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beugte sich vor, um einen Blick auf den Hund zu werfen, kam aber nicht näher.

      „Der sieht ja zum Erbarmen aus. Was hat denn der Tierarzt gesagt?“

      „Er hat gesagt: ,Das macht dann eintausendfünfhundert Dollar.‘“ Beck schlüpfte in ihre Hausschuhe, zog das T-Shirt ein bisschen von ihrem Bauch ab und griff nach ihrem Bademantel. „Dann hat er mich mit Medikamenten, Spezialfutter und Instruktionen nach Hause geschickt. Der Kleine sieht jetzt schon zehn Mal besser aus als gestern Abend.“

      „Aber du weißt, dass ich allergisch bin, oder?“

      „Jap“, sagte sie nur und ging aus dem Zimmer.

       Bitte, bitte, erst mal Kaffee.

      Als sie vor etwa sechs Wochen eines Morgens angefangen hatte, koffeinfreien Kaffee zu trinken, hatte ihre Mutter eine Augenbraue hochgezogen. Beck hatte sich damit getröstet, dass sie schon so viel Koffein im Blut gehabt hatte, dass es vermutlich für ein ganzes Leben, wenn nicht gar zwei, reichte.

      Aus der Küche duftete es nach Boeuf Stroganoff und einen Moment lang empfand sie einen tiefen Frieden. Beck liebte ihr Zuhause. Das war der gemütliche, geborgene Ort, an den man sich zurückzog, um sich vor den Problemen der Welt zu verkriechen.

      Sie wünschte sich das, was ihre Mutter und Flynn hatten, einen Ort, an dem man sich von unliebsamen Überraschungen erholen, sich ein Leben aufbauen und vielleicht ein Kind großziehen konnte.

      Es gab da eine Wohnung an der Rockway Avenue, die sie hätte haben können, aber die war längst nicht so gut wie die piekfeine Wohnung in Stuytown, die sie und Sarah sich bis vor Kurzem geteilt hatten.

      Flynn ging in der Küche umher, bereitete alles fürs Essen vor, und seine starke Ausstrahlung und sein stabiler Körper bewirkten, dass der Friede noch etwas anhielt.

      „Wyatt ist heute zum Essen nicht da“, sagte er, nahm zwei Teller aus dem Schrank und stellte sie auf den Tisch. „Er schaut sich mit ein paar von seinen Jungs die Halbfinals der National Championships an.“

      „Wer spielt denn?“, fragte Beck und nahm die leere Kanne aus der Kaffeemaschine. Traurig. Sehr traurig. Sie schob die Kanne wieder auf die Wärmeplatte zurück und entschied sich für Orangensaft. Der war sowieso besser für sie.

      „Ohio State gegen Texas.“ Flynn nahm Salat und Bier aus dem Kühlschrank. „Willst du auch eins?“, fragte er und hielt eine Bierflasche hoch.

      „Nein danke, ich arbeite heute Nacht.“

      Er zog ein Gesicht. „Das tut mir leid. Ich dachte, du hättest frei. Das ist ein frohes neues Jahr, was?“

      „Seit ich bei der Polizei bin, habe ich jedes Jahr an Neujahr Dienst gehabt. Ich wüsste gar nicht, was ich an dem Tag mit mir anfangen soll, wenn ich nicht Dienst hätte.“

      Sie stürzte den letzten Schluck Orangensaft hinunter und warf dann die Flasche in den Mülleimer. „Ich muss vor dem Essen noch den Hund füttern.“

      „Du kannst ihn nicht behalten, Beck, auch ganz abgesehen von meiner Allergie. Wir arbeiten doch alle zu unterschiedlichen Zeiten und haben auch so schon Mühe, Zeit füreinander – geschweige denn für einen Hund – freizuschaufeln.“ Flynn ging zum Thermostat im Esszimmer und sagte: „Deine Mutter ist anscheinend wild entschlossen, diese Wohnung in eine Sauna zu verwandeln.“

      „Ich nehme mir eine eigene Wohnung“, erklärte sie und spürte in dem Moment ein ganz leises Flattern in ihrem Bauch. Das war das Baby. Es bewegte sich.

      „Wie willst du dich denn bei deinen Arbeitszeiten um einen Hund kümmern? Und dann auch noch um einen kranken Hund?“, fragte Flynn und sah sie an, während er einen Schluck Bier trank. Und dann fragte er ganz unvermittelt: „Geht es dir eigentlich gut in letzter Zeit?“

      „Das schaffe ich schon“, antwortete sie, ohne auf die letzte Frage einzugehen und fügte hinzu: „Es gibt viele Polizisten, die einen Hund haben.“

      „Ja, Polizisten mit Familien, die bei der Betreuung des Hundes helfen können“, wandte er ein.

