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PUZZLE - Mord am Kanal. Martin Berthold Heinrich Diebma
Читать онлайн.Название PUZZLE - Mord am Kanal
Год выпуска 0
isbn 9783742755919
Автор произведения Martin Berthold Heinrich Diebma
Жанр Языкознание
Серия Tim Schlüter ermittelt
Издательство Bookwire
Mit dem Auto, mit Schaufel, Plastikkisten, Tüten und Taschenlampe kam er wieder. Eine nervöse Hektik hatte von dem sonst so ruhigen und beherrschten jungen Mann Besitz ergriffen. Den halben Nachmittag verbrachten Tim und Cano damit, im schwarzen Erdreich des Fundortes herumzubuddeln. Bis zu einem Meter Tiefe durchforsteten sie den Boden. Dabei kamen die Knochen für einen menschlichen Arm, soweit er das beurteilen konnte, weitgehend vollständig zusammen. Tim packte alles sorgfältig in seine Kisten, schleppte diese fast einen Kilometer durch den Wald, packte alles in den Kofferraum seines alten Fords und fuhr nach Hause. Als sich seine Haustür quietschend hinter ihm schloss, fühlte er sich wie Holmes und Watson in einer Person.
Allein in seinem großen Haus nahm sich Tim die Zeit, seinen Fund von der schwarzen Walderde zu befreien. Insbesondere die Hand, die immer noch in der grauen Plastikbox lag, war dabei mit großer Vorsicht zu behandeln, damit ja nichts durcheinander geriet. Sie schien zum Zeitpunkt des Todes zu einer Faust geballt gewesen zu sein. Er hätte besser auf den Versuch, sie umzudrehen, verzichtet. »O nein!« Gleich eine ganze Reihe von Knochen fiel von dem Erdklumpen ab. Hilflos hielt Tim einen kleinen Handknochen in der Hand. Jetzt konnte er zusehen, wie er das wieder zusammenpuzzelte. Was Tim zunächst übersehen hatte, war, dass außer den einzelnen Knöchlein auch ein mattgolden glänzender Metallklumpen in die Kiste zurückgefallen war. Neugierig nahm er ihn wieder heraus, reinigte ihn in der Küche unterm Wasserhahn und kam zu dem Schluss, dass es sich um den Anhänger einer Halskette oder etwas in der Art handeln müsse. Tatsächlich fand er wenig später in der grauen Kiste auch ein vergammeltes Metallband: an dieser Kette musste der Schmuck befestigt gewesen sein. Tim untersuchte den Anhänger etwas genauer. Er war rund, etwa so groß wie ein Zweipfennigstück und offenbar aus purem Gold. Sonst hätte ihm die lange Zeit unter der Erde sicher mehr zugesetzt. Den Rand zierten kleine, kunstvolle Ornamente, und auf beiden Seiten fand sich in der Mitte dieselbe Gravur: ein Name. War es Regina oder Reginald? Oder Regula? Sie war schwer zu erkennen, diese ästhetisch geschwungene Schreibschrift. Tim nahm ein Taschentuch, feuchtete es rasch mit dem Reinigungsbenzin aus seiner untersten Küchenschublade an und putzte den Anhänger mit fieberhafter Ungeduld, bis er glänzte. Ab und zu hauchte er ihn an wie ein unsauberes Brillenglas. Schließlich konnte er den Schriftzug entziffern. Unzweideutig war der Name Regina zum Vorschein gekommen. War das der Name der Toten? Ob es sich um eine männliche oder weibliche Leiche handelte, das musste doch wohl anhand der Knochen herauszufinden sein. Mit irgendeinem von diesen modernen wissenschaftlichen Tests. Tim wusch die Knochen in seiner Badewanne – ein bisschen schräg kam er sich dabei schon vor – und versuchte sie schließlich auf dem dunkelbraunen Teppich seines Wohnzimmers in die anatomisch richtige Reihenfolge zu bringen: Fingerknochen – Mittelhandknochen – Handwurzelknochen und schließlich Elle, Speiche und Oberarm. Er war sich nicht bei allen Teilen seines makaberen Puzzlespiels so ganz sicher, schließlich war er kein Arzt. Aber so ungefähr kam das hin: Ein rechter Arm hatte Gestalt angenommen, fast professionell sah das aus. Tim war, sofern man das in Anbetracht einer so nahen Begegnung mit dem Tod sagen kann, mit seinem Ergebnis zufrieden, auch wenn ihm das Ganze, vor allem jetzt, da er ruhig vor seinem Puzzle im Sessel saß, den einen oder anderen Schauer über den Rücken jagte. Cano hatte er während der ganzen Prozedur ausgesperrt halten müssen. Hunde und Knochen – das ist schließlich so eine Sache. Bellend und immer wieder erwartungsvoll an seinem Herrn hochspringend, hatte Cano bis zu seiner Aussperrung nicht aufgehört, seine Ansprüche auf den Knochenfund geltend zu machen. Er wollte einfach nicht einsehen, dass das nicht irgendwelche gewöhnlichen Knochen sein sollten, wie die, an denen man Hunde ungeniert zu Hause in Herrchens Garten herumknabbern lässt.
