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nach dem Ersten Weltkrieg war die Hoffnungsphase von äusserst kurzer Dauer. Der Leistungsausweis der Schweizerinnen im Krieg wurde von den Männern nicht durch mehr Rechte honoriert. Nach dem Krieg «zog sich die Frau wieder zurück, still und genau so tapfer», konstatierte Bundesrat Philipp Etter in seinem «Dank an die Schweizer Frau».75 Anders als in den umliegenden Ländern war in der Schweiz kein Bedarf, die politische Macht durch die Wiederherstellung der Demokratie und eine Erweiterung des «Stimmvolks» auf das weibliche Geschlecht symbolisch zu stabilisieren.76 Zudem blieb auch der Druck durch internationale Normen aus, verzichtete doch die Schweizer Regierung auf ein Beitrittsgesuch zur UNO. Ferner bildeten die Stimmrechtsbefürworterinnen unter den organisierten Frauen weiterhin nur eine Minderheit, wie der dritte schweizerische Frauenkongress 1946 demonstrierte, in dessen Schlussresolution das Wort «Frauenstimmrecht» nicht vorkam.77 Mit dem Beginn des Kalten Kriegs setzte international eine Normalisierung ein, die den politischen Status quo und die traditionelle Geschlechterordnung begünstigte. In der vom Krieg verschonten Nation Schweiz stärkte sich parallel dazu die konservative Variante der Geistigen Landesverteidigung. Dieses Sonderfalldenken schützte die Schweiz vor Lehren aus dem Ausland. So formulierte der Sprecher der freisinnigen Fraktion anlässlich der Beratung einer sozialdemokratischen Motion zur Einführung des Frauenstimmrechts im Solothurner Kantonsrat 1946: «Die Bewegung und die Bestrebungen zur Gleichstellung der Frau in öffentlichen Dingen gehen durch die ganze Welt. […] Wenn wir aber an diese Frage herantreten, sollten wir uns davor hüten, uns von aussen beeinflussen zu lassen.»78 Die Forderung nach Gleichberechtigung wollte in der Schweiz niemand hören.

      Das Beharren auf einer reinen Männerdemokratie zeigte sich in den folgenden Jahren in drei Abstimmungen, in denen es nur um die Gemeindeebene ging. Im Kanton Neuenburg betrug die Ablehnung 1948 mehr als zwei Drittel (67,2%). Im Kanton Waadt belief sie sich auf 60,8 Prozent, obschon es vor allem darum ging, den Gemeinden die Möglichkeit zur Gewährung des Frauenstimmrechts einzuräumen, und im Kanton Solothurn verweigerten die Stimmberechtigten mit 50,5 Prozent sogar ein Fakultativum für partielle Rechte – für ein eventuelles Stimmrecht im Schul-, Vormundschafts-, Gesundheits- und Armenwesen auf Gemeindeebene sowie in den Kirchgemeinden.79

      Die langen 1950er-Jahre: die Suche nach Alternativtaktiken und der erste nationale Test

      1950 gab es in Europa nur noch sieben Länder, die Frauen die politischen Rechte verwehrten: Griechenland, die Kleinstaaten Liechtenstein, Monaco, Andorra und San Marino sowie die Diktaturen Portugal und Spanien. Trotz der einsetzenden Hochkonjunktur war der Kampf für das Frauenstimmrecht in der Schweiz Ende der 1940er-Jahre festgefahren.

      Neue Taktiken und die Hilfe eines Franktireurs

      Das Schweizerische Aktionskomitee für das Frauenstimmrecht versuchte daher im Oktober 1949 einen neuen Weg zu beschreiten, indem es in einer Petition erstmals eine Modifikation des Bundesgesetzes über die Volksabstimmungen durch den Zusatz «männlich oder weiblich» beim Begriff Stimmberechtigte vorschlug. Mit dieser Variante wäre zwar das Wahlrecht dahingefallen, doch schien das immerhin ein erster Schritt zu sein. Vor allem führte der Vorschlag wieder auf die nationale Ebene als Handlungsraum zurück. Die Stimmrechtsaktivistinnen konnten nun auf den Sukkurs von mehreren engagierten Interessenvertretern in den eidgenössischen Räten zählen, die den Bundesrat durch parlamentarische Interventionen zum Handeln bringen wollten. Neu war, dass es sich auch um bürgerliche Vertreter handelte, obschon sie in ihrer Partei noch zur Minderheit zählten.

      Als Ausnahmeerscheinung seiner Partei trat der Katholisch-Konservative Peter von Roten (1916–1991) auf. Am 21. Dezember 1949 verlangte der Walliser Nationalrat vom Bundesrat einen Bericht «über den Weg, auf dem die politischen Rechte auf die Schweizer Frauen ausgedehnt werden können», eine Motion, die als Postulat angenommen wurde.80 Von Roten ging es darum, alternative Wege zur Verfassungsrevision zu finden, die seiner Meinung nach nicht nur unnötig war (eine Gesetzesrevision würde genügen), sondern als Verfahren auch ungerecht, wenn die Männer über die Rechte der Frauen entscheiden dürften. Im Juni 1950 doppelte er mit einem Postulat nach, das einen Vorschlag des Schweizerischen Aktionskomitees für das Frauenstimmrecht aufgriff. Der SVF unterstützte seinerseits das Postulat von ausserhalb der politischen Institutionen mit einer Eingabe. Doch weder Nationalnoch Bundesrat liessen sich durch dieses koordinierte Vorgehen zugunsten der Einführung des Frauenstimmrechts über den Weg einer Gesetzesänderung beeindrucken.

