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Präsidentin und Anwältin Antoinette Quinche in einem Elternhaus mit hohen moralischen Ansprüchen an den Einzelnen und die Gesellschaft sozialisiert worden sein. Eine Prägung durch die Sittlichkeitsbewegung findet sich ferner bei der Basler Lehrerin Anneliese Villard-Traber (1913–2009), die ihren Mann – einen Dienstverweigerer – in der schweizerischen abstinenten Jugendbewegung kennengelernt hatte. Ein gemeinnütziges Engagement neben demjenigen für das Frauenstimmrecht prägt auch die Biografie von Marie Jäggi-Schitlowski (1904–1981), Tochter russischer Einwanderer, Fürsprecherin und mit einem Kunstmaler verheiratet, die nicht nur Vorstandsmitglied des Frauenstimmrechtsvereins Bern, sondern auch der Sektion Bern des Schweizerischen Gemeinnützigen Frauenvereins war. Ihre Co-Präsidentin des Frauenstimmrechtsvereins Bern, Adrienne Gonzenbach-Schümperli (1900–1987), war als Lehrerin tätig. Seit den 1930er-Jahren war sie in der FDP engagiert, wo sie die lokale Frauensektion aufgebaut hatte. Die Tessinerin Alma Zeli-Bacciarini (1921–2007), die jüngste dieser Gruppe, war die Tochter eines Ingenieurs. Nach einem Studium der französischen und italienischen Literatur in Zürich und Genf wurde sie Mittelschullehrerin. Zwischen 1954 und 1963 war sie auch Vizepräsidentin des Schweizerischen Verbands. Nach Einführung des Frauenstimmrechts sass sie für die FDP im Grossen Rat und im Nationalrat.155 Die Zürcherin Erika Grendelmeier (1906–1988), ursprünglich Deutsche, Tochter eines Kaufmanns, war die Ehefrau des langjährigen LdU-Nationalrats und Anwalts Alois Grendelmeier. Sie präsidierte den Zürcher Frauenstimmrechtsverein von 1954 bis 1962. Als eine der wenigen Hausfrauen in der Leitung des Stimmrechtsvereins diente sie laut Gertrud Heinzelmann «als Aushängeschild zur Demonstration ‹normaler Weiblichkeit› in der Öffentlichkeit».156

      Von den ledigen Lehrerinnen zu den verheirateten Juristinnen

      Fragt man nach den Gemeinsamkeiten dieser Gruppe und nach dem, was sie spezifisch machte, fällt nicht nur auf, dass erstens mindestens die Hälfte der Frauen aus einem Pastorenhaus stammten respektive stark religiös oder sittlich-sozialreformerisch geprägt waren. Trotz der durch die Kleinheit des Samples beschränkten Aussagekraft manifestiert sich zweitens auch ein allmählicher Wandel des Berufsspektrums: Es figurierten nun zwei Juristinnen unter den Sektionspräsidentinnen; die Lehrerinnen mit vier Vertreterinnen überholten sie damit allerdings nicht. Zwei Frauen waren ferner nicht erwerbstätig, eine war Hausfrau, während die andere ihren Lebensverhältnissen entsprechend sehr wahrscheinlich Hauspersonal hatte. Festzustellen ist drittens eine Zunahme der verheirateten Frauen, die mit sechs Personen die Mehrheit gegenüber den ledigen bildeten. Für weltgewandte Milieus spricht viertens, dass – so weit aus den Quellen ersichtlich – vier der acht Frauen mindestens einen ausländischen Elternteil hatten, während bei einer weiteren Frau ein längerer Auslandsstudienaufenthalt in ihrer Jugend belegt werden kann. Fünftens ist die nun explizite Parteizugehörigkeit auch bürgerlicher Frauen zu erwähnen.

      Späte Auflösung der protestantischen Dominanz und vermehrtes parteipolitisches Engagement

      Betrachtet man die Präsidentinnen des SVF, bestätigt sich die elitäre Prägung der nationalen Leitungsebene auch über die Jahre. Von den neun Personen, die zwischen 1909 und 1971 dem SVF vorstanden, stammte nur die letzte aus einfachen Verhältnissen: Gertrude Girard-Montet (1913–1989), die 1968 das Präsidium des nationalen Verbands übernahm, war die Tochter eines Kaminfegers. Durch ihren Mann, Inhaber eines Malereigeschäfts, war sie in den gewerblichen Mittelstand aufgestiegen. Im Unterschied zu den anderen Präsidentinnen fehlte ihr hingegen ein akademisches Umfeld.157 Gertrud Heinzelmann (1914–1999), die das Präsidium 1959/60 nur kurz innehatte, kam aus einer mittelständischen Familie; ihr Vater war Kaufmann. Sie konnte, anders als Girard-Montet, jedoch studieren und arbeitete als promovierte Anwältin. Auch ihre Nachfolgerin von 1960 bis 1968, Lotti Ruckstuhl (1901–1988), war promovierte Anwältin, sie war jedoch bereits in einer akademischen Familie aufgewachsen. Sowohl ihr Vater wie auch ihr Ehemann waren Ärzte.158 Aus welchem sozialen Milieu die auf Auguste de Morsier folgende erste Präsidentin, Louise von Arx-Lack (1876–1945) stammte, ist unbekannt, doch heiratete sie einen Professor für deutsche und französische Sprache, der am Kantonalen Technikum von Winterthur lehrte. Politisch war sie wie de Morsiers Mutter in der Sittlichkeitsbewegung im Kampf gegen den Mädchenhandel aktiv gewesen. Sämtliche vier Präsidentinnen zwischen 1914 und 1959 hatten einen grossbürgerlichen respektive akademischen Familienhintergrund. Neben der erwähnten Emilie Gourd galt das für Annie Leuch-Reineck (1880–1978), die mit einem Bundesrichter verheiratet war und selbst ein Doktorat in Mathematik erworben hatte, sowie für Elisabeth Vischer-Alioth (1892–1963), Tochter eines Basler Maschinenfabrikanten und früh verwitwete Frau eines Juristen aus dem Basler «Daig». Vor ihrer Heirat hatte sie eine Ausbildung an der Sozialen Frauenschule in Berlin absolviert und nebenamtlich für die Pro Juventute gearbeitet.159 Alix Choisy-Necker (1902–1979) war die Tochter eines Genfer Bankiers und einer Patrizierin.

