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partielle Rechte. Die erste Abstimmung, am 4. November 1900 im Kanton Bern, war dank Eingaben durch den Berner Lehrerinnenverband und die Christlich-Soziale Vereinigung vom Regierungsrat veranschlagt worden, sie bezog sich aber nur auf die Wahl von Frauen in die Schulkommissionen. Fast siebzig Prozent der stimmberechtigten Männer lehnten ab. Der Berner Jura zeigte sich dem Anliegen gegenüber freundlicher gesinnt. Der Bezirk Freibergen stimmte sogar mit 632 zu 407 Stimmen zu.37

      Während die bürgerliche Frauenbewegung um die Jahrhundertwende erst moderate Anliegen wie das passive Wahlrecht für die Schul- und Armenbehörden anvisierte, begann die Arbeiterbewegung nach und nach, das Frauenstimmrecht zu befürworten und engagierte sich allmählich auch dafür. Als erste Schweizer Organisation sprach sich 1893 der Schweizerische Arbeiterinnenverband (SAV) für das integrale Frauenstimmrecht aus. Die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP) folgte 1904, die österreichische war bereits 1892 vorausgegangen. Am Kongress von Stuttgart 1907 wurden alle Parteien der Sozialistischen Internationale auf die Verteidigung der Forderung verpflichtet. Doch erst am Parteitag von 1912 folgten auf Druck von weiblichen Mitgliedern auch Taten seitens der Schweizer Parteigenossen.38 So reichte der St. Galler sozialdemokratische Grossrat Johannes Huber noch im selben Jahr die erste Motion zugunsten des Frauenstimmrechts ein.39 Gleichzeitig folgten die Arbeiterinnenvereine dem Beschluss der Sozialistischen Internationale und traten als Organisation aus dem Bund Schweizerischer Frauenvereine (BSF) aus, denn «sozialistische Frauenvereine dürfen nicht Kollektivmitglied bürgerlicher Frauenvereine sein».40 In Bezug auf die Frauenstimmrechtsvereine fehlte ein solcher Konsens. Als das Thema am Parteitag 1913 nochmals auf die Traktandenliste kam, wurde der Antrag, dass die Sozialdemokratinnen aus den «bürgerlichen» Stimmrechtsvereinen austreten sollten, abgelehnt. Eine Abgrenzung gegenüber der bürgerlichen Frauenbewegung blieb zwar bestehen, doch eine Zusammenarbeit war in Bezug auf das Frauenstimmrecht von Fall zu Fall möglich.41

      Mit dem SAV, der SP und dem SVF, der nur Sektionen aufnahm, die sich für das integrale Frauenstimmrecht aussprachen, stand nun die Forderung nach politischer Gleichstellung der Frauen mit den Männern im Raum. Mittlerweile hatten mit Finnland 190642 und Norwegen 1913 auch zwei europäische Länder den Frauen das integrale Wahlrecht gewährt. Bis dahin drehten sich die Debatten fast ausschliesslich um beschränkte politische Rechte wie das passive Wahlrecht oder ein partielles Stimm- und Wahlrecht in Schul- oder Armenkommissionen oder kirchlichen Angelegenheiten. Auf diesem Gebiet – und nur diesem – waren erste rechtliche Erfolge zu verzeichnen (passives Wahlrecht in die Schulkommissionen in Genf; Armenpflege im Wallis 1898; Schulbehörden in Basel-Stadt 1903, St. Gallen 1905, Waadt 1906, Neuenburg 1908 etc., siehe Karten 13, S. 191193). In der Praxis wurden aber nur wenige Frauen gewählt. In Genf wurde 1914 das aktive und passive Wahlrecht für die gewerblichen Schiedsgerichte durch eine Initiative sogar wieder abgeschafft.

      1916/17 bis 1921: das Opportunitätsfenster

      Die letzten Jahre des Ersten Weltkriegs, das Kriegsende und die unmittelbare Nachkriegszeit waren Umbruchzeiten, die von geopolitischen Neuordnungen, revolutionären Bewegungen, sozialen Konflikten und politischen Polarisierungen markiert waren. Es war auch eine Zeit des Wiederaufkommens und Erstarkens pazifistischer und internationalistischer Strömungen – und der Ruf nach mehr sozialer Gerechtigkeit und der Gleichberechtigung der Geschlechter wurde lauter. 1917 führte die Russische Revolution die formale Geschlechtergleichstellung ein. 1918 erhielten die Frauen in Deutschland, Österreich, Polen, Luxemburg sowie mit Einschränkungen in Ungarn, Grossbritannien und Kanada das Wahlrecht, 1919 folgten die Niederlande und Schweden, 1920 Island sowie mit Einschränkungen die USA und Belgien. Im Schweizer Generalstreik vom November 1918 erhob das Streikkomitee die Forderung des aktiven und passiven Wahlrechts der Frauen. Weniger als einen Monat später reichten die Nationalräte Herman Greulich (1842–1925) und Emil Göttisheim (1863–1938) je eine Motion zugunsten des Frauenstimmrechts ein. 1919 sprachen sich auch erstmals der BSF43 und sogar der Schweizerische Gemeinnützige Frauenverein (SGF) für das integrale Frauenstimmrecht aus.44

      In dieser Phase sozialpolitischen Aufbruchs erfolgten zahlreiche politische Interventionen auf kantonaler Ebene. Letztlich kam es aber nur zu fünf Abstimmungen über die Einführung des integralen Frauenstimmrechts auf kantonaler und kommunaler Ebene. Sie gingen alle negativ aus.