      Die Mutlosigkeit der Landesregierung – das Argument der «Unzeitigkeit» und die eigene politische Untätigkeit

      Als der Bundesrat am 2. Februar 1951 den Bericht «über das für die Einführung des Frauenstimmrechts einzuschlagende Verfahren» publizierte, ging er auf von Rotens Anliegen nicht ein. Stattdessen beharrte er darauf, dass die Einführung des Frauenstimmrechts dem Bundesgericht zufolge nur über eine Partialrevision der Bundesverfassung möglich sei.81 Der Bericht beschränkte sich auf zehn Seiten und die Landesregierung auf die Feststellung, dass eine Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz verfrüht sei. Die Frage müsse zuerst auf Kantons- und Gemeindeebene gelöst werden. Dieser Schluss folgte paradoxerweise einer detaillierten Aufzählung aller kantonalen Vorstösse und Abstimmungen, die gemäss der obersten Landesbehörde zeigte, «dass bis jetzt noch kein einziger Kanton sich für das uneingeschränkte Stimm- und Wahlrecht der Frauen ausgesprochen hat». Der Bundesrat kommentierte dies in einer Art und Weise, die als zynisch bezeichnet werden muss: «Dem Aufbau unserer Schweizerischen Eidgenossenschaft entspräche es sicher besser, wenn vorerst in Fragen der Kirchgemeinde, des Vormundschaftswesens, in Bereichen des Armenwesens sowie der Erziehung in Gemeinde und Kanton den Frauen das Stimmrecht eingeräumt würde. Ihre Erfahrungen, ihre Kenntnisse, ja ihre ganz besondere Eignung für solche Aufgaben lassen es als besonders begründet erscheinen, dass sie vor allem dort aktiv und passiv wahl- und stimmberechtigt sein sollten. Wäre es nicht etwas eigenartig und würde nicht dem Wesen unseres föderativen Staates widersprechen, wenn zwar in den Gemeinden und Kantonen für Fragen, für welche die Frauen besonders geeignet sind, Stimm- und aktives und passives Wahlrecht nicht oder nur vereinzelt bestehen, in eidgenössischen Fragen aber der Schritt zuerst gemacht werden soll?»82

      Ob die Schweizerinnen das Stimmrecht denn überhaupt wollten, fragte sich ferner der Bundesrat. Um dies zu erfahren, hatte er eine Konsultativabstimmung unter den Frauen ins Auge gefasst. Angesichts der negativen Rückmeldungen der Kantone auf die Umfrage der Bundesverwaltung erachtete er eine solche aber als nicht realisierbar. Er meinte, es könnte nämlich ein falsches Bild entstehen, da nur die Befürworterinnen teilnehmen würden, die Gegnerinnen hingegen nicht – und wiederholte damit ein altes gegnerisches Argument. Der Bundesrat führte auch die hohen Kosten und die praktischen Schwierigkeiten einer solchen Operation an. Eine erstaunliche Argumentation für das politische System der Schweiz, mit seinen zahlreichen Abstimmungen und seinem dank Föderalismus ausgebauten administrativen Zugriff auf die Bevölkerung! Auf die materielle Frage trat die Landesregierung in ihrer ersten Stellungnahme zu einem Gegenstand, der seit rund einem halben Jahrhundert ein politisches Traktandum war, gar nicht ein. Sie verweigerte sich folglich der politischen Entscheidung und schob den Ball den unteren Staatsebenen zu, indem sie sich sowohl hinter dem Föderalismus als auch dem Bundesgericht versteckte. Weder war sie bereit, eine Vorlage für eine eidgenössische Volksabstimmung zu erarbeiten noch einen Weg über eine Gesetzesreform zu beschreiten. Daneben bediente sie sich in ihrer Selbstlegitimation arrogant bei den Stereotypen der patriarchalischen Geschlechterordnung, welche die Frauen auf soziale Aktionsfelder verwies und sie weiterhin als Unfähige von den politischen Belangen ausschloss.

      Es kann daher nicht verwundern, dass der SVF auf diesen Affront schon wenige Wochen später schriftlich reagierte. Er tat dies freilich auf dem eingespielten Pfad der institutionellen Spielregeln mit einer juristische Gegenargumentation.83 Immerhin rief die bundesrätliche Stellungnahme nun auch den international renommierten Staatsrechtler Max Huber (1874–1960) auf den Plan, der in der NZZ das Recht der Bundesversammlung verteidigte, die Verfassung neu zu interpretieren.84 Seine zahlreichen Ehrungen und Posten, seine frühere Funktion als Bundesratsberater und seine Herkunft aus der Zürcher Oberschicht gaben seiner Meinung Gewicht.

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