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sehr, sehr geliebt.

      Sie runzelte die Stirn, als sich vor dem Bürofenster Wolkenberge auftürmten, den Sonnenschein verdeckten und einen Schatten auf die Stadt und ihren Zeichentisch warfen.

      Everleigh betrachtete ihre Arbeit, die neueste Werbeanzeige für Kestner’s Family Department Store. Wenn sie nicht bis zum Feierabend mit den Korrekturfahnen fertig war und sie ihrem Chef vorlegte …

      Sie nahm also den Tintenstift wieder zur Hand und fuhr fort mit dem Schattieren. Momentan konnte sie es sich noch nicht leisten, ihren Job als Werbegestalterin zu verlieren. Sie und Rhett sparten nämlich auf ein eigenes neues Haus.

      Solange sie noch in Rhetts Kinderzimmer bei seinen Eltern wohnten, konnten sie jeden Monat ihr gesamtes Gehalt auf ein Sparkonto einzahlen.

       „Ich hätte nie gedacht, dass ich hier mal mit einem Mädchen zusammen sein würde“, hatte er in der ersten Nacht zu ihr gesagt, nachdem sie aus den Flitterwochen zurück waren.

       „Also ich bin froh, dass ich die Einzige bin.“ Und dann hatte sie ihn geküsst, als wäre es das erste Mal.

      Als sie jetzt noch einmal daran dachte, musste Everleigh leise lachen, denn als sie aus den Flitterwochen zurückgekommen waren, hatte er die Zimmertür abgeschlossen, bevor er ins Bett gekommen war, und dann war er noch einmal aufgestanden, um ein kleines Tischchen unter die Türklinke zu schieben.

      „Das hier ist Mamas Haus. Wenn sie reinkommen will, glaub mir, dann kommt sie herein“, hatte er zur Begründung gesagt.

      Everleigh war gerade dabei, den Stiefelabsatz zu schattieren, als ihr noch eine Erinnerung kam.

      Eines Nachmittags war Rhett zum Lunch nach Hause gekommen, und als er festgestellt hatte, dass Mama Applegate in die Stadt gefahren war, hatte er geglaubt, die Luft sei rein, und er könne seine frischgebackene Ehefrau für ein nachmittägliches Schäferstündchen nach oben in ihr gemeinsames Zimmer tragen.

      Doch in der Aufregung hatte er ganz vergessen, die Tür abzuschließen, und dann war es gekommen, wie es kommen musste …

      Noch vier Monate später sträubte sich in Everleigh alles, wenn Rhett in Gegenwart seiner Eltern auch nur andeutungsweise seine Zuneigung zeigte. Besonders, wenn seine Mutter dabei war.

      „Mr. McCann möchte wissen, ob du mit den Stiefeln fertig bist“, sagte Betty Jo und überreichte Everleigh ein Layout-Muster der Zeitungsanzeige für die nächste Woche. Everleigh war richtig dankbar für die Unterbrechung, weil dadurch die peinlichen Erinnerungen beendet wurden.

      „Er hat gesagt, du sollst darauf achten, dass die Maße der Anzeige ganz genau stimmen. Deine Zeichnungen von letzter Woche haben auf den Spaltenzwischenraum abgefärbt.“ Dann griff die Frau nach Everleighs Hand mit dem Ring und bemerkte: „Ich habe am Anfang gedacht, dass dein Kerl nicht die hellste Kerze auf der Torte wäre – viel Hut und wenig Hirn –, aber mit diesem Ring hat er mich überzeugt. Der ist wirklich fantastisch.“

      „Dafür hat er auch ziemlich lange gespart“, erklärte Everleigh, zog ihre Hand weg und schaute sich das Layout-Muster für den Tribune Herald genauer an.

      „Weißt du, was mein Mann mir zur Verlobung geschenkt hat? Ein Kind.“

      Betty Jo lehnte sich an den Zeichentisch und kaute geräuschvoll Kaugummi. Sie war Anfang vierzig und eine Südstaaten-Giftspritze mit platinblondem Haar und knallroten Lippen wie Marilyn Monroe. Ihre Röcke waren so eng, dass sie sich nicht normal hinsetzen konnte, sondern sich auf ihren Stuhl fallen lassen musste. Und ihre Bluse, nun ja, der Ausschnitt offenbarte schon ziemlich viel.

      „Ein Kind?“, fragte Everleigh, legte das Layout-Muster beiseite und nahm ihr Pica-Lineal zur Hand. Sie hatte die Anzeige fünf Punkte zu lang gemacht. „Was denn für ein Kind?“

      „Na, ein Baby“, antwortete Betty Jo und tätschelte ihren Bauch. „Deshalb haben wir überhaupt geheiratet. Es war ein ziemlich holpriger und schwieriger Start, aber wir haben es überlebt. Das Kind ist jetzt fast zwanzig und nächstes Jahr mit dem College fertig.“ Sie nahm eine Zigarette aus dem Etui, das sie immer bei sich hatte.

