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ihm ins Gesicht. Wie kam es nur, dass er sie immer noch atemlos machte? „Was machst denn du hier?“

      „Kann ein Mann seine Frau nicht mal bei der Arbeit besuchen?“

      „Nicht mitten am Nachmittag, wenn er eigentlich gerade dabei sein sollte, auf der Südweide Zäune zu reparieren.“

      „Ich habe mir den Nachmittag freigenommen, um mich um etwas anderes zu kümmern.“

      „Und was ist dieses Andere?“ Sie suchte in seinem Blick nach Hinweisen auf sein Geheimnis. War es etwas Gutes? Etwas Schlimmes? „Was ist es? Sag’s mir.“ Er trug sein zweitbestes Sonntagshemd und darüber eine legere Sportjacke.

      „Hör mal, Mister, bevor du weiterredest“, sagte Everleigh, hakte sich bei ihm unter und fuhr fort: „Egal, wie lange wir verheiratet sind, ich möchte einen richtigen Begrüßungskuss, wenn du abends nach Hause kommst. Und kein Sitzen auf dem Klo zum Zeitunglesen, bis dir die Beine einschlafen. Und ein Haus … Ach, Rhett, das wollte ich eigentlich gar nicht sagen, weil ich ja weiß, dass wir schon sparen, aber ich möchte so gern unser eigenes Haus. Können wir…“

      „Hey, hey, Schätzchen, was ist denn los?“ Er hob ihr Kinn und küsste sie.

      „Betty Jo hat gesagt, wie …“

      Rhett lachte in ihr Haar. „Ach, die gute alte Betty Jo. Was hat sie denn jetzt schon wieder gesagt?“

      Everleigh atmete Rhetts Duft nach Heu und Sonnenschein ein und antwortete: „Das Übliche. Nur Wäääh über die Ehe.“ Sie blickte zu ihrem Mann auf und fuhr ihm mit den Fingern durchs Haar. „Sie behauptet, dass die Flitterwochen bald zu Ende sind und du dann irgendwann nur noch müde und missmutig nach Hause kommst, vergisst, mir einen Begrüßungskuss zu geben, deine stinkigen Stiefel einfach irgendwo abschüttelst, mich fragst, was es zu essen gibt und dann zum Zeitunglesen auf dem Klo verschwindest.“

      Rhett drückte sie mit einem Arm fest an sich. „Liebling, ich verspreche dir einen richtigen Kuss, wenn ich abends nach Hause komme, egal, was passiert ist, und der Mann, der auf dem Klo sitzt und Zeitung liest, ist mein Vater, nicht ich.“ Dann legte er die Hand aufs Herz, sah sie dabei mit seinen sehr blauen Augen an und fragte: „Glaubst du mir?“

      „Ja, von ganzem Herzen.“

      Daraufhin gab er ihr einen Kuss auf die Wange und flüsterte ihr ins Ohr, sodass sie von seinem warmen Atem eine Gänsehaut bekam: „Ich kann nicht aufhören an dich zu denken, weißt du das?“ Wieder fand sein Mund ihre Lippen und er fuhr fort: „Du lenkst mich ab. Mein Vater gibt mir Aufgaben, und ich erledige sie nicht, weil ich Tagträume von dir habe.“

      Everleigh sah ihm in die Augen und spürte die Liebe, die sie dort sah, bis in ihr tiefstes Inneres. Sie wusste, dass ihr dieser Moment ewig in Erinnerung bleiben würde. „Wie komme ich bloß zu dem Glück, dich zum Mann zu bekommen?“

      „Na, derjenige, der hier Glück gehabt hat, bin ja wohl ich. Aber könntest du mir vielleicht einen Gefallen tun? Bitte hör nicht mehr auf Betty Jo, ja?“

      „Versprochen. Aber dann gibst du mir auch nicht mehr die Schuld, dass du deine Aufgaben nicht erledigst?“

      Rhett lachte. „Abgemacht. Aber es stimmt ja. Ich kann tatsächlich an nichts anderes denken als an dich.“

      Dabei funkelten seine Augen und weckten ihr Verlangen.

      „Es sieht ja nicht gerade danach aus, dass die Flitterwochen vorbei sind, findest du nicht?“, fragte er.

      „Keineswegs, Mr. Applegate“, antwortete sie darauf, stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn zu küssen, und war froh, dass sie allein in dem Raum waren.

      Es gefiel ihr, welche Macht sie über ihn hatte, aber auch der Zauber, den er auf sie ausübte, war nicht zu leugnen. Für ihn wäre sie zu Fuß bis ans Ende von Texas gegangen – sogar barfuß. Oder vielleicht ertrug sie für ihn fürs Erste einmal das Leben im Haus seiner Mutter.

