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Frauenstimmrecht. Brigitte Studer
Читать онлайн.Название Frauenstimmrecht
Год выпуска 0
isbn 9783039199792
Автор произведения Brigitte Studer
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Издательство Bookwire
Es blieb also nur die kantonale Ebene.
Kantone als erste Kampffelder
In fünf Kantonen kam es in den Jahren 1919 bis 1921 schliesslich zu einer Abstimmung über das integrale Stimmrecht auf Kantons- und Gemeindeebene: in den Kantonen Neuenburg, Basel-Stadt und Zürich aufgrund sozialdemokratischer Motionen, in Glarus aufgrund einer Eingabe an die Landsgemeinde durch den Anwalt Léonard Jenni (1881–1967), Grütlianer und Sozialdemokrat, in Genf aufgrund einer Volksinitiative des Frauenstimmrechtsvereins. Alle gingen negativ aus.49
Die erste Abstimmung fand am 29. Juni 1919 in Neuenburg statt. Ihr kommt nicht nur Laborcharakter zu, sie kann auch als Beispiel für ein gut funktionierendes Zusammenspiel zwischen Stimmrechtsbefürwortern auf der institutionellen Ebene und Aktivistinnen und Aktivisten der Zivilgesellschaft dienen. Auslöser war 1916 eine neue Motion von Schürch, nachdem er ein Jahr zuvor aus formalen Gründen gescheitert war. Diesmal forderten er und seine acht sozialdemokratischen Mitunterzeichner eine Partialrevision der Kantonsverfassung. Ihre Motion wurde im November 1917 überwiesen, allerdings ohne verbindlichen Zeitplan. Um Druck auszuüben, verlangte die kantonale Sektion des SVF eine Unterredung mit dem Regierungsrat. Sie wurde ihnen am 9. März 1918 zwar gewährt, doch verlief sie ergebnislos. Daraufhin lancierten die Frauen eine Petition. Sie sammelten 9849 Unterschriften, eine Zahl, die etwa einem Viertel der erwachsenen Frauen des Kantons entsprach. Den Regierungsrat beeindruckte das nicht. Statt auf die weibliche Bevölkerung stützte er sich lieber auf die Kommunalbehörden des Kantons, die er zur Einführung des Frauenstimmrechts auf Gemeindeebene befragte. Da sich erwartungsgemäss nur fünf Gemeinden (darunter die sozialdemokratisch regierten Städte La Chaux-de-Fonds und Le Locle) uneingeschränkt positiv äusserten, kam er in seinem am 14. Februar 1919 veröffentlichten Bericht zum Schluss, dass eine Abstimmung verfrüht sei. Der Grosse Rat war anderer Meinung und verlangte einen Vorschlag für eine Verfassungsänderung. Die Kantonsregierung wechselte nun von der Verzögerungszur Dramatisierungstaktik. Sie lieferte ihren Bericht und Vorschlag für die Einführung des Frauenstimmrechts auf kantonaler und kommunaler Ebene binnen zwei Wochen, unterstrich die weitreichenden Konsequenzen eines solchen Schritts aber drastisch. Sie setzte die Abstimmung zudem äusserst kurzfristig an, was den Befürworterinnen und Befürwortern wenig Zeit für ihre Kampagne liess. Nur die Sozialdemokratische Partei gab die Ja-Parole aus und engagierte sich in der Abstimmungskampagne. Die beiden bürgerlichen Parteien, Freisinn und Liberale, optierten für die Stimmfreigabe. Unterstützung bot ein kantonales Männerkomitee mit 121 Namen aus einem breiten sozioprofessionellen Spektrum («pasteurs, professeurs, étudiants, commerçants, industriels, employés»).50 Ausserdem hielt der SVF seine Generalversammlung im Kanton ab. Das half alles nichts. Nur rund 30,8 Prozent der stimmberechtigten Männer legten ein Ja in die Urne. Das starke regionale Gefälle folgte einem Stadt-Land-Graben. In der Uhrenarbeiterstadt Le Locle, die einen der damals höchsten gewerkschaftlichen Organisationsgrade der Schweiz aufwies, fehlten zwar nur 30 Stimmen für eine Mehrheit, in La Chaux-de-Fonds betrug der Ja-Stimmenanteil 44 Prozent, doch auch in diesen beiden linken Städten konnte sich die sozialdemokratische Abstimmungsparole nicht durchsetzen.
