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Zugeständnisse in den Augen, keine Kompromissbereitschaft im federnden Schritt der Tiere.

      Dann die Freudenstau. Zwei Pfiffe. Scharf. Gellend. Der Pfiff der Frau eine Salve Bosheit. Kein Laut mehr. Kein Knurren.

      Das Lächeln des speichelverschmierten Mundes. Die hagere Gestalt in schwarze, spitzenverzierte Gewänder gehüllt, ohne Ring am Finger. Hinter dem schwarzen Umriss der Frau mit dem strengen Scheitel im schwarzen Haar der schwarze Berg.

      Sagt nichts, Daskind. Hat sich lange vorher ausgeschrien vorm dunklen Auge der Frau mit dem geifernden Mund. Spricht nicht, Das­kind.

      Angewidert starrt es auf die Speicheltropfen in den Mundwinkeln der Frau. Und auf die Höllenhunde unterm freien Himmel. Eingerahmt von den Hunden, die Freudenstau, Tannsbergkönigin.

      Sieht ein wild taumelndes Ungeheuer über dem schimmernden Scheitel der Frau. Ein Taumeln, grad so wie das Wildwiegen der Angst vor den Wildhöhen, den Wildbildern, den Wildworten oben am Berg. Im wild wiegenden Kinderhirn.

      Zwängt sich Daskind aus den Rucksackträgern. Fühlt, vom Gewicht befreit, die angenehme Kühle unter dem verschwitzten Hemd. Öffnet den Rucksack, zerrt am Fleischpaket. Zittern die Flanken der Höllenhunde. Die Hände der Freudenstau auf den zitternden Flanken der Hunde. Überträgt sich das Zittern auf den Körper der Frau mit dem leicht geöffneten Mund und den starren Augen. Der Blick ist aufs Kind gerichtet. Das nicht zittert. Das mechanisch nach dem Fleisch greift im Packpapier und sich zwei Schritte vorwagt. Blut tropft durch das Packpapier, die Schnauzen der Hunde nah, ganz nah. Das Hecheln der Hunde, ein Wildwort, wie die Salve im Kopf, wenn die Frau pfeift und die Tiere strammstehen, strammwilden, gehorchen.

      So ist das, denkt Daskind, wenn Bannsprüche nichts nützen, dann sind die Hunde nah mit ihren Schnauzen und Reißzähnen und ihren zitternden Leibern. So ist es, Kind Selberschuld, und ein Grollen tief drinnen im Kind.

      Hecheln sich Kühlung zu, die Hunde, nach all dem ungebändigten Zorn und den Wildworten; und weil die Frau pfiff, herrscht eine kurze Waffenruhe rund ums unbewaffnete Kind.

      Lächelt die Freudenstau, winkt mit einem weißen Finger dem Kind. Es soll näher treten.

      Tritt näher Daskind, vorsichtig, langsam, ohne die Frau aus den Augen zu lassen, die starrt, Krieg in den Augen.

      Stolpert beinahe, fängt sich auf und wagt noch einen Schritt, atmet kaum. Zittert nicht, Daskind. Wird von der Macht des Fingers weitergezogen und vom Blick der Frau. Vom gierigen Hecheln der Hunde unterm stillen Himmel über dem Tannsberg. Kniet nieder, Daskind, in die scharfen Kieselsteine. Kniet nieder, legt der Frau das Fleischpaket vor die Füße in den spitzen, eleganten Schuhen. Schuhe, die sonst keine trägt im Dorf. Nicht im Bauerndorf. Da tragen die Frauen Wetterfestes mit dicken Sohlen. Unvorteilhaft für die Form der Füße, aber praktisch. Die nicht, die trägt spitze Lackschuhe, schwarz wie das Haar. Können Daskind erreichen, es berühren am Kopf und treten.

      Treten.

      Ballt Daskind vorsichtig die Fäuste. Dass es niemand sieht, nicht die Freudenstau, nicht die Höllenhunde.

      Denkt daran, es einmal anders zu haben. Träumt vom Zuschlagen, vom verstohlenen, vorsichtigen, bescheidenen. Fast ein Glück.

      So war es gestern, an einem Montag, so war es alle Montage zuvor. Sinnlos, sich des Beginns dieser Berggänge erinnern zu wollen. Andere werden folgen.

      Daskind kehrt aus dem Traum zurück, die Fäuste geballt im Schoß, vor sich den Rücken der Frau. Die singt nicht mehr. Nicht sie und nicht die Nähmaschine. Hat beide Hände am Hals der Kundin Freudenstau. Nimmt Maß vom schmalen Hals der Freudenstau, dann von der Brust im Büstenhalter. Unter der schwarzen Spitze sind die ­Warzen sichtbar. Starrt Daskind auf diese Warzen, denkt Hass, riecht Schweiß, gesäuerte Milch, ein ganzes Aufbäumen im Bauch vor Ekel. Schmal wagen Kindaugen sich vor zum leicht bedeckten Haargestrüpp im Schritt der Freudenstau, die plaudernd Bestes von sich gibt und sich mit Bestem bedienen lässt von der Frau, die vorher sang oder gestern. Ohfernimsüdundsindaufineinebleichenwangenheißetränenhin­gerollt. Der Mund der Frau jetzt fest verschlossen, hält die Nadeln mit den bunten Köpfen zwischen den Lippen, zischt ab und zu ein Wort an den Nadeln vorbei ins Gesicht der Kundin Freudenstau. Wortschlangen beiderseits am Kind vorbei, jede ins Gesicht der andern. Ganz nah, und dass dem Kind geholfen werden müsse. Dem Teufel ab dem Karren.

