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PUZZLE - Mord am Kanal. Martin Berthold Heinrich Diebma
Читать онлайн.Название PUZZLE - Mord am Kanal
Год выпуска 0
isbn 9783742755919
Автор произведения Martin Berthold Heinrich Diebma
Жанр Языкознание
Серия Tim Schlüter ermittelt
Издательство Bookwire
Tim antwortet: »Ach, man leibt und lebt.« Und erst als der Satz schon ausgesprochen im Raum stand, bemerkte er, dass er die Reihenfolge der beiden Verben durcheinander gebracht hatte. Das mit dem Verlag erwähnte er auch noch kurz. Dann nahm er einen Schluck Tee und schlürfte dabei leicht.
Als die Dämmerung einsetzte, verabschiedete sich Tim ebenso plötzlich, wie er mit dem Telefonanruf nach so langer Zeit aus der Versenkung aufgetaucht war. Dieser Tim Schlüter war doch ein unergründlicher Kerl. Aber Freya mochte ihn, sie mochte seine unterkühlte, scharfsinnige und bisweilen ironisch-spitzfindige Art. Und sie hatte gleich gewusst, dass sie ihm seine Bitte nicht würde abschlagen können. Sie versprach ihm also, sich um die erwünschte Analyse zu bemühen. »Sobald die Ergebnisse vorliegen, ruf' ich dich an. Deine Nummer hab' ich noch irgendwo. Immer noch das einsame, alte Bauernhaus zwischen Kiel und Rendsburg, das du von deinem Opa geerbt hast?«
»Inzwischen mit komplett renovierten Wohnräumen. Manche Träume werden eben doch Wirklichkeit.«
»Wusste gar nicht, dass man beim Verlag so gut verdient.«
»Man braucht im Leben immer etwas Glück. Neben allem Können. Bis dann also, ich verlass' mich auf dich.«
»Und ich verlass' mich darauf, dass du die Polizei informierst. Du hast es versprochen.«
»Klar.«
Allein in der Teeküche ihrer Station zurückgeblieben, nippte Freya an ihrem kalten Tee und knabberte den letzten Keks auf, während sie mit der anderen Hand an ihrem hübschen Zopf drehte und mit wachen Augen auf Menschenknochen starrte.
3 Bürger X
Abgeschieden war fast noch geschmeichelt. Das alte Bauernhaus, das Tim sein Eigen nennen durfte, wirkte von einem erhöhten Standpunkt aus betrachtet wie eine einsame Schaluppe in den Weiten des Ozeans. Das Grundstück war einen halben Hektar groß. Zum Hof, der vor vielen Jahrzehnten nach damaliger Sitte mit Kopfstein gepflastert worden war, gehörte auch eine gewaltige Scheune. Das Kopfsteinpflaster machte sich vor allem in Form von ein paar riesigen Schlaglöchern bemerkbar, wenn Tim im Auto saß.
Er fuhr seinen blauen Escort, Baujahr 1985, vor die Hofeinfahrt, die durch eine lange Kette abgeriegelt und so breit war, dass früher ein Mähdrescher durchgepasst hatte. Dann stieg er aus, um die Kette zu lösen, die am linken und rechten Rand der Einfahrt an kleinen Metallpfeilern befestigt war. Von denen steckte einer nur lose in der Erde. Er konnte mühelos herausgezogen werden, wodurch sich die Kette sofort der Länge nach senkte. Das war der ganze Trick – kein Schloss, kein magisches »Sesam, öffne dich«. Im Grunde war diese alte, rostige Kette vollkommen unnötig. Wer sollte in diesem entlegenen Winkel schon daherkommen und Tims Hof als Parkplatz zweckentfremden? Noch weniger stellte die Kette ein besonders aufsehenerregendes Hindernis für Eindringlinge anderer Art dar. Aber Tim liebte es nun mal, sich von der Außenwelt abzuschotten, und sei es nur symbolisch. Sein Wagen befand sich nach einigen Metern mitten auf dem Hof, genau zwischen dem großen Wirtschaftsgebäude und einer recht baufällig wirkenden alten Scheune. Das Haus hatte zwei Eingänge: die Haustür auf der Frontseite und den Zugang über die Diele, markiert von einem mehrere Meter breiten und hohen, an der Oberseite gewölbten, von Holzwürmern zerstochenen Tor, das vor etlichen Jahren einmal rostbraun gestrichen worden war. Die Scheune gegenüber war wie das Bauernhaus von einem nicht mehr ganz wasserundurchlässigen Blechdach bedeckt, das den Großteil seiner rostbraunen Farbe zwar dem vor allem in Form von Regen unaufhörlich