Das relativ beste Resultat dieser fünf Abstimmungen wurde in Basel-Stadt mit 35 Prozent Ja-Stimmen erzielt, obschon Freisinn, Katholische Volkspartei und Bürger- und Gewerbepartei die Nein-Parole ausgegeben hatten, während die Liberalen sich für Stimmfreigabe und die Sozialdemokraten für die Ja-Parole entschieden hatten. Die SP war allerdings in der Stadt Basel die stärkste Partei; zusammen mit den Grütlianern und ab 1921 der Kommunistischen Partei (KP) verfügte sie zwischen 1920 und 1923 sogar über die Mehrheit. Ausserdem waren auch prominente Liberale wie der Chefredaktor der Basler Nachrichten Albert Oeri (1875–1950), langjähriges Vorstandsmitglied der Vereinigung für Frauenstimmrecht Basel und Umgebung, engagierte Vertreter des Frauenstimmrechts.
Das schlechteste Resultat dieser fünf Kantone wies Zürich mit weniger als einem Fünftel Ja-Stimmen (19,6%) auf. Dort hatte sich im Vergleich zu den Kantonen Neuenburg (60:33) und Basel-Stadt (63:34) bereits im Grossen Rat eine bedeutende Gegnerschaft gezeigt (103:90). In der Stadt Zürich sprachen sich 27 Prozent der stimmberechtigten Männer für das Frauenstimmrecht aus. Die Zustimmung in den Arbeiterquartieren, den Kreisen 3, 4 und vor allem 5, lag mit bis zu 36 Prozent höher, während sie in damals noch eher ländlichen Gemeinden wie Affoltern, Seebach und Schwamendingen (heute Kreis 11) mit 27 Prozent deutlich tiefer war. Die niedrigste Zustimmungsrate zeigten jedoch die bürgerlichen Kreise 2 und 7 und das Stadtzentrum mit zwischen 20 und 23 Prozent. Auch wenn lange nicht alle Arbeiter für das Frauenstimmrecht stimmten, korrelierte die Unterstützung doch mit der sozialdemokratischen Parteibindung.51
Im Kanton Glarus erfolgte am 1. Mai 1921 eine Abstimmung über das Frauenstimmrecht. Sie beruhte auf einem Vorstoss von Dr. iur. Léonard Jenni, der Ende 1920 im Namen von 60 Kantonsbewohnern (darunter 22 Frauen) einen Vorstoss einreichte. Die Landsgemeinde erteilte dem Anliegen, wie es der Landammann empfohlen hatte, «mit grossem Mehr» eine Absage.
Den Abschluss dieser ersten Reihe von Abstimmungen über ein kantonales und kommunales Frauenstimmrecht machte der Kanton Genf am 16. Oktober 1921. Erstmals lancierten die Stimmrechtsaktivistinnen eine Initiative, ein politisches Instrument, das sie auf eidgenössischer Ebene nie, auf kantonaler nur ganz selten ergreifen sollten. Die Genfer Sektion des SVF hatte am 4. Oktober 1920 eine von 2915 Stimmbürgern, also nur von Männern, unterzeichnete Initiative auf der Staatskanzlei deponiert. Sie verlangte die Ergänzung von Art. 21 der Kantonsverfassung, «les citoyens âgés de 20 ans révolus ont l’exercice des droits politiques», durch die drei Wörter «des deux sexes». Die Abstimmungskampagne verlief heftig und brachte nicht nur Gegnerinnen auf den Plan, sondern auch ein männliches Unterstützungskomitee. Doch nur 31,9 Prozent der Stimmbürger sagten Ja.52
Im Kanton Tessin erfolgten in dieser Zeit zwei Vorstösse auf Ebene der Legislative. 1919 akzeptierte der Grosse Rat die Möglichkeit, dass eine Frau, wenn sie einer grundbesitzenden Familie angehörte, anstelle ihres Mannes in ihrer Bürgergemeinde (patriziato) stimmen dürfte; das Referendum wurde nicht ergriffen. Neu konnten sich Frauen auch als Vertreterinnen ins ufficio wählen lassen, das heisst in die Exekutive der patriziati. Es handelte sich um ein Familienstimm- und Wahlrecht auf Zensusbasis. Auch wenn die Novität unter diesen Bedingungen eine weibliche Ermächtigung bedeutete, so folgte sie doch einer anderen Logik, denn im Tessin fehlte es wegen der starken Migration an Männern.53 Ein zweiter Vorstoss, diesmal für ein Frauenstimmrecht auf Gemeindeebene, also auf der Ebene der Wohngemeinde, wurde 1921 von der sozialdemokratischen Fraktion des Verfassungsrats mit Unterstützung durch persönliche Anträge mehrerer bürgerlicher Parteivertreter lanciert. Er scheiterte hingegen bereits im Grossen Rat.54 Die von der Zeitschrift Frauenbestrebungen geäusserte Hoffnung, dass die Tessinerinnen als Erste politische Rechte erhalten würden, erfüllte sich nicht.55
Die Aufbruchsphase war von kurzer Dauer. Im Vergleich zu ihren ausländischen Schwestern, die in zahlreichen Ländern das Wahlrecht erhalten hatten, waren die Schweizer Feministinnen ins Hintertreffen