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nicht nur von der Kanzel herunter, das ganze Dorf, vor allem die Frauen, einte der Gedanke an die Höllenqual, die jetzt das Anni zu erleiden habe. Zugeschlagen habe der da oben, mit strafender Hand ins Geschick der Anni eingegriffen, so weit komme es halt, wenn eine heimlich dem Laster fröne, das Heiligste schände, das eine Ehe zu bieten habe. Mit dem Allmächtigen sei nicht zu spaßen, donnerte Pfarrer Knobel von der Kanzel herunter, wehe dem Sünder, der Gott versuche. Sein sei die Rache, in Ewigkeit, amen.

      Bei Anni Bamerts und Louis Schirmers Begräbnis ist das Kind nicht der einzige Zaungast. Stumm lehnt der Vorderbergbauer an der kalten Mauer. Die Hände unbeholfen ineinander verschlungen, hadert er mit seinem Gott. Er beachtet Daskind nicht, das neben dem Loch in der Mauer kauert und frierend dem harten Poltern der Särge lauscht. Es ahnt Daskind, dass da kein Frieden ist im Tun, dass sich der Herrgott, das Dorf und der Pfarrer, alle unter einer Decke, gegen die Anni verschworen haben.

      Tief gräbt sich die Scherbe in die Haut des Kindes. Fast stöhnt es auf, Kind Selberschuld. Einsam wird aller Schmerz ausgekostet, den das Schicksal zu bieten hat. Auch den Schmerz der Anni muss Daskind trinken, allen Schmerz der Anni, damit die sich dem Frieden übergeben kann, der ein langer Tod ist und ein Licht.

      5

      Ein gewaltsamer, heftiger Frühling neigt sich dem Ende zu. Mit demütigen Augen betrachtet Kari Kenel seine Rosen. Es ist keine Woche her, seit Kari die Vorbereitungen für eine neue Züchtung traf. Am ­frühen Morgen sammelte er die Pollen der Venise und ließ sie vorsichtig in weiße Papiertütchen gleiten. Auf einem schmalen Papierstreifen notierte er Namen und Alter der Sorte, die er mit der Falbala, einer großblumigen, aprikosenfarbigen Teehybride kreuzen wollte. Dabei hatte er es nicht auf die Verfeinerung der Aprikosenfarbe abge­sehen, sondern auf das zarte Korallenrot an den Rändern der Blütenblätter. Das lebhafte Rosa der Venise, unterstützt vom zarten Koral­lenrot der Falbala, sollte in der neuen Zucht seine Vollendung finden. Noch am selben Abend, bei völliger Windstille, bestäubte Kari Kenel die Narbe der zu befruchtenden Blume. Er befestigte ein Etikett an dem Zweig, das er mit dem Namen des weiblichen Partners und jenem des Vaters versah, die er bei gelungener Zucht im Rosenzivilregister einzutragen hatte. Erhebt ein Nachkomme bei einer Neuheitenprüfung Anspruch auf Anerkennung, müssen die Namen der Eltern genannt werden.

      Nach der Befruchtung deckte Kari Kenel den Zweig mit einer Haube zu. Sie würde das Eindringen fremder Pollen verhindern und die befruchtete Narbe vor allzu viel Wärme und Gewitterregen schützen. Nach Ablauf eines Monats würde sich die samenschützende Hülle ausdehnen, die Bildung einer Hagebutte deutlich werden.

      Am Blattwerk der Trauerrose entdeckte Kari Kenel vereinzelte Miniergänge. Die Miniermotte war ein ungern gesehener, aber leider häufiger Gast. Übersah man sie, fraßen sie sich in kürzester Zeit durch die Rosenblätter und hinterließen ein zartes, filigranes Muster, das an persische Ornamente erinnerte. Doch so weit wollte es Kari Kenel nicht kommen lassen. Er behandelte den Rosenbaum mit einer Spritzbrühe.

      Und nun, keine Woche später, steht Kari Kenel mit demütigen Augen vor seinen Rosen. Stumm betrachtet er die Sträucher, verspürt ein heftiges Bedürfnis nach einer Erklärung, nicht anders als der Vorderbergbauer ein knappes Jahr zuvor beim Anblick der toten Anni. Kari Kenel betrachtet die Sträucher oder das, was einmal kraftstrotzende, knospende Rosensträucher gewesen waren. Der Hagel hat ganze Arbeit geleistet, hat erbarmungslos Strauch um Strauch zerschlagen, zerfetzt.

      Das Gewitter kündigte sich mit einem schwefelgelben Himmel an, kurz nachdem sich Daskind beim Silberleider für den Tag bedankt hatte und in die Schlafkammer verwiesen wurde. Diesmal ohne Umweg.

      Es sah aus, als reiße der Himmel das Maul auf und blecke die Zähne. Ein heiseres, gelbes Gebell war der Himmel über dem Tannsberg, der Wald, in dieses schmutzige Gelb getaucht, schien mit ihm zu brüllen.

      Hastig hatten die Männer ihre Milchkannen geleert. Das Lachen der Hüttenmarie fehlte, zu schwer hockte dem Abend das aufkommende Gewitter im Nacken. Als hielte er den Atem an ob dem Gewicht.

      Auch dem Kind war’s schwerer und schwerer im Genick. Für Gewitter hatte es den Instinkt der Hunde, die sich schon vor dem Ausbruch in die Hütte, unter den Tisch oder in eine dunkle Ecke verkriechen.

