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Mansions, SW. – Meine Mutter starb heut abend um halb neun. Was ordnest du an? Bitte Telegrammantwort Wanderer-Klub. – Hubert Darrell. Als er das Klubhaus betrat, begrüßte ihn der Portier freudig.

      Natürlich keine Briefe für mich?

      Nein, Herr. Aber, warten Sie einen Augenblick! Ich vergaß; es hat hier lange Zeit ein Paket gelegen, schon fünf oder sechs Monate. Und er händigte es ihm ein.

      Hubert sah es neugierig an und blickte dann auf die Adresse; plötzlich wich jede Spur von Farbe aus seinem Antlitz. Es war Kitty Clares Handschrift.

      Es war nur eine einzige Person im Schreibzimmer anwesend, und da diese ihm den Rücken zuwandte, so fühlte er sich vor Beobachtung sicher, wählte eine etwas dunkle Ecke des Zimmers und schnitt die Schnur des Päckchens durch.

      Dann brach ein Ausbruch des Schreckens von seinen Lippen. Da vor ihm lagen alle Briefe, die er an Kitty Clare geschrieben hatte, seine letzten uneröffnet. Dabei waren allerlei kleine Andenken – ein Ring, eine Brosche, ein Armband, eine Locke seines eignen Haars und weiter ein Bund verwelkter Veilchen, die sie an ihrer Brust getragen hatte, als sie ihren Treuschwur mit dem innigsten Kusse besiegelte.

      Der Mann, der am andern Tisch geschrieben hatte, stand plötzlich auf. Es war Sir Harry Ogilvie, von der Garde, ein alter Schulkamerad Huberts. Er rief ihn an: Hallo, Darrell! Wieder zurück? Was ist los?

      Was los ist? Viel! rief Hubert aus. Und mit weißem Gesicht und geöffnetem Munde starrte er auf den Inhalt des Päckchens vor sich. Ich werde verrückt, glaube ich.

      Tu das lieber nicht. Wann kamst du zurück?

      Heut abend, gerade zur Zeit, um meine Mutter sterben zu sehen.

      Sir Harrys Gesichtszüge wurden weich.

      Ich habe das selbst durchgemacht; es ist ein schrecklicher Schicksalsschlag.

      Kannst du dir einen schlimmern denken?

      Nein, das kann ich nicht.

      Gott vergebe mir, was ich sage, sagte Hubert, aber – er zeigte auf die Briefe vor sich – dies ist schlimmer.

      Ich verstehe die Situation nicht ganz.

      Du kennst Kitty Clare?

      Lady Selhurst, meinst du?

      Hubert knirschte mit den Zähnen.

      Ja, ich meine Lady Selhurst. Du wußtest, daß wir verlobt waren?

      Das wußte ja jeder.

      Nun, sieh! Hier schickt sie alle meine Briefe zurück. Sieh – die kleinen Andenken, die ich ihr gegeben habe, sogar ein armseliges kleines Bund verwelkter Veilchen, und nicht ein einziges Wort der Erklärung dazu.

      Sir Harry zuckte die Achseln.

      Es war keine nötig, möchte ich sagen.

      Keine nötig? sagte Hubert entsetzt.

      Nein. Was konnte das arme Mädchen anders tun? Ich meine, sie hat sehr ehrenhaft gehandelt.

      Ehrenhaft! sagte Hubert. Ehrenhaft!

      Gewiß!

      Mich, ihren jahrelangen Verlobten, auf eine so herzlose, so brutale Art zu behandeln!

      Sir Harry sah ihn einen Augenblick mit einer erstaunten Miene an.

      Du bist mir einfach ein Rätsel! sagte er dann. Das ist denn doch etwas stark! Ich glaube nicht, daß sie sich auch nur das geringste aus dem alten frostbeuligen Selhurst macht, aber indem sie dich aufgab, hat sie nur getan, was jedes kluge und charaktervolle Mädchen tun würde.

      Hubert ging mit drohender Gebärde auf ihn zu.

      Das wagst du mir zu sagen, Harry Ogilvie?

      Wagen! Wagen! Natürlich wage ich es. Sagte nicht jeder dasselbe von dir? Es würde mich nicht wundernehmen, wenn die Hälfte deiner alten Kameraden dich völlig schnitte.

      Um Gottes willen, erkläre mir das! Was sagt ein jeder von mir?

      Nun, daß du wie ein Schurke gegen eins der lieblichsten und süßesten Geschöpfe in der weiten Welt gehandelt hast; und ich sage dir noch mehr: Wenn ich ihr Bruder wäre, so würde ich dich ganz gehörig durchprügeln.

