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ein.

      „Nein, wie ich bereits sagte: Eine Fortsetzung des Buches hatte ich nie geplant. Fantasy muss doch nicht immer in Serie produziert werden. Ich finde Fortsetzungen blöd.“

      Die nachfolgende Stille war alles andere als beruhigend.

      „Nein, über dieses Setting gibt es nichts mehr zu berichten.“

      Bea drehte sich, während sie sprach, langsam um.

      „Sobald ich wieder etwas schreiben sollte, werde ich es Ihnen mitteilen.“

      Der Hebel des Maschinentelegraphen stand ganz vorne. Die Tür zum Keller war offen. Das Mädchen war verschwunden.

      „Nein, in die Buchland-Story werde ich bestimmt nicht nochmal eintauchen“, stöhnte Bea, verabschiedete sich eilig, warf den Hörer scheppernd auf die Gabel und rannte dann, so schnell sie konnte, die Treppe hinunter.

      Kuriose Ereignisse

      Der Keller empfing Bea mit muffiger Dunkelheit. Es roch nach trockenem, sehr altem Papier. Sie sog das eigenwillige Parfum des Buchlandes tief in sich ein. Es war jedes Mal wie Heimkommen. Sie war ein Teil hiervon, untrennbar verbunden mit diesen Regalen, Gedanken, Ideen, Phantasien. Hier gab es Literatur, die sich bis in die Unendlichkeit erstreckte und Gefühle, die sich selbst über diese Unendlichkeit hinwegsetzten.

      Sie drehte den Lichtschalter und die Glühbirnen traten alsdann leidlich ihren Dienst an. „Mädchen? Wo bist du?“ Bea bekam keine Antwort. Ihr Echo wurde von Holz, Leder und Kartonagen verschluckt. Im Labyrinth der unzähligen Gänge hatte Bea kaum eine Chance die Ausreißerin zu finden. „Mädchen?“ Ihr Ruf verhallte.

      Bea hatte vor einiger Zeit einen altmodischen Kleiderständer neben dem Treppenaufgang platziert. An dessen Haken hingen ein olivgrüner Armeerucksack, eine graue Strickjacke und ein Jutebeutel. Aus diesem fischte sie eine besonders dicke Garnrolle und eine Taschenlampe, die so groß und leuchtstark war, dass man damit den Weihnachtsmann im Landeanflug hätte einlotsen können – und zwar im dichtesten Nebel ohne Rudolph im Gespann.

      Routiniert verknotete Bea nun ein Garnende mit dem Kleiderständer, warf sich den Jutebeutel über die Schulter und machte sich aufs Geratewohl auf ins vorerst Ungewisse.

      „Habt ihr eine Ahnung, wo die Kleine steckt?“ Ein unbedarfter Beobachter hätte sich gefragt, warum Bea anscheinend mit sich selbst sprach. Allerdings hätte dieser unbedarfte Beobachter auch nicht gesehen, dass am vorausliegenden Kopfende des ersten Ganges auf der rechten Seite ein Oktav-Band aus seiner Reihe hervorstand. Im Vorbeigehen drückte Bea ihn wieder zurück an seinen Platz und bog dann rechts ab. Dabei achtete sie sorgsam darauf, dass sich das Garn in ihrer Hand weiter entrollte. „Wo will das Kind nur hin?“, fragte sie in die Stille hinein. Kurz danach hörte sie ein dumpfes Pochen. Im Strahl der Taschenlampe, die sie eben eingeschaltet hatte, erkannte sie ein Buch, das in einiger Entfernung auf dem Boden lag. Als sie bei ihm ankam, las sie die blasse Überschrift: „Mors porta vitae“. Beas Knie wurden weich und in ihrem Magen befanden sich plötzlich Steine, denn sie wusste nun, wohin sie zu gehen hatte.

      In die Wand eingelassen, am Ende einer der vielen Gänge, war eine eiserne Tür. Ornamente zogen sich am Rand entlang und kunstvolle Symbole füllten die Fläche dazwischen. Darüber prangten wuchtig die mittelalterlichen Zeichen „Vita“ und „Mors“.

      Das Mädchen stand vor der Tür, legte den Kopf weit in den Nacken, um den oberen Bogen zu betrachten. Dann machte es aus seiner kleinen Hand eine Faust und klopfte so fest es konnte an. Dabei entstand kein hörbares Geräusch. Das Metall war zu alt, zu stumpf, zu schwer und zu anders, als dass es von dieser unschuldigen Kinderhand zum Klingen gebracht werden konnte.

      Dennoch vergingen kaum fünf Sekunden und ein Türflügel öffnete sich. Es war nur ein kleiner Spalt. Den Kopf im Dunkel einer schwarzen Kapuze verborgen, beugte sich jemand heraus und schaute kurz in alle Richtungen. Dann, als die Gestalt das kleine Mädchen sah, kniete sie sich hin.

