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Internationales Privatrecht. Thomas Rauscher
Читать онлайн.Название Internationales Privatrecht
Год выпуска 0
isbn 9783811492448
Автор произведения Thomas Rauscher
Жанр Учебная литература
Серия Schwerpunktbereich
Издательство Bookwire
241
bb) Staatenlosigkeit tritt durch familienrechtliche Vorgänge ein, wenn eine Statusänderung nach dem Staatsangehörigkeitsrecht des bisherigen Heimatstaates zum Verlust der Staatsangehörigkeit, jedoch nach dem Recht keines anderen Staates zum Erwerb von dessen Staatsangehörigkeit führt. Dieser Verlustgrund wird deshalb zunehmend seltener, weil der vormals häufigste Fall, die Änderung der Staatsangehörigkeit einer Frau aufgrund Eheschließung, zunehmend aus den Staatsangehörigkeitsrechten eliminiert wird.
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Schloss vor dem 1.4.1953 eine Deutsche die Ehe mit einem Ausländer, so verlor sie die deutsche Staatsangehörigkeit (§ 17 Nr 6 RuStAG aF); ob sie die Staatsangehörigkeit des Ehemannes erwarb, hing von den Bestimmungen dieses Staates ab. Das deutsche Recht vermied im spiegelbildlichen Fall die Staatenlosigkeit der Frau, weil Eheschließung einer Ausländerin mit einem Deutschen zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit führte (bis 1.4.1953 und sodann erneut vom 24.8.1957 bis 31.12.1969, § 3 Nr 3, § 6 Abs. 1 und 2 RuStAG aF idF des 3. StARegelungsG v. 19.8.1957; in der Zwischenzeit bestand keine ausdrückliche Regelung, weil die Bestimmungen im ursprünglichen RuStAG – als gleichberechtigungswidriges Recht – mit Ablauf des 31.3.1953 außer Kraft getreten waren, Art. 117 Abs. 1 GG). Da alle Staaten, die einen Staatsangehörigkeitserwerb der Frau durch Eheschließung nicht mehr kennen, wenigstens gleichzeitig (das deutsche Recht sogar wesentlich früher) die Eheschließung als Verlustgrund beseitigt haben, kommt Staatenlosigkeit durch Eheschließung kaum noch vor.
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Adoption kann zu Staatenlosigkeit führen, wenn das Heimatrecht des Kindes die Adoption durch einen Ausländer als Verlustgrund für die Staatsangehörigkeit vorsieht, das Heimatrecht des Adoptierenden dem Kind jedoch nicht die Staatsangehörigkeit verleiht – was auch deshalb geschehen kann, weil es die Adoption ggf nicht als wirksam oder nicht als volle Adoption ansieht.
244
cc) Ausbürgerung war im 20. Jahrhundert aufgrund zahlloser Bevölkerungsverschiebungen, Vertreibungen, „ethnischer Säuberungen“ und Flüchtlingsbewegungen der wohl häufigste Grund für Staatenlosigkeit. Die Ausbürgerung als Sanktion für eine Abwendung von dem betroffenen Staat bzw als Methode der Ausgrenzung von missliebigen Volksgruppen kennzeichnet totalitäre Systeme und widerspricht völkerrechtlichen und rechtsstaatlichen Prinzipien.
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Die Sammelausbürgerungen im Dritten Reich, insbesondere die 11. VO zum Reichsbürgergesetz v. 25.11.1941[27] betreffend alle Deutschen jüdischen Glaubens, die sich am 25.11.1941 im Ausland befunden haben, wurde durch Kontrollratsgesetz Nr 1 aufgehoben. Das tschechoslowakische Verfassungsdekret vom 2.8.1945 (eines der „Benes-Dekrete“), das in § 1 Abs. 2 tschechoslowakischen Staatsbürgern deutscher und magjarischer Herkunft die Staatsangehörigkeit entzieht, wurde selbst anlässlich des Beitritts zur EU nicht aufgehoben. In der DDR mussten ausreisewillige Bürger vor einer „legalen“ Ausreise ihre Entlassung aus der Staatsbürgerschaft erhalten, wurden hierdurch jedoch ganz überwiegend nicht staatenlos, da sie regelmäßig die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen. Die aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten Vertriebenen genießen die Rechtsstellung des Art. 116 GG. Aus der ehemaligen Sowjetunion vertriebene Dissidenten (zB Alexander Solshenizyn) wurden hingegen durch Verlust der sowjetischen Staatsangehörigkeit regelmäßig staatenlos. Freilich ist auch das umgekehrte Phänomen bekannt: Das kommunistische Rumänien entließ geflohene Staatsangehörige auch auf Antrag überwiegend nicht aus der Staatsangehörigkeit, was zwar kein Problem der Staatenlosigkeit heraufbeschwor, aber als Schikane zur Erschwerung des Erwerbs einer anderen Staatsangehörigkeit wirken sollte (vgl vor diesem Hintergrund Art. 16 Europäisches Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit, Rn 224).
