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Blüten bis spät in den Herbst die Ostwand des Chalets verschönten. Selbst die blütenreichen Zweige der Trauerrose, eine robuste Abart der Blan­che Moreau, hatten die Hagelkörner vom schlanken Stamm gerissen. Grotesk ragte ein Teil des Wurzelstocks aus dem Schlamm, der hohe Stamm lehnte am Gartentor, eine zerzauste, müde Königin.

      Der stumme Mann vor seinen zerstörten Rosen, das stumme Kind am Fenster der Kammer. Ein Band vom Kind zum stummen Betrachter. Wie Liebe im Hass des Kindes. Spannt den roten Gummi. Ein kleiner Berg grauer Kiesel auf dem Sims. Haben sich vereinzelte Blütenzweige an den kräftigsten Stämmen der Rosen halten können. Große Kräfte sind am Werk, wenn das Kind die Schleuder bedient. Große Kräfte, als der Mann vor der Falbala stehen bleibt, im Lichtkegel der Taschenlampe nach dem Zweig mit der befruchteten Narbe greift. Der Körper des Mannes verwächst mit dem Platz, auf dem er steht, und mit dem Zweig, den kein Hagelkorn getroffen hat. Drei Fixpunkte, aufeinander bezogen, ein Atem, solider Zusammenhang zwischen den Punkten. Daskind fühlt sich nicht ausgespart, nicht jetzt, wenn der Atem ein Atem ist und ums Kind streift, tigersicher im Flug. Der gespannte Arm des Kindes, sanft das Zischen des Steins, ein Gebet im kalten Lächeln des Kindes, abgenabelt vom Leider am Kreuz. Zischt der Stein am Kopf des Mannes vorbei in den Strauch. Flirrt den Zweig mit der befruchteten Narbe aus der Hand des Mannes, schüttelt sich der Mann vor Verwunderung, dreht sich nicht um.

      Als Kari Kenel müde zur Eingangstür schlurft, verzerrt schlei­miges Dämmerlicht die Nacht. In der Dachkammer steht Daskind noch immer am Fenster. Der Geruch der aufgewühlten Erde liegt in der Luft. Ein süßer, herber Geruch, den Daskind gierig einatmet. Ein Geruch, wie ihn die nassen Flanken eines Raubtiers verbreiten, wenn es durch den Wald gestreift und Blut getrunken hat.

      Daskind träumt, dass tief im Gehäuse des Tiers der Stein vom Zweig träumt, der nie mehr blühen wird.

      Kellers Kolonialwarenladen lag noch versunken im diesigen Frühlicht, als Kari Kenel unausgeschlafen an der Hausfront vorbeischlich und in Richtung Bahnhof lief. Er begegnete einigen Bauern auf dem Weg zu ihren Feldern und Obstgärten, die sie abschreiten wollten, um den Schaden abzuschätzen, den der Hagelschlag angerichtet hatte. Ein Blitz hatte Schättis alte Buche gespalten, eine hässliche Wunde in den Stamm gebrannt. Die Baumkrone hing verkohlt am Stamm und zeigte wie eine verkrüppelte Hand zur Erde. Schätti stand vor dem Stall und betrachtete bekümmert die jauchedurchtränkten Bretter zu seinen Füßen.

      In den Gärten der Nachbarn sah es nicht besser aus als in Kari ­Kenels Rosenzucht. Von den liebevoll gepflegten Blumenbeeten und Sträuchern war nichts geblieben als ein Haufen kompostierbereiten Abfalls. Salatsetzlinge, junge Kartoffelstauden, Kohlrabi, Lauch und Zwiebeln boten einen jämmerlichen Anblick. Das Gewitter hatte die Gärten in schlammige Friedhöfe verwandelt.

      An der Kreuzung verlangsamte Kari Kenel den Schritt. Zu seiner Linken stand das Restaurant Kreuz mit seinem Kastaniengarten, den roten Tischen aus Blech, das aus dem Bestand seines Arbeitgebers stammte und dessen Verarbeitung zu Tischen, Gelten und Gartenstühlen von ihm überwacht wurde. Die kräftigen Kastanien schienen kaum gelitten zu haben, obwohl auch Gartentische, Stühle und der Kiesplatz mit abgerissenen Zweigen und Dachpfannen übersät waren. Im Gastraum brannte Licht, bald würde Ruth mit dem Aufräumen beginnen. In ihrer selbstbewussten Art würde sie Ordnung schaffen, zupacken, hieß das im Dorf. Sie würde Ordnung in das Chaos vor dem Gasthaus bringen, wie sie es drinnen tat, wenn bei Feuerwehrfeiern und andern Vereinsanlässen über das Maß getrunken wurde und Ruth, mit prallen, muskulösen Armen, den Betrunkenen kurzerhand auf die Beine stellte und zielsicher zum Ausgang schob. Die Männer gehorchten ohne Murren, anderntags würde Ruth wieder am Stammtisch stehen und lachend die derben Bauernwitze parieren. Ruth, die kräftige, etwas burschikose Ruth hatte ein Talent, Köpfe zurechtzurücken, wenn der Ärger die Bauern übermannte, wenn die Sorgen über ihnen zusammenschlugen. Sie war der feste, zuverlässige Hort, wenn ein Kind starb und die leidgeprüften Eltern, Geschwister und Anverwandten stumm zur Gräbt im hinteren Saal schritten. Dass das Leben weitergehe, tröstete sie dann mit ihrer etwas rauen, aber warmen Altstimme, und dass ein Baum übers Jahr wieder Früchte tragen könne, wenn’s der Herrgott so wolle. Sie war der handliche Trost einsamer Knechte. Manch einer erlebte seine besten Momente in ihr fülliges Fleisch versunken. Als eine Auswärtige, aus dem Süden gekommen, wie man im Dorf behauptete, wobei dieser Süden, ungenau definiert, nur mit einer großen, ausladenden Bewegung in die richtige Richtung angedeutet wurde, genoss sie Rechte, die den einhei­mischen Mädchen vorenthalten wurden. Jemand musste sich schließlich der einsamen Männer annehmen, ihre Hitze kühlen, ehe sie mit einer Hiesigen vor den Altar traten und Treue schworen. Obwohl sie sich nie an verheiratete Männer heranmachte, mieden sie die Frauen. Eine, die im Männerfleisch Bescheid weiß, hat einen schweren Stand bei jenen, die beizeiten die Pflicht eingehämmert bekamen, ohne Lust die Beine zu spreizen.