      Sie fragte: „Es?“

      Das Mädchen antwortete: „Ich.“

      „Du?“

      Das Mädchen nickte.

      Eine Knochenhand tauchte unter der Kutte hervor. Darin befand sich ein in Leder gebundenes Buch. Wortlos nahm das Mädchen es entgegen.

      „Du“, sagte die Gestalt. Das klang sehr, sehr nachdenklich.

      Auf dem Boden lag ein halbes Dutzend dicker, schwerer Bücher wild verstreut. Das unterste Brett des angrenzenden Regals war leer. In diese Leere hatte sich das Mädchen hineingequetscht und wartete im Halbdunkel auf das Licht, das unstet hin und her raste und sich dabei rasch näherte. Als der Strahl der Taschenlampe das Mädchen fand, heftete er sich auf sie, bis Bea völlig außer Atem ankam. „Verdammt, was tust du mir an? Du kannst doch nicht einfach allein in den Keller gehen. Hier unten kannst du dich verlaufen.“

      Bea ließ den Lichtkegel zum Tor gleiten. Verschlossen. „Puh“, machte sie erleichtert. „Und ich dachte schon, dass …“ Sie unterbrach sich, brachte ein mühsames Lächeln zustande. „Da hätte ich deinem Cousin ganz schön was zu erklären gehabt.“

      Zaghaft hauchte das Mädchen: „Er ist nicht mein Cousin.“

      Bea riss verblüfft die Augen auf. „Du kannst ja doch sprechen.“

      Auf diese Feststellung bekam sie allerdings keine Antwort. „Vielleicht magst du mir verraten, wie du heißt, kleine Prinzessin.“

      Das Mädchen schüttelte den Kopf.

      Bea stemmte kurz die Hände in die Hüften, seufzte theatralisch, griff dann dem Kind unter die Arme und zog es aus dem Regal. Wie eine Spielzeugpuppe ließ die Kleine es geschehen. Die Arme und Beine baumelten dabei, als ob sie keine Knochen hätten. Erst als die Füßchen den Boden berührten, straffte sich der Körper wieder.

      „Was hältst du davon, wenn ich uns auf den Schrecken ein Eis spendiere? Und dann bringe ich dich zum Kuriositätenladen. Du kannst ja nicht den ganzen Tag bei mir bleiben. Als Gegenleistung fände ich es ziemlich toll, wenn unser Ausflug nach hier unten unser kleines Geheimnis bliebe.“

      Bea hatte es nicht anders erwartet: Der Rückweg ins Antiquariat verlief schweigend. Das namenlose kleine Etwas hatte ihr die Hand gereicht und folgte ihr widerstandslos durch das Wirrwarr der Gänge; immer entlang der Garnschnur. Dabei machte sich Bea nicht die Mühe die Schnur wieder aufzurollen. Sie hatte insgeheim beschlossen, zu einem späteren Zeitpunkt nochmals zur Pforte zurückzukehren. Dem Buchhalter, den sie dahinter antreffen könnte, wollte sie zwar – wenn es sich vermeiden ließ – nicht begegnen, aber es konnte nicht schaden, sich dort umzuschauen. Manchmal verraten Bücher Geheimnisse, die man gar nicht zu ergründen versucht.

      Dann kam die Treppe und schließlich das Antiquariat. Im Vorbeigehen griff Bea nach ihrer Jacke und schon schlenderten sie und das Mädchen Richtung Eisdiele, nachdem das Schildchen „vorübergehend geschlossen“ in der Tür platziert worden war.

      „Was magst du? Schokolade? Erdbeere? Vanille?“ Es gab nur ein unbestimmtes Schulterzucken von dem Mädchen. Also bestellte Bea einfach zwei Mal alle drei Sorten, drückte dem Kind das eine Hörnchen in die Hand und widmete sich dem anderen. Der freundliche Eisverkäufer bekam zu seinem Geld auch ein freundliches Lächeln. Dieser hätte vermutlich genauso herzlich zurückgelächelt, wäre er nicht so sehr damit beschäftigt gewesen, das Kind anzustarren. Irritiert folgte Bea seinem Blick.

      „Lutschen“, erklärte Bea, „meinetwegen auch lecken. Aber nimm bitte die Finger raus.“

      „Stimmt was nicht mit Ihrer Tochter?“, fragte der Eisverkäufer. Etwas Mitleidiges lag in seiner Stimme.

      „Oh“, machte Bea, „das ist nicht meine Tochter. Sie ist nur zu Gast.“ Sie hatte es kaum ausgesprochen, da fühlte sie sich leicht verlegen. Selbst in ihren Ohren hörte es sich abwiegelnd und entschuldigend an. Leider machten ihre nächsten Worte die Situation nicht besser. „Aber wir verstehen uns gut. Fast so wie dicke Freunde, obwohl ich nicht mal weiß, wie sie heißt.“ Das angefügte „Hi, hi“ wurde dann

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