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mit Augenaugen auf sich gerichtet, die Das­kind in eine dicke Eisschicht verpacken können, wenn es sich nicht vorsieht. Die Daskind mit Eisnadeln aufspießen, es mit Eisnägeln ans Kreuz schlagen können wie den Silberleider, der bei jedem Zeitungsrascheln des Kari Kenel neu ans Kreuz genagelt wird, der Immerleider. Daskind sieht sich vor in der Stille, die schwer im Raum liegt. Will nicht einsehen, dass da ein neuer Tag neues Leid bereithält, dem es mit Trotz begegnen muss, will es den Kampf gegen das Eis gewinnen.

      Packt Daskind die Einkaufstasche. Mit dem Laufzettel für Kellers. Faucht Kater Fritz wütend. Tritt Daskind zu. Rasch. Unnachgiebig. Kalt. Mit dem Eis aus den Augen der Pflegemutter im Tritt. Verlässt Küche. Haus. Garten. Lässt Versteck Unter Blautanne Hinter Sich Muss Schutz Verlassen. Die Straße. Kellers Laden Jetzt.

      Bei Kellers versucht sich Daskind stumm an Bruno Keller vorbei in den Laden zu drängen. An Kellers Bauch vorbei, an der Ausbuchtung der Hose unterhalb des Ledergurts, unterhalb des Bauches vorbei. Geht nicht, Kind zwängt sich vergeblich, muss stehen bleiben vor dem Mann mit dem Bauch und der Ausbuchtung; eingeklemmt zwischen Bauch und Türrahmen, Daskind.

      Kann sich nicht mehr bewegen, Daskind.

      Hat keine Luft in den Lungen, Daskind.

      Wird von Kellers Händen am Türrahmen festgenagelt, Daskind.

      Ist ein Schreien im Kind.

      Hat einen Zorn, Daskind.

      Schreit.

      Schreit und trommelt mit den Fäusten auf den Bauch des Mannes.

      Schreit sich die Angst weg, den eisernen Ring ums Geschlecht und ums Herz.

      Einen irren Sinn im Kopf hat Daskind.

      Und einen Willen, nicht unterzugehen.

      Einen starken, warmen Hass und ein Wissen um einen Schrein tief drinnen im Leib, der die Erinnerung birgt.

      Als Gotthold Schätti, Daskind im Arm, die Gartentür aufstößt und langsam den Rosenstöcken entlang zur Haustür geht, hat sich Daskind in Sicherheit gebracht. Atmet nicht, Kind Ohnemacht. Hat auf der Straße gelegen, vor Kellers Laden, ein Hergeholtes, Ungeliebtes. Hat auf der Straße gelegen, den schmerzverzerrten Mund dem Himmel dargeboten, die Hände noch immer schützend am Leib. Vorsichtig wird Daskind vom Bauern auf das rote Sofa gebettet, unter den Leider. Wird dem Kind das Gesicht gewaschen, mit einem nassen Lappen Arme und Beine gekühlt. Steht Frieda Kenel starr hinter der Nähmaschine, die Hände im Rücken verschränkt, noch immer das Eis in den Augen. Schaut über Daskind hinweg zur Wand mit dem Leider, darf nicht in die Augen des Bauern und nicht ins Gesicht des Kindes schauen. Der sagt, dass es wohl richtig wäre, den Mächler zu holen.

      Nach dem Besuch des Arztes wollen viele, allen voran die Frauen im Dorf, mit Sicherheit wissen, was dem Kind wirklich fehle. Nicht richtig im Kopf sei es, das dem Teufel ab dem Karren gefallene Kind. Haben immer gewusst, dass es mit der Nächstenliebe der Kenels nicht gutgehen kann, wenn das Hergeholte keine Dankbarkeit zeigt. Nicht zeigen will. Stecken die Köpfe zusammen, die Leute im Dorf, verhächeln Daskind auf dem roten Sofa, Daskind mit dem Schrei im Hals. Hockt mächtig da, die Meute, mit Worten wie Stahlklingen wird Daskind zerlegt, Beutekind ausgenommen. Fliehen nicht vor dem Schrei. Hören ihn nicht. Stahlhart die Häme im Angriff aufs Kind, wildernd im fremden Schlaf.

      Das nicht zurückkommen kann. Das nicht zurückkommen will, Daskind. Das die Weiden des Guten Hirten verlassen hat, den mit dem Erzliebling auf den zuverlässigen Schultern. Weidet im Vorhof eines andern, Daskind, hat sich zurückgenommen ins schwarze Gras, das wächst, wo ein Tod ist, kein Licht.

      Landarzt Mächler verschreibt stärkende Mittel, die dem Kind auf die Beine helfen sollen. Tätschelt Kind Ohnemacht väterlich die Wangen. Geht mit mahnenden Worten. Daskind brauche Ruhe. Sicherheit. Einen Ort des Vertrauens. Freude. Mächler kämpft gegen die ­Augen der Frieda an. Gegen das Eis. Ist dann, unter der Tür, auch nur ein Mensch. Es ist ihm nicht leicht ums Herz. Beileibe nicht. Lässt dennoch den Argwohn zurück an der Tür und meldet’s übertrieben fröhlich in die Eisaugen der Frau, meldet’s den Eisohren der Frau, dass die Pflicht rufe, auch an so einem Tag.