      „Mir ist schon klar, dass du jetzt so frisch verheiratet glücklich bist. Wie lange ist es jetzt her, sechs Monate?“

      „Acht.“

      „Na, dann warte mal ab.“

      „Was soll ich abwarten?“, fragte Everleigh nach, legte das Lineal an die untere Kante der Anzeige und fuhr fort: „Rhett und ich lieben uns. Wir werden uns immer lieben und ein perfektes Leben haben.“

      „Perfekt? Ach du liebe Güte. Nimm mal deine rosarote Brille ab, Pollyanna“, sagte Betty Jo und blies Everleigh Rauch ins Gesicht. „Junge Leute sind doch solche Traumtänzer. Alle Bräute glauben, dass ihre Ehe eine endlose Aneinanderreihung von Süßigkeiten, Blumensträußen, zärtlichen Küssen und Romantikwochenenden sein wird, und dass er pfeifend beim Geschirrspülen und Versorgen der Kinder und im Haushalt hilft. Aber dann sind zehn Jahre vergangen, und ohne dass man es merkt, kommt der Mann mittlerweile jeden Abend müde und missmutig von der Arbeit nach Hause, schüttelt seine stinkigen Stiefel ab und fragt: ,Was gibt’s zu essen?‘ Und er gibt dir nicht einmal mehr ein Begrüßungsküsschen. Höchstens noch auf die Wange – wenn du Glück hast. Und während du fertig kochst, den Tisch deckst, die Kinder zum Essen rufst und ihnen sagst, dass sie sich die Hände waschen sollen, sitzt er auf dem Klo und liest Zeitung, bis ihm die Beine einschlafen …“

      „Betty Jo!“ Ein dicker Tropfen Tinte kleckste aus Everleighs Tintenstift mitten auf die Zeichnung. „Jetzt mach doch nicht alles schlecht, nur weil es bei dir so ist“, sagte sie empört und griff nach einem Lappen, um die Tinte wegzuwischen, aber vergebens. Sie musste den Fleck also in die Stiefelzeichnung einarbeiten.

      „Wie du meinst. Wenn du dann irgendwann ankommst und von der guten alten Betty Jo einen Rat willst, dann verspreche ich dir auch, nicht ,Siehste!‘ zu sagen.“ Sie zwinkerte Everleigh zu, ließ ihre Zigarette auf den alten, abgenutzten Holzfußboden fallen und trat sie mit der Schuhspitze aus. „Jedenfalls nicht so oft.“

      Und mit diesen Worten ging sie wieder. Die schwere dunkle Eichentür fiel hinter ihr ins Schloss, und ihr lautes Lachen hallte noch lange im Zeichenraum nach.“

      „Was weiß denn die schon? ,Weißt du, was mein Mann mir geschenkt hat? Ein Kind.‘“

      Everleigh stellte sich Betty Jos Mann Jeb vor und wand sich innerlich bei der Vorstellung, wie er auf dem Klo saß. Also die Frau konnte wirklich mit Worten Kopfkino erzeugen.

      Everleigh mochte Jeb, einen schwer arbeitenden Mann, der auf den Ölfeldern schuftete und eher ein Macher war als ein Mann vieler Worte. Es konnte ja durchaus sein, dass Betty Jo die beschriebenen Probleme mit ihm hatte, aber bei Everleigh und Rhett war es anders.

      Seit ihrem ersten Date konnte einer den Satz des anderen beenden, und wenn sie nicht zusammen gewesen waren, hatten sie miteinander telefoniert. Unmittelbar vor der Hochzeit hatte Rhett angefangen, ihr kurze liebe Briefchen zu schreiben.

      Ich denke an dich. Nur noch zwei Monate, Rhett.

      Nein, der Tag, an dem Rhett müde und missmutig nach Hause kommen und ihr kaum ein Küsschen geben würde, bevor er auf dem Weg ins Bad seine Stiefel abschütteln und dann dort sitzen bleiben würde, bis ihm die Beine einschliefen, dieser Tag würde nie kommen.

      „Das wird nicht passieren, Betty Jo“, sagte Everleigh vor sich hin, stützte ihre Ellenbogen auf den Zeichentisch und schaute sich dann die Stiefel, die sie gezeichnet hatte, noch einmal ganz genau an. Wie lange würde sie wohl warten müssen, bis sie Betty Jo gegenüber damit angeben konnte, dass Rhett sie immer noch jeden Abend auf den Mund küsste?

      Bis dahin stellte sich allerdings die Frage, was sie jetzt mit dem Tintenklecks machen sollte. Noch einmal von vorn anzufangen, kam nicht infrage, weil dazu die Zeit nicht mehr reichte.

      Als sie gerade beschlossen hatte, weißes Papier über den Fleck zu kleben,

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