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abzustellen. Die erwähnten klassischen Einwanderungsländer benötigten in ihrer Gründerphase Einwanderung zur Erschließung gewaltiger Siedlungsräume; die Einwanderung des Einzelnen war fast ausnahmslos der Beginn eines kontinuierlichen Prozesses der – auch staatsangehörigkeitsrechtlichen – naturalization, weshalb eine schnelle Unterstellung des – kollisionsrechtlichen – Personalstatuts unter das neue Aufenthaltsrecht nahe lag: Einwanderung in USA, Kanada oder Australien wurde als konstitutiv für den Aufbau eines neuen Staates verstanden, in dem der Einwanderer unter endgültiger Lösung von seiner – meist europäischen – Herkunft zum originären Teil eines sich neu gründenden Staatsvolkes wurde. Überdies haben Einwanderungsländer die Tendenz, nach einer gewissen Verfestigung der staatlichen Identität, weitere Zuwanderung zu begrenzen; hierauf beruhen der in den USA geführte Streit um illegale Zuwanderung, die höchst selektive Zuwanderungspolitik Kanadas und die geradezu abschottende Haltung Australiens.

      Zuwanderung in Deutschland ist vielschichtig. Staatlicherseits wird nicht unbegrenzte, sondern selektive, volkswirtschaftlich benötigte Zuwanderung gesucht, wo das Angebot an qualifizierten deutschen Arbeitskräften den Bedarf nicht deckt und auch eine verbesserte Ausbildungspolitik nicht hilft. Die kollisionsrechtlichen Interessen eines für 10 Jahre in Deutschland arbeitenden IT-Spezialisten sind andere als die eines dauerhaft nach Deutschland kommenden osteuropäischen Krankenpflegers.

      Auch will nicht jeder Zuwanderer Deutscher werden. Exemplarisch werden die sich daraus ergebenden kollisionsrechtlichen Fragen an den in Deutschland lebenden türkischen Staatsangehörigen erkennbar, die, mit Ausnahme des bilateral völkervertraglich geregelten Erbstatuts vom türkischen IPR nach dem Staatsangehörigkeitsprinzip, vom europäischen IPR hingegen weitgehend nach Aufenthaltsrecht behandelt werden.

      Hinzu kommt Arbeitsmigration mit Rückkehrabsicht als ein Modell, das zu Unrecht in jüngster Zeit einen höchst schlechten Ruf genießt: Rückkehrer haben insbesondere den südlichen EU-Staaten in den 1960er und 1970er Jahren wirtschaftlich sehr geholfen und sich selbst durch mehrjährige Arbeit in Deutschland bemerkenswerte Existenzen in der Heimat geschaffen, von der man sich aus guten Gründen nicht lossagte.

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      hh) Die Frage, wohin das Integrationsinteresse eines in Deutschland lebenden Ausländers weist, kann also nicht ohne weiteres unter Bezugnahme auf wachsende Ausländerzahlen in Deutschland gegen das Staatsangehörigkeitsprinzip beantwortet werden. Vielmehr gebietet die Unterschiedlichkeit der Flucht- und Migrationstypen eine sehr differenzierte kollisionsrechtliche Sicht. Selbst für jene Gruppen von Zuwanderern, die nach ihrer Lebensplanung ein Integrationsinteresse haben, stellt sich die Frage, wie diese kollisionsrechtlich gefördert werden kann. Dies konzentriert sich sodann auf die Streitfrage, ob Aufenthaltsanknüpfung den hier lebenden Ausländer integriert oder ob Integrationswille sich nicht nach einer Zeit durch den Erwerb der deutschen und die Abkehr von der früheren Staatsangehörigkeit erweisen sollte.