      Ein heller Blitz erhellte die Kammer des Kindes, dann geschahen zwei Dinge gleichzeitig. Begleitet von einem gewaltigen, hohen, fast schrillen Donnerknall, der sofort in ein dumpfes Grollen überging, fielen, ohne dass es vorher geregnet hätte, die Hagelkörner. An dem von ihnen auf dem Dach erzeugten und sich sekundenschnell ver­ändernden Ton konnte Daskind die Größe der Hagelkörner erraten. Erst prasselten sie nieder, als schütte der Himmel zu Brei zerstampftes Eis auf die Erde. Das waren die kleinen, für die Landschaft mäßig gefährlichen Körner. Diesen folgten größere, der Ton wurde hart, mit hohlem Klang, eine Musik, die Glasmarmeln auf dünnblättrigem Schiefer erzeugen. Doch schneller im Rhythmus, rasend schnell, Haselnusshagel, der plötzlich als Walnusshagel niederprasselt, wie der dumpfer werdende, um eine Nuance hohler klingende Ton verrät.

      In diesem Augenblick hat der Hagelschlag schon großen Schaden angerichtet, die Bauern haben ihre voraussichtlichen Ernteeinbußen grob überschlagen. In den Ställen brüllt angstvoll das Vieh, Kinder, von ihren Müttern im Arm gehalten, weinen.

      Daskind, von niemandem in den Arm genommen, weint nicht. Still lauscht es den entfesselten Kräften, schaut mit weit offenen Augen in die grellen Lichtschwaden, die wütend den düstren Raum unterm Dach zerfetzen. Schaut das lichtlose Kind die Lichtschwaden der Blitze, bis es, geblendet, die Augen schließen muss.

      Ein weiterer, fürchterlicher Donnerschlag zerreißt dem Kind fast das Trommelfell. Nach einer Schrecksekunde Taubheit hört es das ­veränderte Aufprallen des Hagels. Eigroße Geschosse prasseln nieder, unterstützt vom orkanartigen Sturmwind fegen sie die Ziegel vom Dach. Von der Michaelskirche dröhnt die Sturmglocke über das Dorf, Männer, die Feuerwehrjacke über dem Kopf, rennen zum Schwanen. Auch Kari Kenel rennt mit. Kann sich nicht um seine Rosen kümmern. Kann nichts für sie tun, ist, wie die andern, eine Marionette an den Fäden des zürnenden Gottes. Ein solches Gewitter schreckt den Bach aus dem Schlaf, wissen sie, und dass manch einem das Haus über dem Kopf angezündet wird, wenn der da oben den Zorn nicht zügelt.

      Nun hat das Gewitter seinen Zenit überschritten. Das plätschernde Geräusch des Regens löst das Prasseln des Hagels ab. Still liegt Daskind, hat jetzt ein Immerweh im Genick vom Lauschen. Ist nichts im Kind vom reinigenden Gewitter. Hat das Fluchen des Immergrünen gehört, der nicht in den Schwanen muss und keiner Überschwemmung wehrt. Wo der sich einschleicht, weiß Daskind, brennt immer ein Feuer. Daskind, das nicht zu löschen vermag.

      Nachts ist dem Kari Kenel der Tod seiner Rosen unter die Haut gesickert. Müde vom Warten im Schwanen auf weitere Katastrophen hat er den Heimweg unter die Füße genommen, beim Gartentor tief Atem geholt und ist dann mit hölzernen Schritten vor seine Rosensträucher getreten. Die Taschenlampe in der Hand, weil das Licht der Straßenlaterne fehlt. Das muss der Anfang vom Weltuntergang sein, im festgeschriebenen Plan unter Punkt 1 aufgelistet, dass die Rosen sterben in so einer Nacht, einer Gewitternacht, denkt Kari. Geknickt die schlanken Stiele der Katherine Perchtold, deren kupfrig orangene Blütenknospen als unansehnliche, schon bräunlich verfärbte breiige Klumpen im Matsch liegen. Nicht besser steht es um Madame Armand, mit der er voriges Jahr an der internationalen Rosenbörse Bewun­de­rung und Respekt errang. Der Strauch, heillos in den Boden gestampft, liegt in Agonie, es ist Kari, als spüre er den Luftzug auf seinem Gesicht, den Rosenblüten erzeugen, wenn sie ihre Seele aushauchen. Madame Armand, geraniumrot, die großen, gefüllten Blüten mit einem hellen, strahlenden Gelb durchleuchtet, Kari Kenels ganzer Stolz. Er hatte Jahre gebraucht, bis er die anspruchsvolle Dame zur vollen Schönheit erblühen sah. Jahr für Jahr ergänzte er seine Pflege um kleine Tricks, bis sich die Spröde endlich ergab. Sie liebte das ewige Spiel der Annäherung, des Sichzurückziehens, sie liebte den tiefen, orgelnden Ton seiner Stimme und reagierte halsstarrig auf unangemessene Berührungen. Und nun lag sie da, geschändet, tödlich verwundet von der Wucht des Hagels.

      Auch Eleonores dunkelgoldene Knospen hatten den Anschlag nicht überstanden, ihr grünes Blätterkleid schwamm zerfetzt in den Wasserlachen. Selbst Caprice, die dankbarste unter Kenels Rosen, würde heuer nicht blühen,

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