      „Ich kann mich um ihn kümmern“, wiederholte sie, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und rückte dann ihren Morgenmantel zurecht, indem sie den Gürtel etwas lockerte. „Ich … ich könnte in die Tagschicht wechseln.“

      „Wegen eines Hundes?“, fragte Flynn lachend, aber das Lachen war eher freundlich als spöttisch. „Ruf mich bitte an dem Tag an, wenn du deinen Lieutenant darum bittest. Soll ich mal im meiner Abteilung herumfragen, ob jemand den Hund haben möchte? Erinnerst du dich noch an Michael und Esther Greaves? Die waren letzten Sommer am 4. Juli zur Unabhängigkeitsfeier hier. Du hast mit ihrem behinderten Sohn Basketball gespielt. Mike hat mir erzählt, dass sein Therapeut ihnen ein Haustier empfohlen hat.“

      „Ach, ich weiß nicht.“ Sie blickte nach unten. „Ich … ich weiß nicht, ob ich ihn an jemanden abgeben kann. Er hat so viel durchgemacht.“

      „Das sind liebe Menschen, Beck. Du solltest mal sehen, wie sie mit ihrem Sohn umgehen. Dein Hund würde sich da bestimmt wohlfühlen und gut entwickeln.“

      Beck nickte, ging zur Treppe und murmelte: „Ich überleg’s mir.“

      In ihrem Zimmer kniete sie sich neben ihr Bett und weckte Beetle Boo ganz sanft. Er sah sie mit traurigen braunen Augen an, auch wenn sie heute schon aufmerksamer und lebendiger waren als noch vor zwölf Stunden.

      „Hast du Hunger?“, fragte sie, öffnete eine Dose mit Hundefutter, hob ihn vorsichtig vom Bett herunter, setzte ihn sich auf den Schoß und fütterte ihn aus der Hand. Dann ließ sie ihn aufstehen, und er lief auf wackeligen Beinen noch einmal zum Wassernapf, um zu trinken.

      Danach trug sie ihn in den kalten, frischen Abend vors Haus. An den Häusern in den Straßen funkelte überall noch die Weihnachtsbeleuchtung.

      Beetle humpelte zum Rasen, und sie stützte sein Hinterteil, als er sich hinhockte.

      Dann nahm sie ihn wieder hoch, gab ihm einen Kuss auf den Kopf und flüsterte: „Du und ich, wir gehören zusammen. Ich geb dich nicht her.“

      Wieder in ihrem Zimmer, kuschelte sie ihn in Decken, ging duschen und ließ das warme Wasser über sich und das Baby laufen.

      Aber dann setzte die Realität wieder ein. Beck ließ sich an der gefliesten Wand der Dusche zu Boden gleiten und barg ihr Gesicht in den Händen. Verdammt! Wie hatte sie es nur so weit kommen lassen können?

      Sie saß fest, war in die Enge getrieben durch Umstände, die sie nicht wollte, und hatte in gewohnter Beck-Holiday-Art das Problem einfach ignoriert, hatte es sich weggewünscht und aus ihrem Bewusstsein geschoben. Im Vergessen war sie schließlich richtig gut.

      Eigentlich hätte sie an der Wall Street arbeiten müssen, denn sie hatte an der Columbia University Internationales Finanzwesen studiert. Aber dann hatte sie ein Praktikum bei Goldman Sachs gemacht.

      Was für eine Welt! Es war die Hölle für sie gewesen und sie hatte jede Minute dort gehasst. Aus einer Laune heraus hatte sie dann die Aufnahmeprüfung für die New Yorker Polizei gemacht und die zweithöchste Punktzahl aller Zeiten erreicht. Sieben Monate später hatte sie ihren Abschluss als Jahrgangsbeste in der Tasche.

      Sie liebte ihren Job, denn er gab ihr das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Ihr gefielen die Kameradschaft unter den Beamten und der Zusammenhalt dieser wenigen in einer Millionenstadt.

      Ihre Mutter war damals zu dem Schluss gekommen, dass Beck zur Polizei ging, um wie ihr Vater zu sein.

       „Warum sollte ich das tun, wenn ich mich nicht einmal an ihn erinnern kann, Mama?“

      Aber während jetzt ihre blasse Haut durch das heiße Wasser rosig wurde, fragte sie sich, ob die Vermutung ihrer Mutter nicht doch zum Teil zutraf. War ihr Wunsch, Polizistin zu werden, vielleicht der Versuch gewesen, etwas wiederzufinden, was sie verloren hatte? Aber war es denn falsch, wie ihr Vater sein zu wollen? War es

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