nagenden Zahn der Zeit hatte opfern müssen. Aber das wäre selbst den Vögeln in der Luft, die gelegentlich dort Zwischenstation machten, nicht aufgefallen (wenn es sie interessiert hätte). Denn wo die Farbe abgeblättert und das nackte Metall zum Vorschein gekommen war, hatten alltägliche chemische Prozesse die Lücke im Nu mit einem natürlichen Rostbraun geschlossen. Diese alte Scheune, in deren hinterem Teil noch gammelige Heu- und Strohballen aus längst vergangenen Tagen lagerten, diente Tim als Garage, und er hatte eine Methode entwickelt, seinen Wagen, und zwar rückwärts, so darin zu parken, dass er nie von einem einzigen Tropfen Wasser behelligt wurde, das sonst an erstaunlich vielen Stellen durch das Dach eindrang. Tim liebte das Alte, das Ursprüngliche, Unveränderte und Unverwüstliche, und so hatte er seit seinem Einzug mit achtzehn Jahren den Hof im Wesentlichen so belassen, wie er ihn nach dem Tod des Großvaters vorgefunden hatte, soweit es sich nicht um renovierungsbedürftigen Wohnraum handelte. Sogar eine alte, verrostete Egge lag noch in einer Ecke der Scheune. Tim hatte den Versuch, das rostige alte Ding zu veräußern, von vornherein als aussichtslos eingestuft. Der eigentliche Clou aber war ein alter Pferdepflug, natürlich ohne Pferd, dafür aber mit antikem Charme. Tim störten die alten Geräte nicht. Für sein Auto blieb ja genug Platz in der geräumigen Scheune, die übrigens fast so hoch war wie das Wohnhaus gegenüber, das unter dem Dach noch über einen alten Heuboden verfügte. Nachdem Tim den Wagen gewohnheitsgemäß abgestellt und das Scheunentor verriegelt hatte, stand er im Hof dem rustikalen Dielenportal des Bauernhauses gegenüber. Doch das Tor blieb, obwohl die lange Diele dahinter an den ehemaligen Kuhställen vorbei zu Tims Küche führte, immer verschlossen. So ziemlich alles an ihm klemmte nämlich, sowohl das Portal an sich als auch die kleine darin eingeschnittene Tür normaler Größe. Nichts ließ sich hier ohne übermenschliche Kraftanstrengung und ohrenbetäubendes Knarren oder Quietschen öffnen, und als es zum letzten Mal dennoch jemand gewagt hatte, hatte man sich des beunruhigenden Gefühls, durch diesen Gewaltakt das ganze Haus zum Wackeln gebracht zu haben, nur mühsam erwehren können. Es schien sich zu empören wie ein Greis, den man in den Krieg schicken wollte, oder noch eher wie ein Geist, den man zur Unzeit aus seiner wohlverdienten Totenruhe aufgeschreckt hatte. Also ließ Tim lieber die Finger davon. Es blieb verschlossen, und man brauchte es auch nicht weiter zu sichern. Jeder Einbrecher hätte sich, da sich der Gebrauch von Motorsägen bei Einbrüchen in bewohnte Häuser aus verschiedenen Gründen verbietet, an dem Tor vermutlich die Zähne ausgebissen. Abgesehen davon konnte es auch keinen Einbrecher geben, der schlecht genug informiert war, um in Tims Haus etwas so Wertvolles zu vermuten, dass er die Strapazen und Risiken eines Einbruchs auf sich nehmen würde. Zu schlicht, zu bescheiden und zu unauffällig war Tims Lebensstil. Ein Blick in Tims Kleiderschrank genügte, um das festzustellen: Viereinhalb Hosen, eine dazu passende Anzahl an aus der Mode gekommenen Pullovern, ein paar schlichte und ein paar karierte Hemden, ein paar farblose T-Shirts sowie Socken und Unterwäsche für ein bis zwei Wochen, sofern man sie spätestens jeden zweiten Tag wechselte, ließen seinen Kleiderschrank nicht gerade überborden. Hinzu kamen ein zeitloser schwarz-brauner Anzug, ein Erbstück seines Großvaters (alle anderen hatte er dem Roten Kreuz vermacht), den er gleichermaßen zu Hochzeiten und Beerdigungen oder vergleichbaren feierlichen Anlässen zu tragen pflegte, nebst passender dunkelbrauner Krawatte sowie – für die Arbeit – zwei völlig identische graubraune Jacketts. Drei Paar Schuhe – für alltags eins, für feiertags eins und für den Sport (früher mal) eins – und ein Paar Stiefel – für den Winter