      Aufbruch in der zweiten Kriegshälfte

      Der Erste Weltkrieg ertränkte vorerst jegliche progressive Reformbemühung unter einer Welle patriotischen Enthusiasmus. Doch bereits ab 1915 erwachte international wieder der Geist pazifistischen und antimilitaristischen Protests, zuerst bei den sozialistischen Frauen und der Jugend, die in der Schweiz internationale Kongresse abhielten. Wie vor dem Krieg waren es sozialdemokratische Parlamentarier, die erste Anträge zugunsten des Frauenstimmrechts einbrachten, so im November 1915 in Neuenburg, dann im Mai 1916 in Bern. In beiden Fällen sollte die Einführung des Frauenstimmrechts, in Neuenburg kantonal, in Bern kommunal, ohne Verfassungsrevision im Rahmen der Debatten über das Gesetz über die politischen Rechte geschehen. In beiden Fällen arbeiteten die Aktivistinnen und Aktivisten eng mit den Antragstellern zusammen. In Neuenburg war der Sozialdemokrat Charles Schürch (1882–1951), der auch Gründungsmitglied des Frauenstimmrechtsvereins von La Chaux-de-Fonds war, der institutionelle Vermittler einer Petition der kantonalen Stimmrechtsvereine. In Bern reagierte Eugen Münch (1880–1919) sehr wahrscheinlich auf das Anliegen des sozialdemokratischen Frauenvereins Bern, der ein Jahr zuvor den Antrag gestellt hatte, dass die SP eine Initiative auf Bundesebene lancieren sollte. Obschon er sein Vorgehen mit der Berner Stimmrechtsbewegung nicht abgesprochen hatte, wurde er von dieser durch die Lancierung einer Petition und anderen Aktionen sofort unterstützt.45 In beiden Fällen hatten die Anträge ebenso wenig Chancen wie zwei frühere Versuchsballone von zwei sozialdemokratischen Abgeordneten in den Kantonen St. Gallen und Bern.

      1917 kam das Frauenstimmrecht in vier weiteren Kantonen auf die politische Traktandenliste. Im August verlangte eine Motion des Sozialdemokraten Greulich und 49 Mitunterzeichnern das integrale Frauenstimmrecht auf Kantons-, Distrikt- und Gemeindeebene im Kanton Zürich (später durch eine parlamentarische Initiative des Sozialdemokraten Otto Lang, 1863–1936, und 74 Mitunterzeichner ersetzt). Im November folgte eine Motion des Waadtländer Sozialdemokraten Anton Suter (1863–1942). Im Dezember war es am Basler Grossen Rat, die schon ältere Motion des sozialdemokratischen Anwalts Franz Welti (1879–1934) und Konsorten zu akzeptieren. In Genf hingegen kam dem Sozialdemokraten Jean Sigg (1865–1922) der Vertreter der Parti indépendant, Louis Guillermin (1845–1924), zuvor, allerdings mit einer beschränkten Formel: ein Stimmrecht nur auf Gemeindeebene und für Frauen über 25 (während Männer mit 20 Jahren abstimmen durften). Knapp zwei Wochen nach dem Landesstreik, am 28. November 1918, schlug im Kanton Aargau der freisinnige Anwalt Arthur Widmer (1877–1947), der auch im Nationalrat sass, ein «aktives und passives Wahlrecht und Stimmrecht in Kirchen-, Schul-, Armen- und Krankensachen» vor. Der Regierungsrat erklärte sich im Januar 1919 nur bereit, die Frage des Frauenstimmrechts als Anregung anlässlich einer Behandlung der Totalrevision der Staatsverfassung zu prüfen, womit das Problem auf unbestimmte Zeit vertagt war. Eine Petition mit 7327 Unterschriften der aargauischen Frauenorganisationen, die zum Ziel hatte, den Frauen wenigstens das aktive und passive Stimm- und Wahlrecht im Sozialbereich einzuräumen, blieb ungehört.46 Von den Grossräten abgeschmettert wurden auch die Motionen in den Kantonen Genf und Waadt. (Im Kanton Waadt allerdings erst am 15. Februar 1921, da der Regierungsrat die Behandlung des Anliegens bis dahin hinausgezögert hatte.)

      Der SVF hatte sich inzwischen auf nationaler Ebene in eine Sackgasse manövriert. Am 13. Mai 1917 hatte die Delegiertenversammlung zwar die Lancierung einer Volksinitiative beschlossen, doch die Präsidentin, die Genferin Emilie Gourd (1876–1946), war bezüglich der Opportunität skeptisch und liess die Dinge liegen. Seit März 1918 hoffte der SVF stattdessen auf die Motion zur Totalrevision der Bundesverfassung des St. Galler Nationalrats Josef

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