      Pfarrer Knobel nimmt Daskind ins Gebet. Dass mit dem Herrgott nicht zu spaßen sei, der für jeden seinen Packen Leid bereithalte, an dem zu tragen der Gesundung diene. Der himmlischen Gesundung. Der Vater im Himmel, oberster Arzt unter den Ärzten, wisse alles. In seiner allmächtigen Weisheit habe er die Schuld des Kindes längst vor jeglicher Zeitrechnung erkannt, die Rechnung jedoch in seiner gütigen Allmacht storniert. Nun gelte es, die Schuld abzutragen, damit es an Christi Herzen dereinst genese. Wehe dem, der sich im Trotz verstei­fe und an Gottes Ratschlüssen zweifle, droht Knobel, auf den warten Höllenqualen. Die Sünde wider den Heiligen Geist kenne keine Vergebung, werde in keinem Feuer geläutert. Wehe den Unglücklichen, Gottes Schwert sei überall, zum Sünder komme das Höllenreich.

      Als die Prozession der Mahner endlich vom Kind ablässt, sich mit frommen Worten empfiehlt und Daskind ungetröstet im Eis zurückbleibt, äugt der Frau an der Nähmaschine ein Elend über die Schulter. Das Elend erbarmt sich nicht, übertönt Großergottwirlobendich, will der Frau an den Kragen, lässt sich nicht abschütteln. Ist ein von vielen Nächten gebeuteltes Elend, hat nichts mit Nähermeingottzudir am Hut. Vom Augenblick begünstigt, belagert das Elend die Frau, hungert sie aus, bis der Vorrat aufgebraucht ist, von dem sie zehrt. Bis in den Gebärden der Frau eine Nachgiebigkeit sichtbar wird, äugt’s und lauert’s, dringt’s in den unfruchtbaren Schoß der Frau ein, ins ungeliebte Geschlecht. Bis Frieda Kenel aufsteht. Aufstehen muss. Dem Kind unbeholfen die stärkenden Mittel einträufelt. Es zudeckt. Sich um Daskind kümmert. Kümmern muss. Es mit ungeschickten Händen streichelt.

      Aber das Elend duldet kein Vergessen, gibt sich spröde unter der Berührung der Frau. Greift dem löchrigen Sammeltopf Mitgefühl grob auf den Grund, findet in die Lieblosigkeit zurück, kehrt sich von allem Trösten ab.

      Selbst ein Seelenarzt hatte kein Glück beim Kind. Bockig saß es ein paar Tage später dem Mann gegenüber, der helfen wollte. Zeichnete auf Geheiß einen Baum, der von dem Fremden mit verächtlichem Lachen zurückgewiesen wurde. Das sei kein Baum, das sei eine Tanne, er habe einen Laubbaum gewollt. Verwirrung hielt Daskind gefangen, für das die Tanne ein Baum war. Bis jetzt. Die Tannen mitten im Nimmerwald, die in den Himmel wuchsen, um ab und zu einen Glanz auf den Flügeln der verwunschenen Feen zu erhaschen. Das Versteck unter der Blautanne in Kari Kenels Garten. Die würzige Stille unter den bis auf den Boden herabhängenden Zweigen. Hat sich Daskind nicht ausgekannt in den Bäumen, und diese im Kind?

      Daskind machte einen zweiten Versuch, zeichnete die Eibe auf dem Friedhof. Eifrig bemüht, das Richtige zu tun. Dem Doktor zu Willen zu sein.

      Daskind, das zu oft geschlagen wurde, machte keinen Versuch, der Ohrfeige auszuweichen. Seieinbravesmädchen war ganz rot im Gesicht. Zornentbrannt. Mordlust in den Fäusten.

      Nahm Daskind einen dritten Anlauf, zeichnete einen Baum ohne Nadeln und Laub, gab ihm keine Wurzeln, keinen Wipfel, ließ nur den Baumstamm gelten, den nackten. Verstocktes Kind.

      Der Arzt beorderte Daskind ins Wartezimmer, rief nach der Frau.

      Da stand Daskind vor dem Bild mit der Feuergarbe im Feld. Wildrote Flammen hechelten mit Wildhundzungen zum Himmel. Daskind sah, dass auch er brannte, dass die Welt brannte. Daskind, eingeschlossen im Weh, das so ein Brand bewirkt, suchte mit aufgerissenen Augen nach einem Ausweg, nach einer Spalte, die groß genug wäre, es zu ber­gen.

      Dann lag Daskind auf einem Bett, Hände und Füße an die Bettpfosten gefesselt. Tief schnitten die Lederriemen ins Fleisch, Daskind spürte es nicht, stierte mit nackten Augen ins Nichts. Hatte einen Traum im Gehirn, einen Traum vom schwarzen Gott, der alle holen würde. Zermalmen, träumte Daskind, das Schicksal zu seinen Gunsten wenden würde er und ihm gestatten, die Erde allein zu bewohnen.

      7

      Als die Pfarrkirche aus Anlass der Restaurierung auch einen restaurierten Schutzheiligen bekam, der heller glänzte als der alte und, so schien es jedenfalls den Betrachtern, Beelzebub noch mutiger bekämpfte, organisierte das Dorf ein Fest. Von überall her kam das Volk, Gläubige und Ungläubige, um den

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