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wie ich. Aber alles in allem war er mir zu – wie sagt man? – moralin. Philosophie ist was für Leute, die zu viel Zeit haben. Ich habe nie Zeit.“

      „Sie kannten ihn? Sie meinen bestimmt, Sie kennen ihn aus meinem Buch, oder?“

      „Aus Ihrem Buchland?“ Quirinus begann wieder damit, auf der Stelle zu tänzeln. Irgendetwas erheiterte ihn auf das Heftigste.

      „Ja“, sagte Bea ungeduldig, „ich bin die Schriftstellerin.“

      „Oh, Sie dürfen sich schon Schriftstellerin nennen? Oder sind Sie vielmehr noch eine Autorin? Ein Buch allein macht per Definition doch noch keinen Schöngeist.“

      Beinahe hätte Bea ein unartikuliertes „Häh?“ von sich gegeben. Es geriet zu einem unterdrückten Schnauben.

      Quirinus kratzte sich am Hinterkopf. „Wie soll ich es erklären? Vielleicht so: Sie atmen. Das kommt von ganz allein. Sie müssen es zwar tun, aber Sie denken für gewöhnlich nicht darüber nach. Eine unbewusste Handlung Ihres Körpers.

      Eines Tages – und ich will nicht behaupten, dass dies ein Glückstag für Sie sein wird – werden Sie genau so unbewusst Literatur im Kopf haben. Alles, was um Sie herum passiert, werden Sie dann im Geiste mit Worten ausformulieren. Sie werden bei jedem Gespräch, das Sie führen, überlegen, wie diese Szene Ihres Lebens in einem Buch lauten würde. Dann beschreiben Sie wortgewandt, was Ihr Gegenüber tut, wie es aussieht, obwohl Sie es direkt vor sich stehen sehen. Und jedem Moment, jeder Situation, der Sie sich stellen, begegnen Sie mit der Frage: Was wäre wenn?

      Das wird geschehen. Nicht, weil Sie es so wollen. Nicht, weil Sie es können. Nicht, weil Sie es müssen. Sie werden es einfach tun. Genauso wie Sie gerade atmen, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden.

      Wenn es so weit ist, dann kennen Sie den Unterschied zwischen einem Autor und einem Schriftsteller.“

      Beatrice zuckte mit den Schultern. Aus Prinzip wollte sie auf diese kleine polemische Rede nicht eingehen. Bei Herrn Plana hätte sie diese Belehrung vielleicht ernst genommen. Doch dieser Typ hier vor ihr … Nein, das war ihr zu aufgesetzt. Mit aller zur Verfügung stehenden Ignoranz ging sie an Quirinus vorbei, griff nach einem zerfledderten Buch auf einem Tisch und blätterte demonstrativ lustlos darin herum. Als sie es wieder zuschlug, ohne tatsächlich ein Wort gelesen zu haben, blieb ihr Blick auf dem Titel kleben. Überrascht las sie den angeblichen Autor.

      Vorsichtig, als könne der Einband plötzlich explodieren, legte sie Romeo und Julia von Edward de Vere zurück an seinen Platz. Daneben entdeckte sie Sir Francis Bacons Don Quichote.

      „Sind das Scherzartikel?“

      Quirinus hüpfte an ihre Seite und lachte. Dann erkämpfte er sich ein ernstes Gesicht und sagte mit dunkler Stimme: „Sehe ich aus wie ein Komödiant?“

      „Aber Romeo und Julia wurde von William Shakespeare geschrieben!“

      „Wirklich?“ Quirinus legte den Zeigefinger auf den eingeprägten Namensschriftzug. „Aber hier steht doch deutlich ein anderer Name gedruckt. Wie könnte Gedrucktes lügen?“

      „Was ist denn das für eine Begründung? In meinem Antiquariat gibt es unzählige Ausgaben von Romeo und Julia, wo Shakespeare als Urheber verzeichnet ist.“

      „Tja, die Sache mit der Wahrheit. Mit Herrn Plana hätte man da stundenlang drüber diskutieren können. Vorausgesetzt er ließe eine Meinung neben der eigenen zu.“ Quirinus ging einige Schritte tiefer in den Raum. „Möchten Sie sich nicht noch etwas mehr umschauen? Vielleicht finden Sie ein paar gut erhaltene Stücke für den Weiterverkauf in Ihrem Hause.“

      Widerstrebend wagte sich Bea zum nächsten Tisch. Dort fiel ihr ein blaues Buch in die Hände. Das Cover zeigte eine Hand mit emporgerecktem Daumen. „Gesichtsbuch?“

      „Das ist so eine Art anonymes Poesie-Album. Man stellt sich damit auf die Straße und bittet Passanten, sich darin einzutragen. Man kann auch Fotos einkleben oder lustige Sprüche reinschreiben. Gefällt mir, diese nette Idee. Sie konnte sich leider nicht durchsetzen.“

