ТОП просматриваемых книг сайта:
Frauenstimmrecht. Brigitte Studer
Читать онлайн.Название Frauenstimmrecht
Год выпуска 0
isbn 9783039199792
Автор произведения Brigitte Studer
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Издательство Bookwire
Die Zwischenkriegszeit und die Kriegsjahre: Stagnation und Rückschläge
Zwischen 1921 und 1940 wurde in der Schweiz nur ein einziges Mal über die Frage der weiblichen Partizipation auf Kantons- und Gemeindeebene abgestimmt. Am 15. Mai 1927 stimmten die stimmberechtigten Basler Männer über eine entsprechende Initiative der KP ab. Sie erreichte nicht einmal dreissig Prozent Ja-Stimmen, das Frauenstimmrecht wurde also noch höher verworfen als 1920.57 Zwei weitere Abstimmungen verliefen ebenfalls negativ, betrafen aber nur die Bezirks- und Gemeindeebene (Zürich 1923) und die Schul- und Armenkommission (Basel-Landschaft 1926).
Beschränktes Aktionsrepertoire
In einer Standortbestimmung analysierte der SVF 1921 seine Handlungsmöglichkeiten.58 Sie waren bescheiden. Zum einen fehlte den Frauen eine direkte Einflussmöglichkeit in den politischen Parteien, denn ausser der SP nahm keine der grossen Parteien Frauen auf. Zum anderen blieben ihnen die wichtigsten institutionellen politischen Handlungsinstrumente (Initiative, Referendum, parlamentarische Intervention) verwehrt; genutzt werden konnten sie höchstens über männliche Vermittler. Um sich Zugang zu den politischen Entscheidungsträgern zu verschaffen, verfügten die Aktivistinnen für das Frauenstimmrecht nur über die Petition oder die Entsendung einer Delegation zu den Behörden, beides Mittel mit geringer Wirksamkeit. Auch öffentliche Versammlungen und die Vereinspresse waren wenig effektive politische Druckmittel. Obschon sich der SVF über die Beschränktheit seiner Handlungsoptionen im Klaren war, entschied er sich gleichwohl, auf militante Protestformen zu verzichten. Damals zur Diskussion gestanden hatten auch ein Steuerstreik, der Abbruch jedes weiteren sozialen oder philanthropischen Engagements und die Verweigerung von Spenden bei Geldsammlungen.59
Der SVF beschränkte sein Aktionsrepertoire Anfang der 1920er-Jahre ganz bewusst auf den Rahmen von Verfassungs- und Gesetzeskonformität. Bis zur ersten eidgenössischen Abstimmung von 1959 behielt er dies auch bei. Nur in Einzelfällen griff er zu expressiven Aktionen wie Demonstrationen, so 1928 anlässlich des SAFFA-Umzugs mit der überdimensionierten Schnecke, die den Fortschritt des Frauenstimmrechts symbolisieren sollte, oder am 13. Juli 1935 mit einer Protestkundgebung mit Automobilen durch die Stadt Genf, weil Frauen von der für die Zukunft der Demokratie entscheidenden Abstimmung über die Totalrevision der Bundesverfassung ausgeschlossen blieben.60 Initiantin war in beiden Fällen die dem egalitaristischen Feminismus zugehörige Emilie Gourd. Nach den Abstimmungsniederlagen Anfang der 1920er-Jahre verlagerte der SVF seinen Fokus von der formalen auf die faktische Gleichstellung, indem er sich für die Mutterschaftsversicherung und die Lohngleichheit engagierte. Parallel dazu verstärkte er seine Mobilisierungsanstrengungen sowohl intern als auch extern. Intern schuf er mit den Sommerferienkursen und der Präsidentinnenkonferenz neue Strukturen, die sowohl den Austausch und den Zusammenhalt zwischen den Aktivistinnen stärken als auch neues Wissen und eine gemeinsame praktische Erfahrung ermöglichen sollten. Extern galt es dank der Subventionen, welche die Amerikanerinnen ab 1924 jährlich an die Sektionen der IWSA verteilten, die noch für das Frauenstimmrecht kämpfen mussten, die Vereinspresse und die Propaganda aufzubauen.61
Dabei setzte der SVF weiterhin auf die bislang eingeschlagene Strategie der partiellen Verfassungsrevision. Erst Aussenstehende brachten mit der Idee der Verfassungsinterpretation eine davon abweichende Strategie ein. Am 5. April 1923 versuchte die Bernerin Hilda Lehmann, Angestellte beim Metallarbeitersekretariat in Bern, sich ins Stimmregister der Stadt eintragen zu lassen, scheiterte aber. Rechtsanwalt Jenni appellierte daraufhin beim Kanton und ging danach bis vor Bundesgericht. Er argumentiere mit der in Art. 4 BV festgehaltenen Rechtsgleichheit, doch sein Rekurs wurde zurückgewiesen. Ein zweiter, ähnlicher Versuch 1928 bei der höchsten Schweizer Gerichtsinstanz scheiterte ebenfalls.62 Der SVF distanzierte sich öffentlich von Jennis Vorgehensweise.63
