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Internationales Privatrecht. Thomas Rauscher
Читать онлайн.Название Internationales Privatrecht
Год выпуска 0
isbn 9783811492448
Автор произведения Thomas Rauscher
Жанр Учебная литература
Серия Schwerpunktbereich
Издательство Bookwire
212
kk) Eine benachbarte, mittelbar auf das IPR einwirkende Frage ist, ob man Integration in den Aufenthaltsstaat auf staatsangehörigkeitsrechtlicher Ebene erreichen kann, wie dies durch das Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts v. 15.7.1999[14] mit einer Erleichterung der Einbürgerung, Hinnahme von Doppelstaatigkeit (§ 12 StAG) und der doppelten Staatsangehörigkeit bei Kindern (§ 4 Abs. 3 StAG; mit – jüngst deutlich gelockerter[15] – Erklärungspflicht nach Volljährigkeit § 29 StAG) versucht wurde. Die Tendenz, Einbürgerung zu erleichtern, ist aus kollisionsrechtlichem Blickwinkel an sich zustimmungswürdig. Je stärker die Einbürgerung willensabhängig ist, umso mehr kann sie selbst bei hoher Mobilität ein Maßstab für die Integrationsbereitschaft und die kollisionsrechtlichen Interessen sein. Andererseits ist kollisionsrechtlich eine doppelte Staatsangehörigkeit (Mehrstaatigkeit) unerwünscht; sie provoziert Konflikte in der rechtlichen Beurteilung durch beide Heimatstaaten und damit „hinkende“ Rechtsverhältnisse (zur daraus folgenden Kritik an § 29 StAG Rn 261).
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Ein in Deutschland geborenes Kind türkischer Eltern, das unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 StAG in Deutschland geboren wird, erwirbt ohne Verlust der türkischen die deutsche Staatsangehörigkeit und ist Doppelstaater; besteht die Optionspflicht nach § 29 StAG, so endet die Doppelstaatigkeit spätestens zwei Jahre nach Zustellung des Hinweise gemäß § 29 Abs. 1 S. 1 Nr 4 StAG vorbehaltlich einer Genehmigung (§ 29 Abs. 3 S. 2 StAG). Ist das Kind iSd § 29 Abs. 1a StAG im Inland aufgewachsen, so bleibt es lebzeitig Doppelstaater, wenn nicht aktiv eine der Staatsangehörigkeiten abgelegt wird. Aus deutscher kollisionsrechtlicher Sicht ist das Kind Deutscher, aus türkischer Sicht Türke und aus Drittstaatensicht kommt es auf die jeweilige Regel für die Behandlung von Mehrstaatigkeit im IPR an.
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Zudem wirkt doppelte Staatsangehörigkeit eher desintegrierend; sie deutet auch kollisionsrechtlich nicht auf einen eindeutigen Interessenschwerpunkt zum Inland hin, denn bewusste Doppelstaatigkeit ist Ausdruck des Offenhaltens der Integration in einem Heimatstaat. Wer sich in Deutschland integrieren will, kann nicht auf Dauer anstreben, zugleich in einem früheren Heimatstaat integriert zu bleiben.
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Zusammenfassend bedeutet also das Staatsangehörigkeitsprinzip auch in Migrationsfällen eine geeignete Typisierung der kollisionsrechtlichen Interessen.
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e) Die Bestimmung der Staatsangehörigkeit eines Anknüpfungssubjekts erfolgt im IPR immer aus der Sicht des Staates, um dessen Staatsangehörigkeit es geht. Staatsangehörigkeitsrecht ist hoheitlicher Natur; kein Staat kann darüber entscheiden, ob eine Person Angehöriger eines anderen Staates ist.[16] In der Praxis sind also die Staatsangehörigkeitsrechte der Staaten zu prüfen, deren Staatsangehörigkeit das Anknüpfungssubjekt besitzen könnte; dies ist meist ein problemloser Prüfungsschritt, kann aber in Einzelfällen einen interessanten Einblick in die unterschiedlichen staatsangehörigkeitsrechtlichen Prinzipien verschiedener Staaten oder in die historische Entwicklung der europäischen Nationalstaaten geben.