      Dort übernahm sie ohne sich je zu beklagen alle Aufgaben, die ihr aufgetragen wurden, und wenn Mama Applegate so redete, als wäre Everleigh Gast in ihrem Haus und nicht Familienmitglied, ertrug sie es klaglos, denn am Ende des Tages war sie Rhetts Frau. Sie allein war es, die seine Träume, sein Herz und sein Leben mit ihm teilte.

      Und wenn sie nachts nicht schlafen konnte, war sein leiser Atem ihr Wiegenlied.

      „So, ich muss jetzt wieder arbeiten, Liebling, sonst schaffe ich es nicht, rechtzeitig zum Abendessen wieder zu Hause zu sein“, sagte er schließlich. Sie zupfte an seinem Kragen und fragte: „Willst du mir nicht verraten, weshalb du hier in der Stadt bist?“

      „Eigentlich wollte ich es dir erst heute Abend sagen, aber dann war ich so aufgeregt …“ Rhett ging hinüber zu dem Schreibtisch, der gegenüber von Everleighs stand, und hielt eine längliche weiße Pappröhre hoch. „Hier, mach auf. Ich fühle mich wie ein Kind zu Weihnachten kurz vor der Bescherung.“

      „Was hast du getan, Rhett?“ Sie nahm die Verschlusskappe ab und zog einen Stoß Zeichnungen heraus.

      „Komm, lass mich das machen“, sagte Rhett und rollte die Zeichnung eines wohnlichen Hauses mit einer umlaufenden Veranda, das von zwei Pappeln eingerahmt war, auseinander.

      „Unser Haus, Everleigh. Ich habe die Skizzen, die du nach der Hochzeit gemacht hast, dem Architekten gegeben. Wie findest du es?“

      „D… das ist unser Haus?“ Sie legte ihm den Arm um die Taille, lehnte sich gegen seinen starken Arm und schaute sich die Zeichnung genauer an.

      „Ja, das ist unser Haus, Liebling.“

      Es war genau so, wie sie es sich vorgestellt hatte. „Wirklich?“, fragte sie noch einmal und blickte zu Rhett auf. „Ich hätte nicht gedacht, dass wir dafür schon genügend Geld zusammen haben.“

      „Wir haben jeden Cent unserer Gehälter gespart, und ich habe endlich den Zuchtbullen an Jacob Marshall verkauft, den er schon seit einem Jahr unbedingt haben will …“ Rhett hielt sie im Arm, während er mit der Hand die Zeichnungen durchblätterte. „Ich habe die viertausend Quadratmeter unten am Fluss gekauft. Du weißt schon, das Grundstück mit den Bäumen, das uns so gut gefällt. Mein Vater wollte es uns schenken, aber das möchte ich nicht. Ich kaufe es lieber, damit er es mir nicht irgendwann vorhalten oder Forderungen damit verbinden kann. Ich glaube zwar nicht, dass er das tun würde, aber Familienangelegenheiten können ja doch manchmal kompliziert werden.“

      Everleigh beugte sich jetzt vor, damit sie auf der Zeichnung den Namen der Straße erkennen konnte, an der das Grundstück lag. Memory Lane stand da.

      „Ist das das Stück Land direkt an der Memory Lane? Genau die Stelle, die wir uns gewünscht haben?“

      Rhetts Großmutter hatte der Straße den Namen gegeben, als sie an eine große Familie mit vielen Enkelkindern gedacht hatte, die überall herumrannten – eine eigene Applegate-Bande.

      Aber dann waren ihre Söhne Melvin und Earl in den Krieg gezogen, und nur Earl – der von allen Spike genannt wurde – war im Herbst 1918 wieder nach Hause gekommen. Er hatte dann die Ranch geerbt, Mama Applegate geheiratet und einen Sohn, Rhett, bekommen, der ein Einzelkind geblieben war.

      Die beiden Töchter von Großmutter Applegate hatten geheiratet und waren weggezogen.

      „Deine Oma wäre stolz auf dich, mein Schatz“, sagte Everleigh. „Jetzt fangen wir an, ihren Traum zu verwirklichen.“

      „Ja, sie wäre stolz“, bestätigte Rhett, räusperte sich und hielt sich dabei die Faust vor den Mund. „Also … was meinst du?“ Er drehte die Zeichnung um, auf deren Rückseite sich ein Plan für das Obergeschoss befand. „Hier ist die Veranda hinter dem Haus mit einem Fliegengitter. Wir können dort also zuschauen, wie die Sonne über dem Fluss untergeht, ohne von Mücken zerfressen zu werden.“ Er nahm einen Stift von ihrem Zeichentisch und zeigte auf die Außenlinien der Veranda. „Hier sind dann das Wohnzimmer, das Esszimmer und die Küche. Ich habe dem Architekten gesagt, dass

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