Endlich – so gegen sieben Uhr abends – tat Tim, was manch anderer gewiss schon längst getan hätte: Er griff zum Telefonhörer. Am anderen Ende meldete sich eine Frauenstimme. »Polizeirevier Kiel-Mitte«, sagte sie. »Was kann ich für Sie tun?« Tim zögerte. Er brachte kein Wort heraus. Irgendetwas schoss ihm durch den Kopf, etwas, das er nicht in Worte zu fassen vermocht hätte. Ein Impuls, dem er nachgab. Er legte auf. Von sich selbst überrascht starrte er auf das reglose Telefon. Und dann war ihm auf einmal klar: Die Geschichte, die sich hinter diesem Knochenfund verbarg, wollte er sich von niemand anderem erzählen lassen. Tim griff erneut zum Hörer. Diesmal meldete sich die Kieler Universitätsklinik.
»Ja, guten Abend, mein Name ist Schlüter. Ich hätte gern mit Frau Dr. Meisenberg gesprochen. – Ja – vielen Dank.« Das Ausharren am Hörer wurde belohnt. Da war sie schließlich, die vertraute Stimme, vertraut aus vergangenen Uni-Tagen. »Ja, Freya? Kleine Überraschung, hier ist Tim, Tim Schlüter. – Ja, das wird sich vielleicht bald ändern. Ich hab' hier nämlich ein kleines Problem, bei dessen Lösung du mir bestimmt behilflich sein kannst, hoffe ich zumindest. – Es geht um ein paar Knochen, die ich heute bei einem Spaziergang im Wald gefunden hab'. Die sind mir nicht ganz geheuer. Meinst du, es wäre möglich, bei euch eine Laboranalyse machen zu lassen, um so Aufschluss über Alter, Herkunft und so zu bekommen? Gibt's so was überhaupt, so'ne Analyse? – Ja, ich weiß, dass sich das jetzt etwas merkwürdig anhört, aber ...«
Aber Tim bekam sein Rendezvous in der Uniklinik. Am Sonnabend, in zwei Tagen also, konnte er kommen mit seinen merkwürdigen Knochen. Einem alten Freund schlug man eben keine Bitte ab, auch wenn sie, wie in diesem Fall, vielleicht ein wenig sonderbar war.
2 Freya
Es war mitten in der Nacht, und Tim stapfte schon wieder mit Cano durch den Wald, in dem sie den skelettierten Arm gefunden hatten. Da mussten doch noch mehr Teile zu finden sein. »Such!«, befahl er seinem Hund. »Such! Such!« Aber Cano stellte sich nur provozierend vor ihm hin und bellte ihn an wie einen Unbekannten oder wie jemanden, der ihm etwas schuldig ist. Irgendetwas nahm er ihm anscheinend furchtbar übel. Nur was? Hatte er denn etwas Unrechtes getan? Aber ja: Er hatte Cano noch nicht für die vorenthaltenen Knochen entschädigt. Wütend fletschte Cano die Zähne, immer aggressiver wurde sein Gebell, als wollte er seinen Herrn, den er kaum noch zu respektieren schien, im nächsten Augenblick anfallen. Du meine Güte, dachte Tim, hoffentlich finde ich noch den Kopf, den muss ich ihm schon geben, damit er wieder Ruhe gibt. Erschrocken, unsicher wich er zurück, stolperte über einen am Boden liegenden Ast und bemerkte erst beim Aufstehen, als er sich nach dem Grund für seinen Sturz umsah, die wahre Ursache für Canos Aufregung. Der Ast, über den er gestolpert zu sein glaubte, war kein Ast, es war ein gewaltiger Knochen wie von einem menschlichen Oberschenkel. Jetzt sah er aus dem Dunkel weitere Skelett-Teile vor seinen entsetzten Augen auftauchen: Ein Bein lag links, rechts noch ein Arm, Rippen weiter hinten, Wirbelknochen ... Nur der Kopf fehlte. Wo war nur der Kopf? Unter Tims Füßen begann plötzlich die Erde zu beben. Oder bildete er sich das nur ein? Nein, auch die Knochen vibrierten, bewegten sich, fingen an zu tanzen. Panik ergriff Tim. Er wollte nur noch weg. Als er den ersten Schritt tat, stellte er mit Entsetzen fest, dass es nicht die Erde war, die sich bewegt hatte, sondern der Oberschenkelknochen des Skeletts, das sich nicht erheben konnte, solange er darauf herumstand. Die Skelett-Teile waren nämlich alle dabei, sich zu sammeln und in der richtigen Ordnung wieder zusammenzufügen. Tim sah, wie einzelne mit einem schlürfenden Geräusch Fleisch ansetzten, blutiges, rotes Fleisch. Ein ekelerregender Anblick. Bei alledem machte das Skelett eine höchst bemitleidenswerte Figur. Es war eine arme, geschundene Kreatur oder, besser gesagt, Ex-Kreatur. Natürlich war Tim inzwischen längst klar, dass er sich in einem widerlichen Alptraum befinden musste, aber wie daraus entkommen? Nun vernahm er auch noch eine gehauchte weibliche Geisterstimme, die sagte: »Der Kopf! Gib mir meinen Kopf!« Erst jetzt bemerkte Tim, woher die