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Daskind - Brandzauber - Angeklagt. Mariella Mehr
Читать онлайн.Название Daskind - Brandzauber - Angeklagt
Год выпуска 0
isbn 9783038551287
Автор произведения Mariella Mehr
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Die Nacht des Kindes ist ein undefinierbarer Ort. Ungeduldig zehrt die Nachtluft von der Wärme am Kind.
Ein schwaches Licht beleuchtet die Stelle, wo das Neugeborene begraben werden soll. Ein bescheidener Hügel ausgehobener Erde ist nötig, um dem kleinen Holzsarg Platz zu schaffen. Bald werden sich Maden und Würmer an das Ungetaufte heranmachen, werden es von innen her zersetzen, bis nichts mehr bleibt als ein paar Knöchelchen und ein winziger Schädel. Sogar ein Neugeborenes kann sich der Allmacht Gottes entziehen, denkt das Kind, dem Herzen Jesu, der das unbesudelte Fleisch erbarmungslos zu sich holt.
Die Männer können das lauernde Kind nicht sehen. Gleichmütig gehen sie ihrer Arbeit nach. Daskind kauert fröstelnd an der Mauerstelle, wo ein faustgroßes Loch den Blick auf den verwunschenen Ort freigibt. Dem Kind entgeht nichts, nicht die blinde Sicherheit der arbeitenden Hände, das rohe Holz des Kindersargs, der dampfende Schlund der Erde.
Durch die Tannenbretter hindurch sieht Daskind das Kind.
Will weinen.
Spürt die rätselhafte Wärme des Unglücks.
Ragt mit seinen Antennen fürs Tote in die Friedhofsnacht, mit nichts als einer Sehnsucht bekleidet.
Als der kleine Sarg in den dampfenden Schlund gesenkt wird, sinkt auch Daskind. Hat die Nacht ein Rechteck Klarheit ausgespart, in dem Daskind versinkt, langsam, unterm Arm des Ochsner Toni, der ein großer Tröster ist, ein Erzengel, dem Herz Jesu trotzend.
Im Kind schneit es, wird es weiß und nachgiebig.
Tief gräbt eine Scherbe sich dem Kind in die Haut, als das Bamert Anneli begraben wird. Ein Höhepunkt im Leben der kleinen Dorfgemeinde. Das Unglück wird während Wochen besprochen, nicht nur in der Nähstube der Schneiderin Frieda Kenel, auch an den Stammtischen der Dorfvereine, selbst in der Sennhütte konnten sie sich nicht satt reden an dem Geschehen. Obwohl niemand genau wusste, was sich an jenem Tag tatsächlich ereignet hatte, als sich Louis Schirmer, auf dem schweren Motorrad vom Vorderberg kommend, und das Bamert Anneli, das Fahrrad den Stutz hinaufschiebend, am frühen Morgen auf halber Höhe am Vorderberg begegneten. Keiner ahnte, was Louis Schirmer, ein reicher Bauernsohn aus der Nachbargemeinde, um diese Zeit auf dem Vorderberg zu suchen gehabt hatte, und der Umstand, dass sich die Bamert Anni just an jenem Morgen eine halbe Stunde später als sonst auf den Weg zum Vorderbergseppli gemacht habe, verweise geradezu schreiend auf einen Plan des Teufels. Ein Goschmar sei es, mit oder ohne des Teufels Hilfe, wisperte die Freudenstau über den Ladentisch der Kellers, wobei sie das O so raffiniert in die Länge zog, dass aus dem Wort fast ein Jodel wurde.
Anni Bamert hatte das Wärchen früh lernen müssen. Der kleine Hof der Bamerts warf kaum etwas ab. Vater Bamert hatte sich außerdem mit dem Kauf einer elektrischen Baumsäge so hoch verschuldet, dass er beim Wuchermoritz vorstellig werden und ein Darlehen erbetteln musste. Der, mit richtigem Namen Schirmer, Vater ebenjenes Louis Schirmer, bot Hand zum Handel und setzte einen derart unverschämten Zins fest, dass auch der Hinterletzte begriff, weshalb man ihn Wuchermoritz nannte. Wuchermoritz, von ungetrübter Habgier, lachte sich nach dem Handschlag ins Fäustchen; hatte er doch den Bamert soeben zum Pächter seines eigenen Hofes gemacht.
Kaum aus der Schule, verdingte sich die Bamert Anni dem ledig gebliebenen Vorderbergsepp als Magd. Schließlich hatte man vom Herrgott zwei Hände bekommen, die anpacken konnten. Mägde waren noch billiger zu haben als Knechte, darum erledigte das Anneli zusätzlich zur Hausarbeit auch die Arbeiten im Stall, nachdem der Sepp in der Frühe die Kühe gemolken und, wenn es die Jahreszeit erlaubte, am steilen Hang ein paar bescheidene Schübel Gras gemäht hatte. Der Sepp hätte die Anni gerne geheiratet, aber da war der beträchtliche Altersunterschied, das Gespött und Gerede hätten nicht lange auf sich warten lassen. Der Sepp, ein Sonderling, im Dorf nur einmal jährlich gesehen, während des Jahrmarkts auf Schättis Viehweide. Da stand dann der Sepp mit einem melancholischen Staunen in den Augen vor den gut genährten Kühen mit ihren prallen Eutern, staunte noch mehr ob der geballten Kraft der Stiere, deren Felle, in schönes Licht getaucht, seidig glänzten. Wehmütig dachte er an das magere Vieh auf dem Berg. Das würde er sich nie leisten können, nicht eine einzige dieser Kühe, nicht einmal einen Ochsen, der ihm einen Teil der Arbeit abnehmen könnte.
