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der schweizerischen Frauenverbände für die politischen Rechte der Frau als Dachorganisation verschiedener Frauenverbände. Die Vertreterinnen von SVF, BSF, Katholischem Frauenbund und Evangelischem Frauenbund zeigten sich einig: Zwischen ihnen bestand Konsens, die Unterzeichnung der EMRK mit Vorbehalt abzulehnen. Doch genau diese Möglichkeit hatte Spühler, der die internationale Öffnung der Schweiz vorwärtsbringen wollte, am 1. Februar 1968 in einer öffentlichen Rede evoziert.124 Die Vertreterin der SP, Marie Boehlen (1911–1999), äusserte sich am direktesten und forderte den Bundesrat, der sich als Verfechter der politischen Gleichberechtigung der Geschlechter bezeichnete, zu Taten statt Worten auf. Wie mit der Motion Eggenberger sichtbar wurde, waren die Stimmrechtsaktivistinnen daran, in dieser Frage ihren ältesten Allianzpartner, die SP, zu verlieren. Dass der Bundesrat bereits entschieden hatte, zeigte sich an der Delegiertenversammlung des SVF im Juni 1968. Da erfuhren die Anwesenden von Spühlers Chefbeamten Dr. Heinz Langenbacher (1919–2013) die Konturen des Regierungsszenarios. Die Schweiz als traditionsreiches Land der humanitären Hilfe und als Land der Freiheit und des Friedens, das «stets versucht habe, die Demokratie in grosser Reinheit zu erhalten» – so lautete die Argumentation –, könne sich die Chance, «Modell und Ansporn zu sein», nicht entgehen lassen. Ein Beitritt zur EMRK würde die «Bereinigung der noch bestehenden Unstimmigkeiten» (gemeint war das Frauenstimmrecht) zweifellos fördern, auch wenn in der Demokratie solche Prozesse stets zu «erdauern» seien. Es gehe jetzt darum, Rücksicht auf «höhere Interessen» zu nehmen, nämlich den Schutz der Menschenrechte in der Welt. Mahnend ergänzte der Chefbeamte, dass es der Sache der Menschenrechte keinen Dienst erweisen würde, wenn nun das Frauenstimmrecht unter Druck eingeführt werden müsse. Zum Schluss versicherte er den anwesenden Frauen, dass sowohl er persönlich wie auch das von ihm vertretene Departement voll hinter der Gleichstellung der Frauen und dem Frauenstimmrecht stünden.125

      Am 9. Dezember 1968 konkretisierte der Bundesrat seine Europapolitik mit einem Bericht über seine Haltung bezüglich der EMRK.126 Er gab der Unterzeichnung der internationalen Norm Priorität, da er die Zeit für die Einführung des Frauenstimmrechts noch nicht für reif hielt. Er folgte damit nicht nur der Aufforderung der Motion Eggenberger, sondern auch der theoretischen Legitimation des Verfassungsrechtsprofessors Dietrich Schindler (1924–2018), der in einer öffentlichen Stellungnahme die Meinung vertreten hatte, dass die Vorteile einer Unterzeichnung gegenüber den Nachteilen überwiegen würden. Schindler verstieg sich dabei zu einer Demokratiedefinition, welche die Anzahl der Stimmberechtigten und die Anzahl Urnengänge gegeneinander aufwog: «Das Fehlen des Frauenstimmrechts ist eine in der ganzen Welt bekannte Eigenheit der schweizerischen Demokratie, die teilweise immerhin dadurch kompensiert wird, dass die politischen Rechte in der Schweiz eine größere Ausdehnung haben als anderswo.»127 1951 hatte Max Huber, einer seiner Vorgänger an der Universität Zürich, daraus allerdings den umgekehrten Schluss gezogen, dass nämlich durch die grosse Anzahl Abstimmungen in der Schweiz der weibliche Ausschluss umso gravierender sei.128

      Der Nationalrat akzeptierte mit 88 zu 80 Stimmen den Vorschlag des Bundesrats nur knapp. Die Unterstützung kam vor allem von der sozialdemokratischen und der konservativ-christlichsozialen Fraktion. Die Opposition seitens der BGB und der Nationalen Aktion gegen die Überfremdung von Volk und Heimat basierte auf der Angst vor «fremden Richtern» aus Strassburg. Aus gegensätzlicher Warte lehnten die Parteienvertreter der PdA und ein Teil des LdU eine Unterzeichnung mit Vorbehalten als der Schweiz unwürdig ab, während die FDP unter dem Druck gewerblicher Vertreter argumentativ lavierte. Sie verlangte zwar ebenfalls zuerst die Aufhebung der Vorbehalte, zeigte aber eine grundsätzliche Skepsis gegenüber ausländischen Einflüssen und bemängelte, dass diese Frage nicht einer Volksabstimmung unterworfen werde.129 Für die Sozialdemokraten und ihren Bundesrat war die Frage derart prestigeträchtig, dass Eggenberger, der Motionär und Rapporteur der Kommissionsmehrheit, nicht davor zurückschreckte, den Frauenorganisationen Sturheit vorzuwerfen und sogar drohte, dass dies bei einer kommenden Abstimmung über das Frauenstimmrecht die «Männer negativ beeinflussen könnte».130 Der Ständerat folgte jedoch dem Bundesratsvorschlag nicht. Mit 20 zu 22 Stimmen nahm er die Botschaft des Bundesrats nur zur Kenntnis.