      So wird geredet, wenn nicht der Kleinefratz zärtlich gefragt ist. Meist die Nadeln im Mund der Frau, Frieda Kenel, geborene Rüegg. Am Kind vorbei die Wortschlangen von Gesicht zu Gesicht, mit Gelächter verwoben. Daskind stumm, starrt auf die nackten Leiber der Kundinnen, versucht, sich in dem Gelächter zurechtzufinden, nicht abzutauchen in Bereiche, die dem Hass verschlossen bleiben. Kennt einer jeden geheimste Stelle, Daskind. Weiß in den Falten der Frauen­häute Bescheid. Weiß von dem Fressen und Saufen, das die Haut entstellt. Weiß von den Schlägen der Männer, kennt sich aus in den Verfärbungen auf Hinterbacken und Bäuchen, kann auf den Tag genau erraten, wann sie entstanden. Kennt das Knistern von Seide auf nackter Haut, weiß von der schmierigen Farbe des Frauenfleisches und vom sanften Kringeln des Haars im Schritt der Kundinnen. Starrt Daskind. Weiß sich im Hass vorm Gelächter geschützt, vor den Wortschlangen, den grauen Ausdünstungen der Körper. Der Seelen. Zumindest jetzt, heute, am hellen Tag.

      Wenn der Pensionist Armin Lacher spätnachts das Wirtshaus verlässt, weiß er Daskind bereit. Bedächtig finden Aug’ und Füße nachtgewohnt den Weg und streben zielsicher zur Dorfmitte, wo zu dieser Stunde eine Straßenlaterne die Vorderfront des Chalets Idaho hell ­beleuchtet. Die Rückseite des Hauses und der Garten liegen im Dunkeln. Auch die blühenden Rosen vor dem Schlafzimmerfenster seiner Wirtsleute, dem Ehepaar Kari und Frieda Kenel. Dass er Frieda Kenel Elend seines Lebens nennt, hat Gründe, für die sich Armin Lacher nicht zu schämen braucht, nicht er, den die junge Störschneiderin Frieda Rüegg schnöde von sich stieß. Manch andere, weiß der Lacher, hätt’ ihm aus der Hand gefressen, die da, die Rüegg, hatte halt Höheres im Sinn. Umsonst, glücklich ist sie nicht geworden, nicht mit Kari, dem schwerblütigen Trottel, und das Haus mit dem fremdländischen Namen hat daran auch nichts ändern können. Ein Heimkehrerhaus, das Chalet Idaho. Über den Namen lachte das ganze Dorf. Das bewies, dass einer wie Kari nicht wirklich heimkehren konnte nach all den Jahren drüben, um wieder einer der Ihren zu werden.

      Bei der Sennhütte neben dem Chalet macht Armin Lacher halt und kühlt den verschwitzten Männerkörper am Gestein der Mauer. Den süßlichen Duft der Schotte in der Nase, wandert sein Blick zum Fenster unter der weißen Inschrift «Idaho». Gleich wird’s ihm noch wärmer werden, dem Knecht, die breite Hand wühlt sich durch den Hosensack, an Münzen, Schnurresten und Tabakkrumen vorbei zum ganzen Mann.

      Daskind schläft nicht.

      Weiß vom Pensionisten.

      Und von der Hand.

      Will nicht, schweigt in die Nacht mit angehaltenem Atem.

      2

      Seit der abgeschnittene Kopf des Lambrettafahrers über die Straße vor dem Chalet Idaho gerollt war, hatte Daskind beschlossen, nicht mehr zu staunen. Daskind hatte den Aufprall gehört, sich weit aus dem Fenster der Kammer gelehnt, den Kopf rollen sehen. Jetzt lag der Kopf vor dem Gartentor, beschattet von den blühenden Rosen. Daskind hätte lachen mögen. Vorbei die Kraft der Nervenstränge, die das Gehirn mit dem Geschlecht verbinden, das sich ans Kind wagen würde wie jedes andere Geschlecht, wenn ihm Heimlichkeit und Zeit ­geboten wird. Aber das sähen die Dörfler nicht gern, wenn Daskind laut lachen oder gar tanzen würde, obwohl sie Daskind ohne Gefühl wähnen und dem Teufel ab dem Karren gefallen. Dem Teufel ab dem Karren. So nennen sie es. Daskind lacht leise.

      Der Rumpf des Lambrettafahrers liegt unter der Maschine. Die Windschutzscheibe bedeckt das Gesäß, ein durchsichtiger Sargdeckel, auf dem sich Schmeißfliegen niederlassen. Blut fließt noch immer aus Kopf und Rumpf. Das Blut benetzt den Randstein, der die Fahrt des Mannes bremste, benetzt das sonnendürre Gras des Weidelands neben der Sennhütte, die zu dieser Nachmittagsstunde nicht benützt wird. Daskind kann das Blut riechen, vermischt mit dem all­gegen­wär­tigen Geruch der Schotte und dem Viehgeruch aus Gotthold Schättis Stall. Die Kreissäge,

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