      Bea sparte sich einen Kommentar und schaute schon nach dem nächsten Stapel mit Büchern. „Anonymus?“

      „Ein begnadeter Schriftsteller“, behauptete Quirinus, „hat schon in den verschiedensten Genres etwas geschrieben. Ich bin ihm mal persönlich begegnet und hab’ mir einige seiner Werke signieren lassen.“

      Mit wachsendem Erstaunen nahm Bea ein weiteres Taschenbuch. Es war gelb und in schwarzer, fetter Druckschrift stand dort: „Was-willst-Dudenn-Verlag?“

      „Dieses Haus hat Sachbücher produziert“, erläuterte Quirinus süffisant, „konnte sich aber auf dem Markt nicht behaupten.“

      „Warum?“

      „Schauen Sie sich die Überschrift genauer an.“

      Bea las laut: „Rechtschreibung for Anfängers“

      „Das passiert, wenn man das Outsourcing zu weit treibt. Im Impressum steht irgendwo klein printed in Korea.“ Quirinus tippte sich seitlich an die Nase. „Ich habe fast die komplette Auflage aufgekauft. In einem Kuriositätenladen geht so was ganz gut. Dafür habe ich einen Riecher.“

      „Das sind nicht unbedingt Bücher, die es in meinem Antiquariat gibt“, stellte Bea fest. Ein Schmunzeln konnte sie sich nun doch nicht verkneifen. Da sich ihre Laune sichtlich verbessert hatte, änderte auch Quirinus sein Gehabe. Er wurde ruhiger, weniger überdreht und seine Gesichtszüge bekamen einen Schuss mehr Ernsthaftigkeit.

      „Och, ich kann mir schon vorstellen, dass es diese Werke tief vergraben in Ihrem Fundus gibt. Was ich hier anbiete, ist doch nur ein winziger Ausschnitt aus dem großen Land der Bücher.“ Während Bea sich fragte, ob der Kuriositätenhändler vielleicht mehr über sie und ihren Keller wusste, als er preisgab, fasste er sie sanft unter dem Arm und führte sie in die hinterste Ecke des Raumes. Erst jetzt fiel ihr auf, dass der Raum eine ungewöhnliche Form hatte: Es gab nicht nur vier, sondern fünf Wände. Sie bewegten sich durch eine architektonische Wabe. Jede gemauerte Wand hatte mittig eine Tür. Instinktiv ahnte Bea, dass dahinter eine weitere Wabe zu finden war. „Das Haus sah von außen gar nicht so groß aus.“

      „Meinen Sie?“ Quirinus machte einen winzigen Hüpfer, den man auch als kurzes Stolpern deuten konnte. Im nächsten Augenblick hatte Bea ein beklemmendes Gefühl. Es kam ihr vor, als würde sich die Perspektive verändern. Alles rückte auf sie zu, ohne dass da wirklich Bewegung war. Die Distanzen blieben gleich und verkürzten sich gleichzeitig. Ein Meter ist ein Meter, bleibt ein Meter, redete sich Bea innerlich ein. Und doch …

      „Ist Ihnen nicht gut? Sie wirken etwas bleich.“

      „Ich glaube, es wird Zeit, dass ich gehe.“

      „Einen klitzekleinen Moment noch! Verraten Sie mir, was Sie hier sehen?“ Mit ausgestrecktem Arm deutete Quirinus in eine Nische zwischen zwei Regalen. Dort war ganz eindeutig …

      „Nichts“, antwortete Bea wahrheitsgemäß.

      „Genau! Das sollte aber eigentlich nicht so sein. Mir fehlt hier ein ganz wichtiges Exponat, das ich mir beschaffen möchte. Ich bin mir sicher, es zu einem guten Preis weiterverkaufen zu können.“

      „Ja?“ Bea stöhnte. Warum wurde ihr so schwindelig? Mit klaustrophobischen Anwandlungen hatte sie doch noch nie zu tun gehabt.

      Quirinus packte sie fester. Vielleicht stützte er sie. Vielleicht verhinderte er aber auch nur, dass sie flüchtete. „Es ist ein ganz besonderes Werk. Einfach göttlich! Könnten Sie es mir besorgen?“

      „Welche ISBN-Nummer hat es?“ Ihre Stimme hörte sich so fern an.

      „Oh, nein. Das gute Stück hat keine ISBN-Nummer. Es stammt aus Zeiten weit vor dem Buchdruck.“

      „Interessant“, keuchte Bea. Irgendwie schaffte sie es, sich aus dem Griff des Kuriositätenhändlers zu winden, wankte zurück, fort von ihm, zur Tür, durch die sie gekommen war. Um ein Haar wäre

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