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PUZZLE - Mord am Kanal. Martin Berthold Heinrich Diebma
Читать онлайн.Название PUZZLE - Mord am Kanal
Год выпуска 0
isbn 9783742755919
Автор произведения Martin Berthold Heinrich Diebma
Жанр Языкознание
Серия Tim Schlüter ermittelt
Издательство Bookwire
Als Freya ihr Medizinstudium abschloss, hatten sie sich längst aus den Augen verloren – aber nicht ganz aus dem Sinn, wie Tims Anruf jetzt bewies. Immerhin wusste er, was aus ihr geworden war, ein paar alte Verbindungen bestanden also noch.
Am Samstagnachmittag um drei Uhr betrat er verabredungsgemäß die Teeküche der Orthopädie, wohin eine hilfsbereite Krankenschwester ihn gelotst hatte. Freya hatte einen Tee vorbereitet und offerierte, nachdem die alten Studienfreunde sich, für Tims Verhältnisse vergleichsweise herzlich, begrüßt hatten, ein paar Kekse. Tim stellte die Plastiktüte, in die er die Knochen gelegt hatte, beiseite und setzte sich an den irgendwie steril wirkenden Tisch. Vielleicht rührte der Eindruck der Sterilität auch nur von Freyas weißer Arbeitstracht und den vielen Medikamenten her, die auf den Regalen und auch sonst überall im Raum herumstanden. Sogar der Tee schmeckte irgendwie nach Medizin. »Was'n das für'n Tee?«, fragte Tim, als er die Tasse wieder absetzte. Er wusste, was er sich bei Freya herausnehmen durfte. »Blasen- und Nierentee?«
»Ach Timmi«, musste Freya lachen, »immer noch der alte Skeptiker, was? Lieber sterben als mit einem negativen Urteil hinterm Berg halten.«
»Immer im Dienste der Wahrheit«, erwiderte Tim mit einem schelmischen Lächeln. »Die Wahrheit ist das höchste Gut. Suchen nicht alle Philosophen und Wissenschaftler, auch in der Medizin, immer nach der letzten, ultimativen Wahrheit, nennen wir sie Gott, Tao, Brahman oder sonst wie?«
»Aber du hast heute schon noch was Konkreteres im Visier als die philosophischen Streitfragen von damals, oder? Ich würde jetzt gern mal die Wahrheit erfahren über deine komischen Knochen. Sind die etwa da drin?« Freya deutete auf Tims Plastiktüte. Er nickte, griff mit einer raschen Handbewegung nach ihr und packte aus. Stück für Stück legte er den gesamten Fund auf den Tisch. Dr. Meisenberg wurde ein wenig blass, verlor aber, als Ärztin so einiges gewohnt, nicht die Fassung. »Das ... ist von einem Menschen!«, rief sie aus. Und nun musste Tim auch mit dem Rest seiner Geschichte herausrücken. Unterdessen sah sich Freya die Knochen etwas genauer an. »Also«, sagte sie schließlich, »eins steht fest: Der ist schon 'ne ganze Weile tot, Jahre, vielleicht Jahrzehnte.«
»Könnte er auch eine Sie sein? Und kann man das Alter nicht genauer bestimmen?«
»Oh«, entglitt es Freya plötzlich, als hätte sie etwas entdeckt. Tims Frage schien sie überhaupt nicht zur Kenntnis genommen zu haben. »Was ist denn das?« Sie griff nach einem der Mittelhandknochen. Ihre wissenschaftliche Neugier schien erwacht. »Sieht aus, als hätte unser Freund hier irgendwann mal einen Handbruch erlitten. Man kann die Fraktur noch erkennen«, sagte sie mehr zu sich selbst als zu Tim. »Äh, was wolltest du wissen?«
»Kann man nicht eine genaue Analyse machen, um über den Zeitpunkt des Todes, über die Herkunft des Opfers und solche Sachen mehr zu erfahren?«
»Sag mal, spinnst du? Das ist hier keine Gerichtsmedizin!«
»Aber zu der bestehen doch bestimmt Kontakte.«
»Willst du jetzt Detektiv spielen oder was?«
»Immer im Dienste der Wahrheit«, sagte er ruhig.
