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die Partei nur die «Mitarbeit der Frau an hiefür geeigneten öffentlichen Aufgaben» festgehalten.67 Mit der Wirtschaftskrise veränderte sich das politische Klima zusehends. In den 1930er-Jahren gerieten der Fortschrittsgedanke mitsamt den zwei grossen politischen Strömungen Sozialismus und Liberalismus und schliesslich sogar die Demokratie selbst in eine Krise. Auftrieb hatten dagegen nationalkonservative bis restaurative Tendenzen. In deren Gesellschaftsbildern stellte nicht mehr das Individuum den zentralen Referenzpunkt dar, sondern die Familie als sozusagen natürliche, organisch-hierarchische Einheit. Sie galt als die kleinste Zelle der Gesellschaft und des Staates. «Auf der Familie ruht der Staat», lautete ein Motto der Schweizerischen Landesausstellung von 1939, der Landi. Die vermeintlich durch die Frauenemanzipation, insbesondere die weibliche Erwerbstätigkeit, und die Verwerfungen der Moderne gefährdete Familie erhielt nun von rechts bis links politische Unterstützung. Weibliche Sonderdesiderate wie das Frauenstimmrecht wurden äusserst unpopulär. Das Spezifische hatte sich dem Gesamten unterzuordnen. Von den Frauen wurde erwartet, dass sie sich für das Allgemeinwohl, die «Volksgemeinschaft», engagierten und nicht durch Forderungen die Öffentlichkeit polarisierten. Im Rahmen der Diskussionen um eine ständestaatliche Verfassungsrevision reaktivierte der katholisch-konservative Vordenker Carl Doka die alte Idee der französischen katholischen Reaktion:68 das Familienstimmrecht. Gemeint war ein mehrfaches Wahlrecht, das der Staat einem Familienvorstand, Mann oder Frau, als Ausgleich für die durch die Sorge für eine Familie bedingten höheren Lasten verleiht.69 (Es handelte sich also nicht um dasselbe Prinzip, wie es 1919 im Tessin mit dem Familienwahlrecht in den Bürgergemeinden, den patriziati, eingeführt worden war.) Die Frauenbewegung musste sich nun für die Bewahrung der Demokratie engagieren, das System, das ihnen die demokratischen Rechte verwehrte.

      Dieses verdankte es ihnen keineswegs. Als 1935 der sozialdemokratische Zürcher Nationalrat Hans Oprecht (1894–1978) den Bundesrat mit einer kleinen Anfrage an die hängige Frauenstimmrechtssache erinnerte, erwiderte die Schweizer Regierung, dass es zurzeit dringendere Probleme gäbe. Auch der Waadtländer Nationalrat Eugène Hirzel (1898–1972), ein Freisinniger, blitzte 1938 ab, als er sich erkundigte, was mit dem Memorandum des SVF geschehen werde, in welchem dieser das Parlament daran erinnert hatte, wie wichtig die Mitarbeit der Frauen in schweren Zeiten sei. In den 1930er-Jahren und im Krieg sah sich die Frauenbewegung in die Defensive gedrängt, bestenfalls konnte sie verhindern, dass Frauenrechte abgebaut wurden. Doch wurde die Legitimität der weiblichen Erwerbsarbeit mit der Kampagne gegen das «Doppelverdienertum» prinzipiell infrage gestellt; die Arbeitsgesetze im Krieg schützten die männliche Arbeitskraft, und die verabschiedeten Bestimmungen in der Sozialversicherung, so in der Arbeitslosenversicherung, diskriminierten die verheirateten Frauen. Nur in zwei Westschweizer Kantonen wurden in den 1930er-Jahren neue Vorstösse für die Einführung des Frauenstimmrechts eingebracht. Die zwei kantonalen Abstimmungen, die während des Kriegs in den Kantonen Genf (1940) und Neuenburg (1941) stattfanden, erzielten beide negative Resultate. Während die Zustimmung in Genf bei 32 Prozent stagnierte, verlor sie in Neuenburg mit 24,7 Prozent Ja-Stimmen sechs Punkte im Vergleich zur Phase des Aufbruchs nach dem Ersten Weltkrieg (obschon nur noch ein partielles Stimm- und Wahlrecht in Gemeindeangelegenheiten zur Debatte stand). In Genf war die Volksabstimmung durch eine Initiative der Genfer Sektion des SVF angeregt worden, in Neuenburg durch eine sozialdemokratische Motion, der eine Eingabe der lokalen Sektion des SVF vorausgegangen war. Es war jedoch das erste Mal, dass auch acht bürgerliche Parlamentarier eine sozialdemokratische Motion mitunterschrieben. Doch ihre Parteien folgten ihnen in ihren Abstimmungsparolen nicht: Freisinn und Liberale sprachen sich für ein Nein aus, die Parti progressiste-national verzichtete auf eine Parole (obschon die Partei anlässlich ihrer Gründung 1920 das Frauenstimmrecht in ihr Programm aufgenommen hatte). Auch die SP hatte ihre Wähler nicht mobilisieren können. Selbst in den Arbeiterhochburgen Le Locle und La Chaux-de-Fonds erreichten die Ja-Stimmen nur je 34 und 30 Prozent. Für die bürgerlichen, nicht parteigebundenen Zeitungen, die das Anliegen befürwortet hatten, war der Moment denkbar schlecht gewählt: ein Jahr nach der Genfer Niederlage und mitten im Krieg, als andere Sorgen dominierten. La Sentinelle, die sozialdemokratische Zeitung, enthielt sich jeden Kommentars zum niederschmetternden Resultat! Für Emilie Gourd waren auch das Desinteresse und die mangelnde Solidarität der Frauen daran schuld.70