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      ii) Solange ein Ausländer in sein Heimatland zurückkehren will oder nach deutschem Recht soll, ist das Staatsangehörigkeitsprinzip interessengerecht; es erlaubt in den Grenzen des deutschen ordre public Identitätswahrung in persönlichen Rechtsangelegenheiten, es wahrt die Kontinuität der Beurteilung dieser Rechtsangelegenheiten und fördert ihre international einheitliche Beurteilung unabhängig von kurz- oder längerfristigen Aufenthalten in anderen Staaten. Auch die Interessen des Rechtsverkehrs sprechen für das Staatsangehörigkeitsprinzip, weil es wegen der hohen Anforderungen an den Erwerb einer Staatsangehörigkeit weitgehend manipulationsfest und dennoch wegen der formalisierten Dokumentation (Ausweise, Pässe) leicht feststellbar ist. Wo der Verkehrsschutz berührt ist – und dies ist bei Angelegenheiten des Personen-, Familien- und Erbrechts nur bei Berührung von Vermögensinteressen der Fall – kann durch gezielte Schutzbestimmungen (zB Art. 16) diesen Interessen genügt werden.

      Aus Sicht von Inner-EU-Migranten, die in einem die Arbeitnehmerfreizügigkeit gewährleistenden Europa vermehrt für einige Jahre in anderen Mitgliedstaaten arbeiten, bietet das Staatsangehörigkeitsprinzip Vorhersehbarkeit hinsichtlich der Behandlung nach der Rechtsordnung, in der die Betroffenen sozialisiert sind. So dürfte es wohl die deutsche Ehefrau eines Deutschen, der für Airbus in Finkenwerder tätig war und für fünf Jahre nach Toulouse wechselt, einigermaßen erstaunen, dass im Fall der Scheidung nach der ab dem 21.6.2012 geltenden Aufenthaltsanknüpfung (Art. 8 lit. a Rom III-VO) französisches Recht Scheidungsstatut ist, was sich auch auf den Versorgungsausgleich (dazu Rn 871 ff) eingeschränkt auch auf den nachehelichen Unterhalt (dazu Rn 945) auswirken kann. Rechtswahl (Art. 5 Rom III-VO) bietet gegen solche Überraschungen kaum Schutz, weil vorsorgend kaum der Regelungsbedarf erkannt wird und im Zeitpunkt der Ehekrise jeder Ehegatte sich beraten lassen wird, welche Rechtsordnung ihm Vorteile bringt. Der um zahlreiche Fallgruppen (Mallorca-Renter, Arbeitsmigranten, Auslandsstudenten, fremdbestimmte Pflegeheim-Migration) geführte Streit, wie gewöhnlicher Aufenthalt im Erbstatut nach Art. 21 EU-ErbVO zu verstehen ist (dazu Rn 1082 ff) beweist augenfällig, dass Freizügigkeit innerhalb der EU ein geradezu diametral konträres Konzept zur klassischen Auswanderung ist. Wer 10 Jahre in Frankreich arbeitet oder 7 Monate in Spanien überwintert hat, mit dem endgültigen Abschied, den das berühmte Auswanderer-Denkmal in Bremerhaven symbolisiert, keine Spur gemein.

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      jj) Lässt sich der Ausländer (zulässig) auf Dauer nieder, so wird häufig angenommen, sein kollisionsrechtliches Interesse gehe dahin, in persönlichen Rechtsfragen nach dem Recht seines gewöhnlichen Aufenthalts beurteilt zu werden. Das erscheint jedoch zweifelhaft, solange er die ihm gebotene Möglichkeit einer Einbürgerung unter Aufgabe der alten Staatsangehörigkeit nicht ergreift. Gerade der bewussten Beibehaltung der alten Staatsangehörigkeit bei einem in Deutschland nach eigener Einschätzung auf Dauer niedergelassenen Ausländer kommt für die Beurteilung seiner Integration große Bedeutung zu. Bewahrt er diesen desintegrierenden Faktor – was aus deutscher Sicht zu respektieren ist – so kann andererseits aus kollisionsrechtlicher Sicht eine starke Bindung an dieses Heimatrecht unterstellt werden. Die rechtspolitisch verbreitete Gegenansicht übersieht, dass eine solche kollisionsrechtliche Integration gegenüber einem nicht integrationsbereiten legal in Deutschland lebenden Ausländer ein interessenwidriger Oktroy wäre.

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      Haben die Ehegatten Kinder, die in Deutschland leben, ggf sogar hier geboren sind, so erscheint auch insoweit der zum 1.7.1998 erfolgte Übergang

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