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stürmte begierig darauf los.

      Eine halbe Stunde später, die Füße auf dem Kamingitter, legte er sich in den Polsterstuhl zurück und grübelte lange über die seltsamen und bewegten Ereignisse der Nacht nach. Das war also das Heimkommen, nach dem ihn so lange und sehnlich verlangt hatte! – eine geliebte Mutter, die kalt und starr im Zimmer unten lag, und ein noch teureres Wesen kaum ein paar Meilen entfernt in den Armen eines andern und noch dazu gänzlich des schweren Unrechts unbewußt, das sie ihm angetan hatte. Was würde der Ausgang von allem sein? Daß das ungestüme Geschöpf ihre Torheit bitterlich bereuen würde, das wußte er nur zu gut. Er konnte jetzt sogar einige Entschuldigungen finden für diese Torheit. Der Augenschein war überwältigend gegen ihn gewesen. Und doch – und doch, dachte er bei sich selbst, sie sollte ihn besser gekannt haben. Ein Instinkt sollte ihr gesagt haben, daß er eines solchen Verrats, wie der, dessen man ihn beschuldigt hatte und der so leicht von der skandalliebenden Welt geglaubt wurde, unfähig war. Sie sollte ihn bis aufs äußerste verteidigt, seine Verleumder unbarmherzig bekämpft und sein Kommen mit der ruhigen Sicherheit, daß bei seiner Ankunft alles gut würde, abgewartet haben. Und dennoch, mit der Inkonsequenz eines Verliebten mußte er sie notgedrungen weiter entschuldigen. War es ihre Schuld, daß sie so impulsiv geboren war? War es nicht eine offenkundige Tatsache, daß gerade gute Frauen allenthalben sich des Grolles, der Eifersucht und aller möglichen, fast unbegreiflichen Torheiten schuldig machten: ihr Leben mit tollem Hohngelächter zertrümmerten, um es nachher immer in Sack und Asche zu bereuen?

      Unzweifelhaft war es so. Aber warum sollte seine Kitty, seine lustige helläugige Kitty büßend durch die Welt gehen wegen eines augenblicklichen Vergehens gegen die alte Treue? Und dann kam ihm Sir Harry Ogilvies kühner Rat wieder in den Sinn. Es war einerseits verlockend; aber wenn es ihm auch wirklich wünschenswert erschienen wäre, sie aus den Armen ihres ältlichen Eheherrn zu reißen – und wenigstens jetzt war das nicht der Fall –, würde sie in eine Entführung einwilligen, die die Lästerzungen der ganzen vornehmen Welt in Bewegung setzen würde? Der Gedanke war immerhin verlockend und weckte stark in ihm den Geist der Wiedervergeltung. Sir John Selhurst hatte Kitty sicher unter falschen Vorspiegelungen geheiratet. Sie war nicht in offenem Kampfe gewonnen worden, und darum, ob verheiratet oder nicht, war sie moralisch immer noch die Seine. Dies war freilich ein Zurückkehren zu seiner früheren oberflächlichen Denkart, das er nach ein wenig mehr Ueberlegung absurd fand, und so ließ er das verwirrende Thema in Verzweiflung fallen.

      Dann kehrten seine Gedanken zu seiner Mutter zurück, und das Geheimnis, das ihr Leben umgab, schien tiefer und dunkler als je zuvor. Daß die Enträtselung des Geheimnisses vom Auffinden eines gewissen fehlenden Kästchens abhing, schien annehmbar, obgleich das Warum ebenfalls ein Rätsel zu sein schien. Daß solch ein Kästchen wirklich existiert hatte und daß dessen Verlust seiner Mutter große Betrübnis verursachte, war vollauf bewiesen durch Simpsons Aussage, und es würde selbstverständlich seine Pflicht sein, sich so viel wie möglich um dessen Entdeckung zu bemühen. Nicht weniger seltsam war die Form ihres unerwarteten Vermächtnisses an ihn, und als ihm dieser Gedanke in den Sinn kam, erinnerte er sich gleichfalls, daß es höchste Zeit war, an dies unerwartete Vermächtnis zu denken. So nahm er denn den Gemslederbeutel aus seiner Tasche und entleerte seinen Inhalt in einen Teller.

      Außer dem Halsband waren mehrere hundert Steine verschiedener Größe vorhanden: Diamanten, Rubinen, Smaragde, Saphire und so weiter, ein außergewöhnliches Gemisch. Er fühlte sich seltsam verwirrt. Warum waren diese Steine aus ihren Fassungen entfernt, und warum waren sie so viele Jahre lang unverdrossen von seiner Mutter verborgen worden? Und was war aus den ursprünglichen Fassungen geworden? Auf alle Fälle eine rätselhafte Sache. Dann hob er das Halsband auf und breitete es in seiner ganzen Länge aus. Es war sicher einzig in seiner Art und von ungewöhnlicher Pracht. Trotz seiner nur geringen Kenntnis von Diamanten sah er doch, daß es Brillanten vom reinsten Wasser und von außergewöhnlichem Wert waren und daß der große blaue Edelstein in der Mitte augenscheinlich von ungewöhnlicher Seltenheit war. Dann hielt er ihn gegen das Licht, und er wurde plötzlich voll Leben und Farbe und Bewegung, ein grausam faszinierendes Ding, einer Schlange gleich; schnell legte er es mit den andern Steinen zusammen wieder fort.