Das Frauenstimmrecht galt in den 1920er-Jahren selbst bei Frauenorganisationen vermehrt als extrem und verlor an Unterstützung. Anlässlich der nationalen Ausstellung zur Frauenarbeit SAFFA, die vom 26. August bis zum 30. September 1928 in Bern stattfand und mit 800 000 Besucherinnen und Besuchern ein Publikumserfolg war, musste sich der SVF mit einer Ecke im Ausstellungsbereich Soziale Arbeit begnügen. Für die Mehrheit der Ausstellungskommission galt die Forderung nun als ein Sonderdesiderat. Die Katholikinnen, der konservative Flügel der Sittlichkeitsbewegung sowie Teile des SGF lehnten Werbung für das Frauenstimmrecht an der SAFFA ab. Die Ausstellung war als Leistungsschau der Schweizer Frauen gedacht und auf Konsens ausgerichtet; sie sollte in erster Linie die weibliche Erwerbstätigkeit legitimieren, ohne die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und die Zentralität der Mutterrolle infrage zu stellen. Problemfelder wie die weibliche Doppelbelastung und die Lohnungleichheit wurden daher nicht oder jedenfalls nur indirekt angesprochen. Vorherrschend war ein dualistisches Emanzipationsverständnis, wie es etwa Anna Louise Grütter (1879–1959), die Leiterin der Propagandaabteilung der SAFFA und Präsidentin des Stimmrechtsvereins Bern vertrat. Die promovierte Lehrerin erachtete nach den erfolglosen kantonalen Abstimmungen den egalitaristischen Feminismus als überholt, die radikalen Feministinnen hätten mit ihrem Gerechtigkeitspostulat und ihrem urbanen Habitus der Sache geschadet, besonders auf dem Land.64 Das Projekt des SVF, während des Grossereignisses eine Petition für das Frauenstimmrecht zu lancieren, wurde abgelehnt. Allerdings gelang es dem SVF dank Gourds Initiative, eine Riesenschnecke durch die Stadt Bern zu ziehen, dennoch auf das Frauenstimmrecht aufmerksam zu machen. Im Nachhinein entwickelte sich das Bild der Schneckenaktion zur feministischen Ikone. Doch an der SAFFA wurde das Artefakt in eine der hintersten Ecken verbannt.
Die Petition musste auf das Jahr 1929 verschoben werden. Mit nahezu 250 000 Unterschriften (wovon 78 800 von Männern) erlangte sie einen historischen Rekord, ohne dass dies ihre politische Wirkung gefördert hätte.
Erstens standen nur wenige Frauenorganisationen hinter der Petition: Neben dem SVF und einzelnen Berufsvereinen wie dem Lehrerinnenverein und dem Akademikerinnenverband engagierten sich die Freundinnen junger Mädchen sowie Friedens- und Abstinentenorganisationen. Daneben unterstützten die zwei Linksparteien SP und die KP sowie drei Arbeitnehmerorganisationen, der Verband des Personals der öffentlichen Dienste, der Verband evangelischer Arbeiter und Angestellter und der Schweizerische Gewerkschaftsbund, die Unterschriftensammlung. Nur dank der mobilisierungsfähigen und kampagnengeübten Linksorganisationen und Gewerkschaften kamen derart viele Unterschriften zusammen.
Zweitens stammten die Unterschriften hauptsächlich aus zwölf Kantonen: vor allem aus der reformierten oder vom Protestantismus geprägten Westschweiz. In Neuenburg unterzeichnete ein Viertel der Schweizer Wohnbevölkerung (24,4%) und rund ein Drittel der Frauen, in Genf über ein Fünftel (22,4%) und im Kanton Waadt nahezu ein Fünftel (17,9%). Gut schnitten auch die stark urban geprägten Deutschschweizer Kantone Basel, Schaffhausen, Zürich, Bern und Solothurn mit 10 bis 15 Prozent Zustimmung ab. Wenig Sympathie fand die Petition in den übrigen, eher ländlichen und katholischen Kantonen. Die beiden Halbkantone Ob- und Nidwalden lieferten zusammen gerade mal 34 Unterschriften.65
Drittens hatte die Petition als politische Partizipationsform keine verpflichtende Wirkung für die Behörden. Sie wurde denn auch einfach schubladisiert.
Viertens aktivierte die Petition wieder die Gegnerinnen, deren Gewicht die Behörden hoch veranschlagten. Die von der Waadtländerin Susanne Besson (1885–1957) 1919 gegründete Ligue vaudoise féministe antisuffragiste, hervorgegangen aus der Ligue vaudoise pour les réformes sociales und im Jahr darauf zur hyperaktiven, doch kurzlebigen nationalen Ligue suisse des femmes patriotes ausgebaut, wurde nun als Schweizerische Liga gegen das politische Frauenstimmrecht mit Sitz in Bern wiederbelebt. Sie verfocht eine Mitsprache der Frauen ohne formales Stimm- und Wahlrecht. Ihre Eingabe wanderte zu den Akten der Petition – sozusagen als Gegengewicht.66
Verdüsterung am Horizont
An der Wende zu den 1930er-Jahren engagierten sich nur die beiden Linksparteien programmatisch und praktisch für das Frauenstimmrecht. Die Katholisch-Konservative Partei war strikt