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So kann ein Erblasser, der 1908 in Slowenien geboren wurde und 1998 in Slowenien verstirbt, während seines Lebens die österreichische, die ungarische, die jugoslawische und die slowenische Staatsangehörigkeit besessen haben und ggf bei freiwilligem Eintritt in die Deutsche Wehrmacht auch Deutscher geworden und unter Umständen sogar geblieben sein.[17] Tritt, was angesichts der bis zur Wende in Osteuropa vorherrschenden Geringschätzung von Vermögen nicht selten ist, in dem Erbscheinsverfahren erstmals zutage, dass der Erblasser selbst Erbe eines 1944 in Rumänien verstorbenen Onkels ist, dessen Staatsangehörigkeit wegen der Wirren der letzten Kriegstage höchst fraglich sein kann, so wird die Nachlassakte schnell zum Geschichtsbuch.
Literatur:
Basedow Das Staatsangehörigkeitsprinzip in der Europäischen Union, IPRax 2011, 109; Benicke Auswirkungen des neuen Staatsangehörigkeitsrechts auf das deutsche IPR, IPRax 2000, 171; Staudinger/Bausback (2013) Anh. I zu Art. 5 EGBGB; eindrucksvoll zu historischen, oft kriegsbedingten Veränderungen im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht Staudinger/Bausback (2013) Anh. II zu Art. 5 EGBGB; zu staatsangehörigkeitsrechtlichen Regelungen zahlreicher Staaten: Staudinger/Bausback (2013) Anh. III zu Art. 5 EGBGB.
2. Doppelstaater, Mehrstaater
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a) Doppel- oder Mehrstaater sind Personen, die nach dem Staatsangehörigkeitsrecht zweier oder mehrerer Staaten deren Staatsangehörigkeit gleichzeitig in dem für die Anknüpfung maßgeblichen Zeitpunkt besitzen.
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Ursachen mehrfacher Staatsangehörigkeit ergeben sich aus der Überschneidung verschiedener staatsangehörigkeitsrechtlicher Anknüpfungsmerkmale. Häufigste Ursache ist die mehrfache Staatsangehörigkeit von Geburt, die ihre Ursache in unterschiedlichen Prinzipien der Heimatländer der Eltern und des Geburtslandes, aber auch in verschiedener Staatsangehörigkeit der Eltern haben kann.
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Man kann die Staatsangehörigkeitsrechte der Welt trotz vieler Facetten in zwei Gruppen unterteilen. Eine Gruppe folgt dem Prinzip, dass die Staatsangehörigkeit iure sanguinis (lat. nach dem Recht des Blutes) vermittelt wird, die andere Gruppe lässt die Staatsangehörigkeit iure soli (lat. nach dem Recht des Bodens) übergehen. Im ersten Prinzip erwirbt man die Staatsangehörigkeit durch Geburt von einem Elternteil, der diese Staatsangehörigkeit besitzt, im zweiten Prinzip durch Geburt im jeweiligen Staat.
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Während die meisten Staaten Kontinentaleuropas dem ius sanguinis folgen, sind reine ius soli-Staaten selten. Rechtspolitisch eignet sich das ius soli-Prinzip vorwiegend für Einwanderungsstaaten, denn es fördert die schnelle staatsangehörigkeitsrechtliche Integration der ersten im Lande geborenen Einwanderergeneration. Selbst ursprünglich reine Einwanderungsstaaten haben aber mit zunehmender Konsolidierung ihrer Bevölkerungsstruktur das ius soli mit Elementen des ius sanguinis vermischt und stehen Auswüchsen des ius soli zunehmend skeptisch gegenüber.
Die US-citizenship wird grundsätzlich erworben durch Geburt in den USA. Gleichzeitig kann die US-citizenship aber auch erworben werden durch Geburt im Ausland, sofern ein Elternteil US-Staatsangehöriger ist und selbst eine bestimmte Zeit noch in den USA gelebt hat – also allenfalls der ersten Auswanderergeneration angehört. Ein reines ius soli-Prinzip wäre fatal, da zB Kinder, die eine mit einem US-Amerikaner verheiratete US-Amerikanerin während eines kurzen Auslandsaufenthaltes zur Welt bringt, häufig staatenlos, nie aber US-Angehörige wären. Der negative Teil des ius soli-Prinzips (keine US-Staatsangehörigkeit bei Geburt im Ausland)