      Politik ist ein Kampfsport

      Der Bundesrat verharrte danach weiterhin abwartend zum Frauenstimmrecht, immer noch von der Angst einer internationalen Blamage im Falle eines negativen Volksentscheids gelähmt. Erst die unerwartete öffentliche Mobilisierung der Frauenbewegung in einem damals noch unbekannten Umfang drängte ihn endlich zum Handeln: Am 1. März 1969 demonstrierten 5000 Frauen und etliche Männer vor dem Bundeshaus in Bern. Sie skandierten «Frauenstimmrecht ist Menschenrecht» und pfiffen den Bundesrat aus. Die Aktion ging auf die Neue Frauenbewegung zurück. Die sich formierende Frauenbefreiungsbewegung (FBB) hatte am 10. November 1968 die 75-Jahrfeier der Zürcher Sektion des SVF gestört und die Bravheit der Stimmrechtlerinnen kritisiert. Bei diesem Ereignis kollidierten nicht nur zwei Generationen Feministinnen, sondern auch zwei politische Stile, Sprachen und Programmatiken. Für die FBB stellte das Frauenstimmrecht nur eine Diskriminierung unter vielen dar. Sie forderte nichts weniger als die Emanzipation der Frauen und ihre Befreiung von der männlichen Herrschaft. Dafür war sie bereit, provokatorische Aktionsmittel einzusetzen wie anlässlich des jährlichen Fackelzugs der Stimmrechtsaktivistinnen; im eng gezogenen politischen Handlungsrahmen der damaligen Schweiz überschritten sie damit schnell die Toleranzgrenzen. Aus Angst vor weiteren Störaktionen der «progressiven Mädchen», wie sie die NZZ nannte,131 weigerte sich die Mehrheit des SVF danach, am «Marsch nach Bern» teilzunehmen. Die FBB ihrerseits verzichtete auf eine Teilnahme, weil die geplante Demonstration an einem Samstag geplant war, an dem das Parlament nicht tagte.

      Die Demonstration war gleichwohl für die damalige Zeit ein Grosserfolg. Wie effektiv der Druck dieser öffentlichen Kundgebung der bis dahin stets in institutionellen Bahnen agierenden Stimmrechtsaktivistinnen auf die Bundesbehörden war, zeigt die Tatsache, dass sich der Bundesrat nur vier Tage später bereit erklärte, endlich auf die Motionen von Fritz Tanner (1923–1996; LdU) vom 4. Juni 1968 sowie die ältere von Henri Schmitt und die Standesinitiative von Neuenburg einzutreten und eine neue Abstimmungsvorlage zu präsentieren. Nachdem somit die behördliche Erstarrung gebrochen worden war, versuchten zwei sozialdemokratische Interventionen (Motion des Zürcher Gewerkschafters Max Arnold, 1908–1998, und Postulat des Basler Rechtsanwalts Andreas Gerwig, 1928–2014) doch noch über den Interpretationsrespektive den Gesetzesweg das Frauenstimmrecht zu implementieren und so die Hürde der Volksabstimmung zu umgehen. Es war ein Zeichen der herrschenden Skepsis gegenüber einem Urnengang und den Effekten der Transformationen der Gesellschaft – doch das Parlament und der Bundesrat gingen nicht darauf ein.

      Nach dem Vernehmlassungsverfahren im Sommer 1969 (bei dem der SVF beinahe übergangen worden wäre), legte die Regierung am 23. Dezember 1969 ihre Botschaft vor.132 Sie war mit 42 Seiten vergleichsweise knapp und schlug die Einführung des Frauenstimmrechts über die Partialrevision von Artikel 74 der BV vor. Die Vorlage passierte die eidgenössischen Räte, wenn nicht ganz ohne Diskussion, so doch am Schluss einstimmig. Die letzten Verzögerungsversuche durch die Verschiebung der Abstimmung auf ein Datum nach den Nationalratswahlen im Herbst 1971 wurden ebenso deutlich abgelehnt wie derjenige des Rechtspopulisten James Schwarzenbach (1911–1994), der noch zu diesem Zeitpunkt zuerst eine Konsultativabstimmung unter Frauen durchführen wollte.

      Ebenso wenig ging das Parlament auf den Vorschlag Arnolds ein, im Sinne «des Grundsatzes der Rechtsgleichheit» den Absatz zu streichen, dass «Abstimmungen und Wahlen der Kanhtone und Gemeinden weiterhin dem kantonalen Recht vorbehalten» seien. Bundesrat Ludwig von Moos (1910–1990) wehrte den Antrag als «mit der föderativen Struktur unseres Staates nicht vereinbar» ab. Denn «die Bezeichnung und Umschreibung des Staatsund Wahlkörpers» sei eines der wichtigsten Prärogative der Kantone.133 Der katholisch-konservative Innerschweizer Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements hatte in der vorparlamentarischen Phase bereits auf Verwaltungsebene verhindert, dass die Einführung des Frauenstimmrechts durch den Bund auch auf die Kantonal- und Kommunalebene ausgedehnt werde und sich dabei gegen das EPD durchsetzen können. Dieses war nämlich der Meinung, dass ansonsten der Vorbehalt zum Frauenstimmrecht bei der EMRK nicht aufgehoben sei.134 Derselben Meinung war Nationalrat Arnold. Sein parlamentarischer

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