      Ich weiß nicht, was es ist, aber es überläuft mich kalt, sagte er. Sollte etwas Wahres am Aberglauben der Indier sein, daß die bösen Geister manchmal in Edelsteinen wohnen? Ich will meiner Mutter Befehl gehorchen und sie verkaufen, natürlich – alles muß in Ordnung sein – aber nicht, bevor sie mein Vater gesehen hat. Es soll weiter kein Geheimnis mit ihnen sein. Dazu bin ich fest entschlossen.

      In diesem Augenblick gähnte er und sah auf seine Uhr. Drei Uhr! Dann sah er, daß das Feuer ausgegangen war, und er ging zu Bett, aber nicht, um Angenehmes zu träumen.

      Drittes Kapitel.

      Advokat Archibald Benham von Lincoln's Inn Fields war der methodischste aller Menschen. Pünktlich Sommer und Winter, wenn die Uhr zehn schlug, stieg er die alte Eichenwendeltreppe mit ihren seltsam geschnitzten Geländern zu seinen Zimmern hinauf, setzte sich sofort an seinen Schreibtisch und sah mit sorgsamer Ueberlegung die Morgenpost durch. Am Tage nach Hubert Darrells Rückkehr nach London wich er jedoch von der alten Gewohnheit ab. Ein Telegramm lag auf seinem Schreibtisch. Er öffnete es und las:

      Benham, 94, Lincoln's Inn Fields.

      Frau Darrell starb heut abend. Bitte meine Anweisungen auszuführen. Ihr Sohn wird wahrscheinlich heut morgen zu Ihnen kommen.

      Darrell.

      Endlich! sagte der Advokat und warf sich in seinen Stuhl zurück. Arme Seele! Endlich!

      Er war von angenehmer und sympathischer Erscheinung – ein Mann gegen sechzig, glattrasiert, mit dicken, runden, rosigen Wangen, braunem dichtgelocktem, hier und da etwas meliertem Haar und einem paar milder blauer Augen, die gütig durch eine goldene Brille blickten. Er war vielleicht kein Mann von außergewöhnlicher Geisteskraft, aber einer von schnellem Urteil und klarem Denken, der großen juristischen Scharfsinn in unprahlerischer Weise bei manchem verwickelten Problem anwandte. Vor allem war er diskret, vorsichtig und fleißig und ließ sich unter keinen Umständen je eine Uebereilung zuschulden kommen; und so war er in der Tat, was die Welt in Ermangelung einer besseren Bezeichnung einen sicheren und vertrauenswürdigen Anwalt nennt. Ueberdem war er ein Mann, dessen Sympathien leicht erweckbar waren, wie es offenbar auch bei dieser Gelegenheit der Fall war.

      Endlich! wiederholte er. Was muß diese arme stolze Seele all diese langen Jahre gelitten haben! Und, gütiger Himmel, was für ein Weib war sie! Den letzten Abend, in den sechziger Jahren, als sie in La Favorita in Her Majesty's Theatre auftrat – den werde ich nie vergessen. Wie stolz, wie königlich sie blickte! Wenig ahnte ich in jener Nacht davon, daß gerade ich eines Tages gerufen werden würde, um ihren Sarg und ihr Leichenkleid zu bestellen. Was kann ihres Lebens Tragödie gewesen sein? Damals lag ganz London ihr zu Füßen. Jeder war von ihrer Schönheit entzückt. Sie hätte heiraten können, wen sie wollte – sie brauchte nur auszusuchen und zu wählen. Und ging nicht wirklich das Gerede, daß sie sich von einem Edelmann hätte entführen lassen? Aber ich bezweifle das. Und der Anwalt schüttelte seinen Kopf. Nach dem, was ich seither von ihr sah, kann ich das nicht glauben. Nie werde ich auch den Tag vergessen, als sie in mein Bureau trat, so stolz und königlich wie nur je, an ihrer Seite der alte Puritaner Sydney Darrell mit dem harten Gesicht und der steifen Haltung, der sie mir als Frau Darrell vorstellte und von mir verlangte, die Scheidung einzuleiten; nie, bis an mein Ende, werde ich das vergessen. Er verlangte tatsächlich von einer solchen Frau getrennt zu werden, und ich bezweifle, daß sie sich je seitdem wiedergesehen haben. Nie ist es mir gelungen, ein Wort der Erklärung von beiden zu erhalten. Das ist wirklich ein ganz seltsames Geheimnis. Und nun kommt dies Telegramm. Und er las es wieder. »Ihr Sohn«! Warum »ihr Sohn« statt »mein Sohn«? Das ist sehr sonderbar. Ich kann, ich will nichts Böses von dieser lieblichen Frau denken, und doch starrt mir die Tatsache ins Gesicht, daß nach Sydney Darrells Testament dieser junge Mensch keinen Pfennig bekommt. Armer Teufel, das ist wirklich ein böser Streich, und nun muß, um sein Leiden noch auf die Spitze zu treiben, dieser Schuft von Selhurst hingehen und ihm sein Liebchen stehlen. Ich dachte, Selhurst würde, als er erfuhr, daß der Skandal mit Hubert nur ein Versehen war, wenigstens ehrenhaft genug gewesen

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