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der UNO erklärte, sie habe es mit «Enttäuschung» («disappointment») zur Kenntnis genommen.111 Der BSF bekräftigte gleichwohl sein Festhalten am eingeschlagenen Weg der sanften Überzeugungsarbeit der männlichen Stimmberechtigten.112 Der SGF hingegen distanzierte sich von den «schmollenden Frauenstimmrechtlerinnen».113

      Neue kritische Töne und radikale Praktiken

      Der Entscheid der Männer, die sich weiterhin über die Meinung der weiblichen Mehrheit hinwegsetzten, radikalisierte indessen einen Teil der Basler und der Zürcher Stimmrechtsbefürworterinnen. Von da an organisierten die Zürcherinnen am 1. Februar regelmässig Fackelzüge durch die Stadt. In einer nächtlichen Aktion überklebten sie zudem die Werbeplakate für den Frauenhilfsdienst mit dem Spruch «Nicht ohne Stimmrecht». Das waren in der Nachkriegszeit neue politische Praktiken. Grossen öffentlichen Widerhall provozierten die rund fünfzig Basler Lehrerinnen, die am Tag nach der Abstimmung streikten. Es war ein höchst gesitteter Streik.114 Die Schülerinnen des Mädchengymnasiums wurden am Morgen wieder nach Hause geschickt, und die Lehrerinnen publizierten eine Presseerklärung. Die Behörden sanktionierten die Lehrerinnen. Die Reaktionen in der Öffentlichkeit waren meist heftig; von den Gegnern wurde der Streik in der ganzen Schweiz negativ rezipiert und die Lehrerinnen fehlender staatspolitischer «Mündigkeit» bezichtigt (dies zum Beispiel auch in der Debatte im Neuenburger Grossen Rat 1959). Man warf ihnen mangelndes Demokratieverständnis vor, weil sie sich dem Mehrheitsentscheid der Männer nicht fügen wollten. Demgegenüber zeigten die Lehrerinnen gerade ein elaboriertes Demokratieverständnis. In ihrer Erklärung kritisierten sie die falsche Universalisierung hinter der Schweizer Demokratie, die von den Machtverhältnissen zwischen den Geschlechtern abstrahiere.115

      Neu war Ende der 1950er-Jahre nicht nur, dass im Unterschied zu früher nun zumindest ein Teil der Aktivistinnen bereit war, ein erweitertes Aktionsrepertoire zu nutzen, sondern auch, dass sich kritische Stimmen zur Schweizer Demokratie zu Wort meldeten. Besonders kompromisslos beobachtete 1958 die Anwältin Iris von Roten die Lage der Schweizerinnen in ihrer umfangreichen Studie «Frauen im Laufgitter». Sie analysierte die weibliche Diskriminierung nicht nur in der öffentlichen, sondern auch in der privaten Sphäre und plädierte entsprechend für eine «doppelte Emanzipationsstrategie», beruflich und sexuell.116 Ihr radikaler Ansatz eckte an, die Medien lancierten eine wahre Hetzkampagne gegen sie. Öffentliche Unterstützung fand sie kaum, selbst die Stimmrechtsaktivistinnen distanzierten sich. Eine der wenigen, die ihr Buch verteidigten, war Gertrud Heinzelmann, die Zentralpräsidentin des SVF, die 1960 eine Studie zur Rechtsungleichheit in der Schweiz publizierte. Sie konstatierte eine Fragmentierung und Inkohärenz der Schweizer Rechtslandschaft nach der Einführung des Frauenstimmrechts in drei Westschweizer Kantonen.117 Nach der Abstimmung von 1959 liess Iris von Roten eine kleine, wiederum scharf argumentierende Schrift zur Schweizer Demokratie folgen. Darin demontierte sie die offizielle Heuchelei, welche die Ungerechtigkeit, die den Frauen widerfuhr, hinter den vermeintlichen Spielregeln des politischen Systems der Schweiz verstecke. Ausserdem forderte sie für die Zukunft eine paritätische Geschlechtervertretung, wenn die Demokratie denn ihren Prinzipien gerecht werden sollte.118 Erstmals seit der ersten Hälfte des Jahrhunderts äusserte sich auch wieder ein Mann publizistisch zugunsten des Frauenstimmrechts. Der Geograf, Ökonom und IKRK-Delegierte Max Liniger (1930–2018) kritisierte 1959 in seinen «Réflexions sur l’antiféminisme suisse» die Haltung seiner Schweizer Geschlechtsgenossen, die er als Antifeminismus taxierte. Durch die Wahl dieses Begriffs machte er deutlich, dass die Verweigerung der weiblichen politischen Teilhabe mehr war als ein Gefühl oder eine spontane Reaktion, nämlich eine bewusste politische Abwehr der weiblichen Emanzipation.119 Wie rar eine derartige männliche Stellungnahme war, zeigt die Tatsache, dass er im selben Jahr als Hauptreferent der 49. Generalversammlung des SVF eingeladen wurde.