      Vorsichtig stieg Kari Kenel über das Messingschild des Restaurants Schwanen hinweg, das der Sturm aus der Halterung gerissen hatte. Verloren lag der kunstvoll gehämmerte Schwan vor der Rose, dem gemütlichen, wenn auch etwas verlotterten Restaurant auf der andern Straßenseite, gegenüber dem Schwanen. Der Sturm hatte der Rose besonders zugesetzt. Auf der Eingangstreppe lag Zero apathisch in den Scherben. Er verweigerte Kari Kenel den Gruß.

      Der Engel, die letzte Wirtschaft an der Kreuzung, schien den Sturm glimpflich überstanden zu haben. Unbeschadet trompetete der Cherubim über dem Eingang, das kürzlich renovierte Dach war ganz geblieben.

      Heute ging Kari Kenel weiter der Dorfstraße entlang, die zum See führte und dort in einen großzügig angelegten Promenadenweg mündete. Eine außergewöhnliche Entscheidung, noch nie hatte er den Zug verpasst oder war zu spät zur Arbeit erschienen. Doch die Entscheidung entsprach dem außergewöhnlichen Anlass. Kari Kenel trauerte um seine Rosen, und hierfür erschien ihm der Arbeitsplatz in der Fabrik der denkbar ungeeignetste Ort. Fast wäre Kari über eine tote Katze gestolpert. Sie musste von einem herabfallenden Ast erschla­gen worden sein. Das dreckverkrustete Hinterteil war bereits von den großen Ratten, die nach jedem Gewitter die Seeufer absuchten, angenagt worden. Das Maul weit aufgerissen, lag die Katze im Schlamm, und, als hätte sie der Sturm verhöhnen wollen, ragte zwischen den spitzen Zähnen ein Ahornzweig hervor. In solchen Arrangements versuchte man sich an Festsonntagen erfolgreich im Schwanen, wenn man den gebratenen Ferkeln zur Verschönerung ganze Äpfel, Lorbeer- und Rosmarinzweige ins Maul steckte. Saftig waren sie dann anzusehen, die geschmückten Tierkadaver, die tote Katze hier, die von den Naturgewalten zerrissene und höhnisch mit einem Ahornzweig versehene Leiche, lud nicht zum Betrachten ein.

      Über dem gebeugten Kopf das zerfetzte Blätterdach der Bäume, steuerte Kari Kenel auf eine Bank zu. Mit seinem Taschentuch, das ihm Frieda Kenel jeden Morgen sorgfältig gefaltet in den Hosensack schob, reinigte er die Sitzfläche der Bank.

      Vor ihm ausgebreitet lag der See, eine noch immer leise brodelnde, schiefergraue Suppe. Die Dörfer am gegenüberliegenden Ufer schwammen wie Boote auf ständig wechselnden Schwaden schleimigen Lichts. Kari Kenel fühlte einen ihm bislang unbekannten, eiskalten Ekel in sich aufsteigen. Er würde mit der Wiederaufzucht seiner Rosen bald beginnen müssen, sofort, morgen schon, man hatte doch sonst nichts Erfreuliches im Leben, neben der Frau mit den harten Augen, eingepfercht in die Enge des Dorfes, das längst aufgehört hatte, Heimat zu sein. Nichts als die Rosensträucher und das stumme Kind, das nichts vom Heimweh wusste, das Kari zerfraß, und nicht weinte, wenn die Schläge des Mannes und dann die Tränen auf den nackten Kinderhintern niederfielen.

      6

      Breit steht Bruno Keller im Türrahmen seines Kolonialwarenladens, die feisten Arme über der Brust verschränkt. Gegenüber treibt Gotthold Schätti die gemolkenen Kühe aus dem Stall. Den Stumpen im Maul, beobachtet Keller die Kühe, die zur Umzäunung der Viehweide drängen, rücksichtslos schiebend und stoßend das offene Gatter passieren und, kaum auf der Wiese, zu rupfen und zu kauen beginnen. Ein lichter Augenblick nach einer Nacht, die er, vergeblich um die Gattin buhlend, im nach Schweiß und unbefriedigten Gelüsten stinkenden Bettzeug verbringen musste. Eine klebrige Schweißschicht bedeckt auch jetzt sein rundes Gesicht mit den dunklen Säcken unter kleinen, bösartig funkelnden Augen.

      Während Bruno Keller Nachbars Vieh anglotzt, als ob dort weiß Gott was zu holen sei, sitzt Daskind im Chalet Idaho am Küchentisch, vor sich eine Tasse

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