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zu blasen. Instinktiv kniffen die Kinder die Augen zu.

      Gleißendes Tageslicht umspülte eine schwarze Silhouette, die breitbeinig wie ein Italowestern-Cowboy im Türrahmen stand. Allerdings passten weder das nachtschwarze Kapuzenshirt noch die durchhängende Blue-jeans zum Look eines einsamen Rächers. Den gerade noch vornüber gebeugten Kopf hebend, schlug der Fremde die Kapuze zurück. Fast gleichzeitig schob sich draußen eine Wolke vor die Sonne und der theatralisch eingeleitete Auftritt endete in der Erscheinung eines etwa vierzig Jahre alten Mannes, der in die Kleidung eines Rappers reingeschossen worden war. Die Augen wurden von den dunklen Gläsern einer Ray Ban verdeckt. Doch die blasse, beinahe weiße Haut und ebenso die wasserstoffblonden Haare des Mannes, ließen darauf schließen, dass die Iris der versteckten Augen leicht weißlich oder sogar rötlich sein musste.

      Er schaute sich kurz im Raum um. Dass Kinder und eine erwachsene Frau auf dem Boden hockten, schien ihn nicht zu überraschen. Beim Anblick der überfüllten Regale des Verkaufsraums entfuhr ihm allerdings ein überraschtes „Oh, Bücher.“ Damit war in einem Buchantiquariat für ihn vermutlich nicht zu rechnen gewesen.

      Bea schob die beiden Kinder sanft zur Seite, entfaltete ihre Beine aus dem Schneidersitz und erhob sich, um den Neuankömmling zu begrüßen. „Guten Tag. Kann ich Ihnen helfen?“

      Ein nicht unsympathisches Lächeln erleuchtete das Gesicht des Mannes, der nun Bea die Hand entgegenstreckte, um sich vorzustellen. „Quirinus. Mein Name ist Quirinus.“

      Bea ergriff die Hand. Sie war außergewöhnlich kalt, doch seine Finger drückten angenehm fest zu. „Guten Tag, Herr Quirinus. Ich bin …“

      „Oh! Nein. Quirinus ist mein Vorname. Ich halte mich nie mit meinem Nachnamen auf. Eine persönliche Basis ist immer ein guter Anfang für eine gute Nachbarschaft.“ Mit einer unbestimmten Geste winkte er in Richtung der Straße. „Ich habe am Ende der Straße jetzt auch einen Laden.“

      „Ich wusste gar nicht, dass noch ein Geschäft leer gestanden hatte“, sagte Bea leicht erstaunt.

      Quirinus lachte herzlich. Weshalb, konnte Bea nicht so recht ausmachen. Etwas umständlich kramte Quirinus in seiner Hosentasche. Bei diesem Manöver verschwand fast sein ganzer Unterarm darin. Es klimperte und raschelte dabei. Die Geräusche ließen darauf schließen, dass allerhand Zeugs an seinen Hosenbeinen mitreiste, obwohl man dies von außen nicht sehen konnte. Kurz darauf zog er eine Visitenkarte hervor und überreichte sie ihr mit den Worten: „Quirinus’ Kuriosum. Der Laden, in dem Sie alles finden, was Sie nicht zu suchen glaubten.“

      „Ein ungewöhnlicher Name für einen …“

      „… Mann“, unterbrach Quirinus gut gelaunt. „Aber ein besseres Aushängezeichen als Nachnamen wie Schmitz und Meier.“

      „Eigentlich meinte ich Ihren Laden.“

      „Der Laden, der ja auch meinen Namen trägt.“

      Bea verzichtete darauf, die Augen zu verdrehen. Dass ihre Kundschaft manchmal etwas speziell sein konnte, war sie inzwischen gewohnt. Bibliophile und Sammler hatten mitunter recht anstrengende Eigenheiten. „Was kann ich für Sie tun?“

      „Oh, was Sie für mich tun können? Streng genommen erst mal gar nichts. Aber allgemein betrachtet schon sehr viel. Wie man es nimmt.“ Quirinus plapperte einfach drauf los, während er förmlich durch den Raum zu tanzen schien. Bea erinnerte dieses Gehabe an eine Figur aus ihren Büchern, ohne, dass sie genau festmachen konnte, an welche. Erst sehr viel später würde ihr bewusst werden, welche Saite ihres Unterbewusstseins hier zum Schwingen gebracht worden war. „Zunächst einmal möchte ich nur vorstellig werden. Da wir ja hier im Viertel das gleiche Klientel bedienen, ist es doch sicher angenehm für Sie zu wissen, mit wem Sie es hier zu tun bekommen. Um es vorwegzunehmen: Ich werde Ihnen keine Konkurrenz machen. Sie dürfen weiter unbelästigt Ihre Bücher verkaufen und ich verkaufe die Meinen. Dabei werde ich sorgsam darauf achten, dass es nicht zu viele werden, die ich an den Mann oder die Frau bringe. Oder den geneigten Leser, wie man zu sagen pflegt.“ Die Formulierung, dass Bea seiner Meinung nach weiterhin Bücher verkaufen darf, war vielleicht nur halb so herablassend gemeint, wie sie klang, aber trotzdem blieb es eine ziemliche Unverschämtheit. Sich dessen vollkommen bewusst, schaltete Quirinus umgehend wieder auf sympathisch um. „Ich verkaufe eigentlich kaum Bücher. Aber allerhand Raritäten gibt es bei mir. Schallplatten, die man rückwärts abspielen muss, Chronomaten und Zeitstopper. Pendelbatterien und eine Internettaschenmaschine mit Multichrom-Monitor. Sie sollten mal bei mir reinschauen. Ich bin mir sicher, dass ich auch das Richtige für Sie finden werde.“ Nun machte er einen Satz in die Mitte der Kinder, wuschelte verspielt durch Annes Haare, nur um danach sogleich den Kreis wieder zu verlassen. „Aber wo ich schon mal hier bin, sollte ich mir vielleicht ein Buch aussuchen. Ich sollte mir eins kaufen. Ja! Das wäre eine tolle Idee.“ Er beugte sich hinter Kevin herunter, raunte in sein Ohr, als würden sie sich gemeinsam gegen Bea verschwören: „Das wäre voll krass!“