      Heinzelmanns Überlegungen lieferten den Stimmrechtsbefürworterinnen und -befürwortern sowohl neue juristische Argumente als auch neue Aktionsmöglichkeiten. In der Folge testeten in Genf beheimatete oder wohnhafte Schweizerinnen drei verschiedene Arten, ihr kantonales Stimmrecht auszuweiten. Die in Zürich etablierte Gertrud Heinzelmann, die das Genfer Bürgerrecht besass, wollte sich mit 13 anderen Romandes im Zürcher Stimmrechtsregister eintragen lassen. Die in Genf wohnhafte Mathilde de Stockalper liess sich im Wallis als Kandidatin auf eine Wahlliste setzen. Die sozialdemokratische Genfer Rechtsanwältin und die erste Frau, die in der Schweiz einen Grossen Rat präsidierte, Emma Kammacher (1904–1981), rekurrierte 1965 mit 564 weiteren Schweizerinnen gegen die Weigerung der Genfer Regierung, sie an eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen teilhaben zu lassen, an den Bundesrat.120 In allen drei Fällen verliefen die zu einer partiellen Verfassungsrevision alternativen Praktiken erfolglos.

      Doch der Weg über eine Verfassungsrevision blieb auch auf kantonaler Ebene steinig. In den über dreissig Abstimmungen der 1960er-Jahre hatten meist nur minimale staatspolitische Reformen auf Gemeindeebene eine Chance. Erst 1966 folgte Basel-Stadt als erster Deutschschweizer Kanton den drei Westschweizer Pionierkantonen mit dem kantonalen und kommunalen Stimm- und Wahlrecht. Bis 1970 gesellten sich noch Basel-Landschaft sowie das Tessin, Wallis, Luzern und Zürich zu dieser Gruppe. Vor der zweiten eidgenössischen Abstimmung vom 7. Februar 1971 besassen also nicht mehr als zehn Kantone das integrale Frauenstimmrecht, wobei die vier letzten erst seit 1970 (siehe Karte 8, S. 197).

      1963 trat die Schweiz dem Europarat bei. Die Bundesbehörden erwogen, die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) mit Vorbehalten zu unterzeichnen. Für die Frauenorganisationen war das eine Kriegserklärung, schwanden doch so ihre Chancen auf eine eidgenössische Normierung der politischen Partizipation. Ein Beitritt unter diesen Bedingungen hätte eine Klage der Schweizerinnen bei der Europäischen Menschenrechtskommission verhindert.121 Der SVF wies die Mitglieder des Parlaments in einer Eingabe augenblicklich auf die Problematik hin, erreichte aber nur eine provisorische Zurückstellung der Unterzeichnung der EMRK.

      Der Bundesrat befand sich in einem Dilemma. Einerseits erhielt die Diskriminierung der Schweizerinnen seit den 1960er-Jahren international wachsende Aufmerksamkeit. Der «Sonderfall» der «ältesten Demokratie der Welt» galt im Ausland zunehmend nicht mehr als bizarre Folklore, sondern als Rückständigkeit und anachronistische Ungerechtigkeit. Am Kongress der International Alliance of Women (ursprünglich IWSA) 1964 in Triest war die Tatsache, dass die Schweiz als einziges Mitgliedsland das Frauenstimmrecht noch nicht eingeführt hatte, prominentes Thema vor der internationalen Presse. Auch die offizielle Schweiz begann dieses Manko als Reputationsschaden wahrzunehmen.122 Innenpolitisch begannen sich in den Medien zudem die Stimmen zu mehren, die nicht nur das Frauenstimmrecht, sondern auch die Gleichstellung der Geschlechter als überfällig bezeichneten. Andererseits betrachteten der Bundesrat und weitere politische Kreise es als ebenso schädlich, wenn nicht gar schädlicher für das internationale Renommee des Landes, länger mit der Unterzeichnung der EMRK abzuwarten. In kurzen zeitlichen Abständen, am 30. November und am 14. Dezember 1965, wurden im Nationalrat zwei Motionen eingereicht, welche die Priorität jeweils unterschiedlich setzten. Der Genfer Regierungsrat Henri Schmitt (1926–1982), bald danach Präsident der FDP Schweiz, der im März mit einer kleinen Anfrage gescheitert war,123 forderte nun mit 13 Mitunterzeichnern den Bundesrat auf, eine neue Vorlage für eine Verfassungsrevision zugunsten des Frauenstimmrechts auszuarbeiten. Er wurde durch eine drei Monate später eingereichte Standesinitiative des Neuenburger Grossen Rates unterstützt. Sie forderte vom Bund zusätzlich die Einführung des Frauenstimmrechts in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten. Schmitts Motion wurde 1966 dem Bundesrat ohne zeitliche Verbindlichkeit überwiesen, die Neuenburger Standesinitiative ebenfalls. Der Sankt-Galler Sozialdemokrat Mathias Eggenberger (1905–1975) wollte hingegen, zusammen mit den übrigen sechs Fraktionspräsidenten, vom Bundesrat einen Bericht zum Beitritt der Schweiz zur EMRK, denn der Beitritt könne nicht ewig verschoben werden. Die Motion wurde als Postulat angenommen.

      Bis 1968, dem Internationalen Jahr der Menschenrechte, geschah nichts. Obschon der SVF am 5. Juni 1966 eine Audienz beim sozialdemokratischen Bundesrat Willy Spühler (1902–1990), Chef des Eidgenössischen Politischen Departements (EPD), gewünscht hatte, um ihm

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