Ein Auge auf das Bamert Änneli hatte auch Louis Schirmer geworfen. Der, gewohnt zu bekommen, was er begehrte, strich dem Mädchen nach. Kein Ort im Dorf, wo sich Anni vor seinen Nachstellungen hätte verstecken können. Louis spürte es selbst in der Kirche auf. Bei der Kommunion, wenn sich Frauen und Männer aus ihren Bänken zwängten und beide in getrennten Reihen, aber nebeneinander, nach vorne schlurften, um den Heiland zu empfangen, schaffte es Louis Schirmer, neben Anni Bamert an den Altar zu treten, um, wiewohl ungläubig, in gotteslästerlicher Weise vor dem heiligen Sakrament das freche Maul aufzureißen. Der Triumph war nicht zu übersehen, wenn er, das hilflose Änneli im Visier, an der Hostie lutschte und an ihrer Seite ins Kirchenschiff zurücktrat. In der er als nicht Einheimischer eigentlich nichts zu suchen hatte. Die Nachbargemeinde hatte schließlich ihren eigenen Pfarrer in der eigenen Kirche, aber das kümmerte Louis Schirmer nicht.
Von Schirmers Nachstellungen eingeschüchtert, wurde Anni Bamert immer stiller. Im Dorf flüsterten sich die Frauen mitleidig zu, dass selbst ihr Schneewittchenhaar an Glanz verloren habe und die milchweiße Haut noch durchsichtiger geworden sei. Scheu und niedergeschlagen machte sie die täglichen Einkäufe für den Vorderbergsepp. An den wenigen Tanzanlässen im Schwanen fehlte sie ebenso wie in der Frauenriege. Wenn es ihre Aufgaben nicht erforderten, mied sie das Dorf.
Von der Kanzel wetterte Pfarrer Knobel über die Abtrünnigen, drohte ihnen Tod und Hölle an, wenn sie nicht in den Schoß der Kirche zurückfänden, aber Anni Bamert war nicht mehr zu bewegen, die Michaelskirche zu betreten, so groß war die Scham, Gegenstand eines solch unverschämten Begehrens zu sein.
Nach dem Unglückstag meinte mancher, man habe das arme Kind schmählich im Stich gelassen. Wenn jetzt die Anni zusammen mit ihrem Freier außerhalb der Friedhofsmauer liege, könne sich der eine oder andere ruhig ins Gewissen schreiben, dass die Geschichte auch wegen der Bigotterie der Dörfler ein schlimmes Ende gefunden habe.
An diesem Tag vergaß der Vorderbergbauer seine Grundsätze, die ihm verboten, den Hof mehr als einmal jährlich zu verlassen. Noch nie war es vorgekommen, dass die Anni nicht pünktlich zur Arbeit erschien. Er hätte seine Uhr nach ihr richten können. Beunruhigt zerrte Sepp sein verrostetes Motorvelo aus dem Schuppen und schwang den Hintern unbeholfen auf den speckigen Ledersitz. Dem stotzigen Hang entlang fuhr er zur Stelle, wo der Waldweg in seinem kargen Weideland endete, in der Erwartung, hinter der ersten Wegbiegung Anni entgegenkommen zu sehen, die sich, kann ja einmal vorkommen, nur verspätet hatte. Als er Anni nicht antraf, fuhr er vorsichtig den schmalen Waldpfad hinunter in Richtung Dorf.
Was der Sepp auf halber Höhe des Vorderbergs wirklich sah, hat er sein Leben lang für sich behalten. Es kann kein schöner Anblick gewesen sein, die Bamert Anni, blutüberströmt und zerschmettert unter der Buche, die sie noch im Tod mit dreckverschmierten Händen umklammert hielt. Unweit davon der Schirmer, ein blutiges Bündel Fleisch im Gehölz. Die beiden Fahrzeuge lagen, ineinander verkeilt, auf dem matschigen Weg, einzelne Teile fand Sepp weit verstreut im Unterholz. Eine bedrückende Stille umgab den Schreckensort, kaum wagte Sepp zu atmen.
Auf dem Weg ins Dorf konnte Sepp dem Brechreiz nicht widerstehen. Wellen der Übelkeit schlugen über ihm zusammen. Er verlor die Gewalt über das Motorvelo, schwer schlug er auf, dann übergab er sich.
Später wischte sich der Vorderbergsepp Rotz und Kotze aus dem Gesicht und stellte das Motorvelo ordentlich an einen Baum. Zu Fuß erledigte er den Rest des Weges, schwach in den Knien.
Bei Kellers trat er ein, starrte am Gesicht des Ladenbesitzers vorbei zur Wand, als sei dort die Antwort auf sein Rätsel zu lesen. Gott musste besoffen gewesen sein, als er den Rüpel das Bamert Anneli überfahren ließ. Man habe da oben am Berg zu tun, knurrte Sepp, die Kellerin solle schon einmal dem Janser Wisi Bescheid geben und den Landarzt Mächler rufen, die Anni liege tot im Wald. Vom Schirmer Louis sprach er nicht.
Der absurde Tod der Bamert Anni war nicht schuld daran, dass die Tote ungesegnet neben den Louis und hinter die Friedhofsmauer zu liegen