»Das ist ein Fall für die Polizei!«
»Polizei! Du weißt doch genauso gut wie ich, dass das Einzige, was die wirklich interessiert, die Verteilung von Knöllchen an jeden deutschen Parksünder ist. Glaubst du, die machen ihren Rücken für so'ne uralte Geschichte krumm, die zig Jahre zurückliegt? Das ist Zusatzarbeit für Unterbezahlte.«
»Und wenn das nun ein Mord gewesen ist? Dann ist das ein Fall für die Mordkommission.«
»Das ist mein Fall«, widersprach Tim so energisch, dass das erst mal ein Schweigen gebot. Tim merkte, dass er etwas übers Ziel hinausgeschossen war und versuchte abzuschwächen: »Zunächst ist das mal mein Fall. Ich hab' schließlich die Dinger da gefunden.«
»Du hast vielleicht Humor«, fand Freya ihre Sprache wieder, »knallst mir hier 'n paar Menschenknochen auf'n Tisch und sagst: ›Das ist mein Fall!‹ Wir sind hier doch nicht bei Quincy, das ist blutiger Ernst!«
»O.k., o.k., du hast recht. Ich werde die Polizei benachrichtigen. Aber auf ein oder zwei Tage wird es ja wohl nicht ankommen, nachdem die Leiche dort jahrzehntelang verbuddelt gewesen ist.«
»Die Leiche? Hast du denn noch mehr ...?«
»Nein. Ich weiß auch nicht, warum ich das gesagt hab'. Ich war zwar gestern mit dem Hund noch mal da und hab' stundenlang das Gelände durchwühlt, aber es war nichts weiter zu finden. Demnach kann man gar nicht wissen, ob wirklich jemand gestorben ist ...«
»Aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Oder hast du jemals davon gehört, dass jemand sich 'n Arm abhackt, um ihn danach im Wald zu vergraben? Ich hab' in meiner medizinischen Praxis schon 'ne Menge abnormer Dinge erlebt, aber das –«
»Abnorm ist die Sache allemal«, unterbrach Tim sie, »und ich träum’ nachts auch schon schlecht davon.«
Freya rückte ihre Brille zurecht und sah sich einige der Knochen gründlicher an. »Sieht in der Tat so aus, als wäre am Oberarm gesägt worden, diese Spuren ... Mal überlegen ... Was hältst du von folgender Hypothese: Jemand wurde ermordet und, um Spuren zu verwischen, um die Identifikation zu erschweren, hat sein Mörder ihn zersägt. Uh!« Die Vorstellung ließ ihr einen Schauer in die Glieder fahren. »Und die einzelnen Leichenteile wurden dann an verschiedenen Orten verscharrt. Das wäre ja nicht das erste Mal. Von so einem Fall hab' ich schon häufiger gehört. Wenn es nicht so makaber wäre – es erscheint zumindest logisch.«
»Die Logik eines Mörders«, stimmte Tim zu.
»Mann, wo bin ich da reingeraten? Gruselig. Mit dir erlebt man wirklich die unglaublichsten Dinge, Timmi. Ich glaub', ich mach' uns noch 'n Tee. Was hast du eigentlich gemacht seit damals? Noch mehr so Sachen?«
Tim fiel darauf keine Antwort ein, mit der er hätte zufrieden sein können. Schweigen breitete sich aus. Freya legte nach: »Wie ist es dir ergangen?«
Gern sprach er nicht über sich selbst und über sein Leben. Ja, seit dem Studium war Zeit vergangen. Und in dieser Zeit hatte Tim sich, wenn er ehrlich war, zurückentwickelt. So musste man das wohl nennen. Ein Sonderling war er ja immer gewesen, aber doch immerhin einer mit Humor, schlagfertig sogar und mit wacher Lust am Gespräch. Und jetzt?
Seit knapp drei Jahren arbeitete er als Lektor für einen Verlag, der vorwiegend Bildbände herausgab. Den Großteil seiner Arbeit konnte er zu Hause am Computer erledigen. Nur zwei, drei Mal pro Woche fuhr er nach Hamburg, um vor Ort Detailfragen zu klären, Absprachen mit Kollegen zu treffen, Anweisungen zu geben,