis herum.
Carsten tastete sich langsam in Richtung der Treppe vor, die zur Brücke hoch führte. Er wurde wieder panisch und sein Herz klopfte vor Angst so heftig unter der Brust, dass es jeden Moment zu explodieren drohte. Im fiel wieder ein, dass er gejagt wurde.
Er hörte Schritte. Schwere Schritte. Er spürte, wie es ihn beobachtete.
Ich kann es hören, es wird mich töten. Er wollte nicht sterben.
Wieder ein Flüstern. Dann schlug eine große Welle gegen die Samphire und brachte sie fast zum Kentern. Die anderen Gläser und Flaschen rissen aus ihren Halterungen und wurden an die holzvertäfelte Wand geschleudert. Sie zersprangen laut in ihre Einzelteile. Carsten wurde erneut auf die Seite gerissen.
Als sich das Boot wieder aufrichtete, kam er zurück auf die Beine und verstand die Welt nicht mehr. Noch vor ein paar Sekunden lag die Samphire ruhig in der See und plötzlich waren sie in einen Hurrikane geraten?
Er spürte einen Windzug, dann einen warmen Hauch in seinem Nacken, so als würde jemand hinter ihm stehen. Er wirbelte herum, doch als seine Hände in die Dunkelheit griffen, war dort nur der leere Raum.
Wo war es hin? Hatte es ihn mittlerweile umkreist? Lauerte es auf dem Tisch und kostete seine Angst aus? Ich kann es hören. Ich höre, wie es atmet.
Carsten suchte wieder nach der Treppe. Er lauschte angestrengt, woher das Atemgeräusch kam.
Flüstern. Und dann war es still. Kein Geräusch, keine Atmung mehr. Nur seine Eigene. Die Samphire lag wieder ruhig in der See. Carsten tastete in seiner Umgebung nach bekannten Gegenständen, um sich erneut zu orientieren. Er griff nach links und nach rechts. Suchte nach dem Tisch, konnte ihn aber nicht finden. Eben war er doch noch da. Wo war er hin? Stattdessen ertasteten seine Finger etwas, was ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Er spürte die Haare und war sich sicher, dass es keine Einbildung war. Es stand jetzt direkt neben ihm.
Seine Gedanken überschlugen sich, die Augen suchten fieberhaft in der Dunkelheit nach der Treppe, doch er sah nur Schwärze und hatte plötzlich keine Ahnung mehr, wo er war.
Doch plötzlich sprang die Notbeleuchtung an und tauchte den Raum in ein bedrohliches Rot. Waren tatsächlich nur zwanzig Sekunden vergangen? Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Wie konnte das sein? Oder wurde sie manipuliert?
Carsten war erleichtert, doch als die Umrisse vor ihm anfingen, Formen anzunehmen, verschlug es ihm den Atem. Für einen kurzen Moment stand er auf der Stelle. Unfähig auch nur einen Muskel zu bewegen und versteinert vor Angst. Jetzt war es soweit, die Jagd hatte ein Ende. Es kauerte direkt vor ihm, keinen Meter entfernt und regte sich nicht. Sein Herz sprang ihm fast aus der Brust. Er schloss die Augen und rannte los, in der Hoffnung den Körper vor ihm aus dem Weg zu rammen. Durch das Notlicht wusste er nun, wo die Treppe war und während er darauf zu rannte, prallte er ständig gegen etwas Weiches. Hände griffen nach ihm, versuchten, ihn festzuhalten. Er wandte sich, wich aus. Wie schaffte es dieses Ding, immer wieder ihn zu überholen und sich ihm in den Weg zu stellen?
»Lass mich los, lass mich in Ruhe!«, brüllte Carsten. Er erreichte den Aufgang und nahm jeweils zwei Stufen auf einmal. Er hielt inne. Die dicke graue Stahltür, die die Brücke vom Rest des Schiffes trennte, war verschlossen. Er hatte sie offen gelassen. Er sperrte sie nicht ab, wenn er keine Gäste beförderte.
Er griff nach dem großen Hebel und versuchte ihn nach unten zu ziehen, doch sie schien zu klemmen. Wieder Schritte. Dieses mal deutlich lauter. Es gab keinen Zweifel. Es ging auf ihn zu. Panisch mobilisierte er seine letzten Kraftreserven und schaffte es schließlich, den Hebel nach unten zu ziehen. Er sprang durch die Tür und wollte sie gerade zuwerfen, als er einen Schatten sah, der die Treppe hochkam.
Carsten drehte sich um. Er stand auf der Brücke.
Sein Blick ging durch den Raum. Er suchte den Schatten, doch er war alleine.
Wieder ein Flüstern. Carsten schloss die Augen. Er presste die Lider so stark zusammen, wie er nur konnte. Das Alles musste er sich einbilden. Anders konnte er es sich nicht erklären.
Er atmete einmal tief ein und wieder aus, bevor er die Augen öffnete.
Sein Herz setzt einen Schlag aus, als er aus dem Fenster vor sich sah. Der Horizont kippte plötzlich nach oben und er selber drohte nach hinten zu fallen. Instinktiv krallte er sich an dem Kapitänsstuhl fest und wartete auf das Unvermeidliche. Er konnte kurz einen leichten Schimmer sehen, an der Stelle wo der Mond hinter den Wolken lag. Ein paar Sekunden lang herrschte Stille. Fast so, als hätte jemand die Zeit eingefroren. Dann kippte die Samphire von der Welle und rauschte nach unten. Carsten sah die harte Wasseroberfläche, auf die sein Schiff jetzt zuraste.
Für Sekunden war er schwerelos und seine Beine hoben ab. Sein Griff wurde vom Stuhl gelöst und als der Bug einschlug, konnte er sich nicht mehr festhalten und wurde auf das Steuerpult geschleudert. Noch nie in seinem Leben hatte er einen solchen Schmerz wie diesen gespürt. Es gab ein lautes Knacken, als die Hebel und Knöpfe seine Rippen brachen und es raubte ihm fast die Sinne. Ihn überkam eine Müdigkeit, so als wenn sein Verstand in die Bewusstlosigkeit abtauchen wollte. Aber er durfte nicht einschlafen. Nicht so lange es ihn noch jagte.
Das Schiff schoss wieder aus dem Wasser hervor und er wurde auf den Boden vor dem Pult geschleudert. Er knallte dabei mit dem Kopf auf die Halterung des Stuhles und sah für kurze Zeit Sterne. Er spürte, wie aus der Platzwunde an der Stirn warmes Blut über sein Gesicht lief. Er raffte sich trotz starker Schmerzen wieder auf.
Flüstern. Er blickte aus dem Fenster in Richtung Bug. Die Wellen waren weg. Die Nordsee lag glatt wie ein Teppich vor