      Von der Konfession her waren alle reformiert. Die Katholikin Lotti Ruckstuhl war eine Ausnahme. Ihre Wahl zur Präsidentin in den 1960er-Jahren zeigt, dass sich die dem Frauenstimmrecht positiv gesinnten Kreise ausgeweitet hatten. Dieses Faktum zeigte sich im Übrigen auch in der Zusammensetzung der 1957 gegründeten Arbeitsgemeinschaft der schweizerischen Frauenverbände für die politischen Rechte der Frau, die unter ihren 38 Frauenorganisationen und 15 kantonalen Frauenzentralen drei parteipolitische Frauengruppen – der SP, des LdU und der FDP – sowie den der Katholisch-Konservativen Partei nahestehenden SKF zählten. Sowohl die Präsidentin der Arbeitsgemeinschaft, Hanni Schärer-Rohrer (1904–1979), Präsidentin der FDP-Frauengruppe Schweiz, als auch die beiden Vize-Präsidentinnen, die Agronomin Mascha Oettli (1908–1997) als Zentralsekretärin der SP sowie der Sozialdemokratischen Frauengruppen der Schweiz, und Lotti Ruckstuhl für den SKF vertraten eine politische Partei.160

      Konstanz und Wandel über die Zeit

      Eine Längsschnittstudie der Berner Frauenorganisationen, basierend auf 200 Namen von Aktivistinnen des Frauenstimmrechtsvereins Bern161 und des BSF, von denen für eine kollektivbiografische Auswertung allerdings nur von 72 Namen genügend Daten zur Verfügung standen, bestätigt die gezeigte Dominanz einer Herkunft aus der oberen Mittelschicht oder der Oberschicht für die Zeit vor 1945 nicht nur von Vorstandsmitgliedern, sondern auch von einem grossen Teil der Vereinsmitglieder.162 Erst nach dem Zweiten Weltkrieg traten einige Frauen auf den Plan, die aus einfachen Verhältnissen oder der Mittelschicht stammten.163 Bis dahin hatte das nur für Emma Graf (1865–1926) als Tochter einer Wirtin und eines kaufmännischen Angestellten gegolten. Für den gesamten Untersuchungszeitraum zwischen 1916/17 und 1968 finden sich im familiären Umfeld vieler Frauen einflussreiche oder gesellschaftlich anerkannte Berufe wie Arzt, Direktor, Seminarlehrer, Jurist, Oberförster und Politiker.

      Die Zugehörigkeit zu einer höheren Gesellschaftsschicht kann sich auch an den Freizeitbeschäftigungen an den Stichdaten 1916/17 und 1930 ablesen, denn einige der Berner Frauen gehörten zu den ersten Automobilistinnen oder Bergskifahrerinnen. Unter den Frauenrechtlerinnen selbst finden sich überdurchschnittlich viele Akademikerinnen. Im Stichjahr 1916/17 trugen 25 Prozent der erfassten Frauen einen Doktortitel (während es im Jahr 1908 noch keine war), 1930 stieg deren Anteil sogar auf fast 38 Prozent, um sich an den restlichen Stichdaten 1945, 1956 und 1968 bei einem Drittel einzupendeln. Wie in den anderen in dieser Studie berücksichtigten Kantonen, aber vielleicht noch ausgeprägter, erweist sich in Bern der Anteil der Lehrerinnen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als dominant. 1908 und 1916/17 war der Lehrberuf sogar der einzige, der sich für die Aktivistinnen finden lässt. Ab 1930 erweiterte sich das Berufsspektrum, während der Anteil der Lehrerinnen auf rund dreissig Prozent sank. 1945 waren es sogar nur noch etwa ein Fünftel, um danach auf etwa ein Achtel zu schrumpfen. Auffällig ist nach 1945 der rapide Zuwachs der Juristinnen. Befanden sich 1945 Ärztinnen, Geisteswissenschaftlerinnen und Juristinnen zahlenmässig noch ungefähr im Gleichgewicht, wuchs der Anteil Letzterer allmählich, und zwar ganz deutlich ab dem Stichjahr 1956. Dass ab 1959 und in den 1960er-Jahren zwei Juristinnen den SVF führten, darf zweifellos als Hinweis auf den wachsenden Einfluss von Rechtsfragen in der Auseinandersetzung um das Frauenstimmrecht gelesen werden. Dazu kam, dass ab 1923

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