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c) Staatenlosigkeit wird noch stärker als die Mehrstaatigkeit als unerwünschtes Phänomen angesehen, weil der Staatenlose nicht nur kollisionsrechtliche und andere juristische Probleme verursacht, sondern weil er ohne den öffentlich-rechtlichen Schutz eines bestimmten Staates auf der ganzen Welt Ausländer ist. Das UN-Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen v. 28.9.1954[28] setzt nicht bei der Vermeidung der Staatenlosigkeit an, sondern schafft Grundsätze zur Vermeidung von Rechtlosigkeit von Staatenlosen; es knüpft das Personalstatut Staatenloser in Art. 12 Abs. 1 noch an den Wohnsitz, hilfsweise den schlichten Aufenthalt an. Das UN-Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit v. 30.8.1961[29] geht einen Schritt weiter: Es enthält Bestimmungen, die Staatenlosigkeit aus allen drei genannten Entstehungstypen vermeiden sollen; insbesondere werden rassische, ethnische, religiöse und politische Ausbürgerungen verboten, und solche durch Gebietsänderungen sollen vermieden werden. Das Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit (Rn 224) sieht die Vermeidung von Staatenlosigkeit als Grundsatz (Art. 4 lit. b) und regelt abschließend in Art. 7 Abs. 1 iVm Abs. 3 die Fälle, in denen ein Vertragsstaat den Verlust seiner Staatsangehörigkeit auch dann vorsehen darf, wenn dadurch Staatenlosigkeit eintritt.
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Vermeidung von Mehrstaatigkeit und Staatenlosigkeit können als Ziele im Staatsangehörigkeitsrecht durchaus kollidieren; Staatsangehörigkeitserwerb iure sanguinis von Mutter und Vater führt vermehrt zu Mehrstaatigkeit. Der zunehmend seltenere Staatsangehörigkeitserwerb nur vom Vater vermeidet dies, erhöht aber das Risiko der „Weitergabe“ von Staatenlosigkeit; das CIEC-Übereinkommen zur Verringerung der Fälle der Staatenlosigkeit v. 13.9.1973[30] soll sicherstellen, dass ein Kind von Geburt die Staatsangehörigkeit der Mutter erwirbt, auch wenn deren Staatsangehörigkeitsrecht dies nicht vorsieht, das Kind aber sonst staatenlos würde. Art. 6 Abs. 2 Europäisches Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit (Rn 224) verpflichtet die Vertragsstaaten bei Inlandsgeburt sonst staatenlos werdender Kinder sogar zur Verleihung iure soli.
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d) Im deutschen IPR wird ein Staatenloser gemäß Art. 5 Abs. 2 behandelt.
aa) Anzuwenden ist das Recht des Staates, in dem die Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt, mangels eines gewöhnlichen Aufenthalts ihren schlichten Aufenthalt hat. Schon wegen der systematischen Stellung in Art. 5 (Personalstatut) setzt das natürlich voraus, dass in der anzuwendenden Verweisungsnorm die Staatsangehörigkeit dieser Person Anknüpfungskriterium ist, da nur in diesen Fällen das Fehlen einer Staatsangehörigkeit zu einer kollisionsrechtlichen Lücke führt.
Die Voraussetzungen der Eheschließung eines Staatenlosen mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland beurteilen sich gemäß Art. 13 Abs. 1 iVm Art. 5 Abs. 2 nach deutschem Recht. Wer der Vater eines Kindes ist, beurteilt sich hingegen gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 1 nach dem Aufenthaltsrecht des Kindes; dabei ist es einerlei, ob der vermutliche Vater Deutscher, Ausländer oder Staatenloser ist; dies spielt jedoch eine Rolle, wenn die Vaterschaft nach der alternativen Anknüpfung in Art. 19 Abs. 1 S. 2 (Heimatrecht des jeweiligen Elternteils) festgestellt werden soll.
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bb) Art. 5 Abs. 2 gilt nicht nur für Staatenlosigkeit de iure, sondern auch für Staatenlosigkeit de facto („kann ihre Staatsangehörigkeit nicht festgestellt