      Die unmittelbare Nachkriegszeit: kurze Phase des Aufbruchs

      Das Ende des Zweiten Weltkriegs brachte einen neuen Demokratisierungsschub. Weltweit gewährten nun über drei Dutzend Länder den Frauen das Stimm- und Wahlrecht. Neu waren auch die Nachbarländer Frankreich und Italien dazugekommen. Mit der Charta von San Francisco, welche die Vereinten Nationen 1945 verabschiedeten, wurde das Prinzip der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau neu in einer internationalen Norm festgeschrieben – ein Grund zum Optimismus für die Schweizer Feministinnen. Zumal am 16. Juni 1944 ein Postulat von Hans Oprecht, des Präsidenten der Sozialdemokratischen Partei, und 51 Mitunterzeichnern den Bundesrat eingeladen hatte, zu prüfen, ob nicht verfassungsrechtlich das Frauenstimm- und -wahlrecht zu gewähren sei. Der Nationalrat behandelte es erst 18 Monate später, am 12. Dezember 1945, da vorher «dringendere Geschäfte» anstanden.71

      Neuformation der Reihen

      38 Frauenorganisationen hatten durch eine Eingabe an den Nationalrat das Postulat unterstützt, doch der SGF hielt sich nun zum «totalen» Frauenstimmrecht auf Distanz.72 (Angefragt worden waren 78 Organisationen.73) Zur Vorbereitung der kommenden politischen Kampagnen war unter der Ägide des SVF bereits im März 1945 ein Schweizerisches Aktionskomitee für das Frauenstimmrecht gegründet worden, das im selben Jahr den eidgenössischen Räten eine Petition mit dem Titel «Zur Orientierung über das Frauenstimmrecht» einreichte und Kontakt zu befürwortenden Politikern hielt.74 Neben Sozialdemokraten waren das seit den 1930er-Jahren auch die Vertreter des Landesrings der Unabhängigen (LdU) sowie eine Reihe Freisinniger und Liberaler. Zu Hoffnung auf Fortschritte Anlass gab zudem 1947 die Gründung des Staatsbürgerlichen Vereins katholischer Schweizerinnen (STAKA), einer Gruppe dissidenter Katholikinnen, die sich von der Antistimmrechtsparole der katholischen Kirche lösten, ohne sich aber zu trauen, den Begriff Frauenstimmrecht in ihren Vereinsnamen aufzunehmen. Auch die Gegnerinnen organisierten sich, vor allem in den Kantonen Bern und Zürich. 1945 wurde als Reaktion auf die Gründung des Schweizerischen Aktionskomitees für das Frauenstimmrecht in Interlaken das Aktionskomitee gegen das Frauenstimmrecht gegründet, das bald zu einem Schweizerischen Aktionskomitee gegen das Frauenstimmrecht erweitert wurde. Sie machten bei Parteien, Kirchen und Einzelpersonen Lobbyarbeit.

      Déjà-vu in den Kantonen

      Vorerst aber konzentrierten sich die politischen Auseinandersetzungen auf die kantonale Ebene. In nicht weniger als 15 Kantonen erfolgten unmittelbar nach dem Krieg parlamentarische Interventionen zugunsten des Frauenstimmrechts. Einige waren freilich bescheiden: In Schaffhausen bezog sich eine Motion nur auf Kirchenangelegenheiten, in Basel-Landschaft auf ein Fakultativum in Gemeindeangelegenheiten, in St. Gallen auf die Schul-, Kirchen- und Armenkommissionen. Letztlich kam es 1946 und 1947 nur in fünf Kantonen zu einer Volksabstimmung über ein integrales Frauenstimmrecht auf kantonaler und kommunaler Ebene. In drei Kantonen folgten etwas später Abstimmungen über die Einführung des Stimm- und Wahlrechts in Gemeindeangelegenheiten.

      Der hoffnungsvolle Abstimmungsreigen begann mit Basel-Stadt im Juni 1946, initiiert durch eine parlamentarische Motion der Partei der Arbeit (PdA). Zum ersten Mal gab der Freisinn die Ja-Parole aus, und es rief keine der grossen Parteien zu einem Nein auf. Gleichwohl lehnten zwei Drittel der Stimmberechtigten das Anliegen ab. Die folgenden kantonalen Abstimmungen bestätigten dieses Resultat, zum Teil mit noch bedeutend höheren Ablehnungsquoten. Im Tessin und in Zürich betrugen diese 77,2 und 77,5 Prozent, knapp gefolgt von Basel-Landschaft mit 73,5 Prozent. Einzig in Genf lehnten «nur» 56,3 Prozent der Stimmberechtigten die Initiative der Frauengruppe der PdA ab. Im Kanton Tessin handelte es sich um eine Vorlage, die im Rahmen einer Teilrevision der Verfassung vom Staatsrat eingebracht worden war. In Zürich kamen gleichzeitig zwei Vorlagen zur Abstimmung: Einerseits die erwähnte SP-Initiative zur Kantons- und Gemeindeebene, andererseits eine Vorlage, die sich nur auf die Distrikt- und Gemeindeebene bezog.

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