      Dann ließ er seinen Blick über die Auslage schweifen. Auf einem Büchertisch, an höchster Stelle, fischte er nach einem braunen Paperback. Mit salopper Geste tat er plötzlich so, als würde er in einer nichtvorhandenen Brusttasche nach einem Monokel greifen und es sich vor sein Auge klemmen. „Hmm. Tja. Das hier kenne ich schon. War nicht so meins. Buchgeschichten! Ich bevorzuge in diesem Fall doch lieber einen Jasper Fforde oder – wenn es sprachlich etwas hochtrabender sein soll – einen Zafón. Außerdem: Man kann ein dickes Buch über den Tod lesen oder schreiben und trotzdem weiß man nichts vom Leben. Nicht wahr?“ Mit dem Finger tippte Quirinus auf den Namen ganz oben. „Beatrice Liber! Ich schätze mal, dass dieser Name ein Pseudonym ist. Vielleicht hat diese Story sogar ein Mann verfasst. Wer weiß? Aber der Zuname Liber … Das ist zu offensichtlich. Liber heißt unter anderem Buch. Das hier wäre somit ein Buch über Bücher, das von einem Buch geschrieben worden ist. Wie absurd.“

      „Ich wusste gar nicht, dass ich das Buch hier im Laden stehen habe“, warf Bea ein. Inzwischen machte sich ein Gefühl der Unruhe in ihrer Bauchgegend breit. Diese hyperaktive Gestalt hatte etwas Unbestimmbares, etwas Unechtes an sich. Und wieso war ihr Buch hier im Antiquariat? Sie hatte sich doch ganz bewusst dazu entschieden, ihr eigenes Werk nicht selbst zu verkaufen. Es wäre ihr vorgekommen, als würde sie versuchen, Sauerbier unter die Leute zu bringen. Solche Autoren, die zu jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit darauf hinwiesen, dass sie ein Buch anzubieten hätten, gab es genug. Sie wollte keinesfalls dazu zählen.

      Quirinus überging ihren Einwurf gänzlich. Dennoch hielt er kurz inne, legte den Kopf schief, als ob er lauschen würde. „Manchmal, wenn ich in Räumen mit so viel Literatur stehe, kommt es mir vor, als ob die Bücher wispern würden.“ In einem verschwörerischen Tonfall wandte er sich an Anne und ihre Sitznachbarin: „Hört ihr das auch?“

      Bea kniff misstrauisch die Augen zusammen. Wispernde Bücher. Was für ein Spiel wurde hier gespielt? „Sind Sie ein Auktoral?“, entfuhr es Bea.

      „Was?“ Quirinus war mit zwei langen Schritten bei ihr. „Was haben Sie gesagt? Auktoral? Nein, das bin ich nicht. Ich bin Quirinus. Hab’ mich doch eben vorgestellt … Wie war nochmal Ihr werter Name?“

      „Beatrice“, sagte Bea. Ihr Hals wurde plötzlich ganz trocken. Sie krächzte fast, als sie ihren Namen ganz aussprach. „Beatrice Liber.“

      „Ja ups! Da habe ich ja ein kleines Fettnäpfchen erwischt.“ Quirinus warf noch einen kurzen Blick auf das Buch in seiner Hand, gluckste vergnügt und legte es dann auf eine englische Originalausgabe von Peter und Wendy.

      Der Tanz durch das Antiquariat endete jäh. Der ungewöhnliche Besucher schien sich seines Outfits zu erinnern. Die Körperhaltung ähnelte unvermittelt einem Fragezeichen und die eben noch wild gestikulierenden Hände verschwanden in der Bauchtasche des Kapuzenshirts. „Leserunde mit Kindern, was?“

      „Ja. Einmal die Woche immer um die gleiche Zeit“, erklärte Bea mechanisch. Sie hatte plötzlich den unbestimmten Drang, ihn möglichst schnell loszuwerden. „Aber ich vermute, dass Sie nicht in diese Altersgruppe passen werden.“

      „Ich?“ Quirinus lachte erneut. „Nein. Beileibe nicht. Andererseits

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