      Hubert taumelte zurück, schwankte einen Augenblick hin und her wie ein Trunkener und wäre gefallen, hätte ihn Sir Harry nicht in seinen Armen aufgefangen.

      Donnerwetter! sagte er, indem er Hubert sanft in einen Armstuhl hob, es muß 'ne Ohnmacht oder was Aehnliches sein. Da wird wohl Kognak das beste sein! Und er zog die Klingel. Werde nicht klug daraus. Aber alle Strenge schmolz in seinem Antlitz, als er den hilflosen jungen Giganten vor sich anschaute. Der Bengel schien sich rein vor Erstaunen zu überkugeln. Sollte etwa doch irgendein verfluchtes Mißverständnis bei der Geschichte sein? Hierher, Kellner, etwas Kognak, schnell, der Herr fühlt sich schlecht. Dann fügte er, Huberts Kopf aufhebend, hinzu: Na, Darrell, alter Junge, Kopf hoch! So geht das nicht, weißt du. Ich meinte es nicht halb so schlimm, wie ich sagte, auf Ehre nicht. Bei den »Buffs« ist so was nicht Mode. Achtung vorm Regiment! Nun los – herunter damit! Und dem Kellner das Glas abnehmend, hielt er es an Huberts Lippen. Hinunter damit, und keinen verdammten Unsinn mehr!

      Hubert schluckte mechanisch den Kognak hinunter, und bald kehrte eine Spur von Farbe auf seine Lippen und sein Gesicht zurück. Dann öffneten sich seine Augen, er starrte einen Augenblick verwirrt Sir Harry an, eine heftige Röte stieg ihm plötzlich in die Schläfen, und er sprang auf.

      Jetzt erinnere ich mich, sagte er, du wolltest mich durchprügeln, aber eh' du das versuchst, solltest du mir lieber alles erklären, sonst, Schockschwerenot –.

      Kopf hoch, Darrell; ruhig, Junge, ruhig! Laß uns beide einander verstehen. Ich fürchte, ich habe mich wohl irgendwie vergriffen. Aber nun sage mal: Gingst du mit des Obersten Frau durch oder nicht?

      Mit der Frau von welchem Oberst?

      Von deinem.

      Huberts Lippen kräuselten sich verächtlich.

      Erkläre mir dein kleines Späßchen, sagte er.

      Den Teufel auch ist es Spaß! In den Zeitungen stand, daß du es tatest.

      Daß ich was tat?

      Mit des Obersten Frau durchgingst. Ich sage dir –

      Was für Zeitungen schrieben das?

      Ich weiß nicht mehr, eine Menge waren es. Ich sah es in der »Wespe«.

      Da schlug sich Hubert plötzlich vor die Stirn.

      Jetzt verstehe ich alles, sagte er. Und Kitty dachte und du dachtest –. Gütiger Himmel! Diese Idee! – ich sollte mit der Frau eines andern weglaufen, während Kitty noch am Leben wäre! Du unglaublicher Dummkopf, das war ja Herbert Darrell! Weißt du, wie Herbert geschrieben wird? Sieh in die Armeeliste, du großer Dummkopf! Herbert Darrell lief letzte Weihnacht mit des Obersten Frau fort. Ich vermute, ich bin das neueste Opfer eines Druckfehlers. Aber wie du, der du dich Freund nennst – wie du mich eines niedrigen Verrats gegen meine Kitty schuldig glauben konntest, wie du, der du mich schon in Höschen kanntest, mich für falsch gegen sie halten und dir denken konntest, daß ich eine liederliche Oberstenfrau dem süßesten Mädchen im Lande vorzöge, das geht über meine Vorstellungskraft. Wahrhaftig! Ich schäme mich deiner, Ogilvie. Du verdienst Prügel.

      Das Blatt hatte sich gewandt, und der junge Baronet war tief beschämt und wußte einen Augenblick lang nichts anderes zu tun, als sein Antlitz mit seinem Taschentuch abzutrocknen.

      Nun, ich will verdammt sein, sagte er, wenn dies nicht der verrückteste Irrtum ist, von dem ich je hörte! Herbert Darrell, natürlich! Ich erinnere mich an den kleinen Gimpel. Es ist ein Wunder, daß er sich nicht die Frau eines Brigadegenerals aussuchte. Höre mal, alter Junge. Ob du mir vergeben willst, das steht bei dir, aber das sag' ich dir: es gibt eine Menge andre, die ebensolche Dummköpfe waren wie ich. Jeder hat es gelesen, jeder hat's geglaubt. Aber das kommt

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