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und schaltet den Motor aus. Von der Ladefläche entnimmt er zwei große Plastikkanister und verschwindet mit diesen über die Treppen hinunter in das ruinöse Labyrinth.

      *

      Im Lichtschein einer starken LED-Lampe, die von seiner Stirn herabstrahlt, befördert der Mann die tote Frau auf einem ächzenden eisernen Krankenbettgestell durch die Korridore bis zu einem ehemaligen Badezimmer. Er trägt einen Schutzanzug, dazu eine lange weiße Gummischürze, ebensolche Handschuhe, hohe Stiefel, Haarbedeckung und Atemschutzmaske. Den Inhalt der mitgebrachten Kanister gießt er in die alte, ziemlich verrostete Badewanne, dann fügt er die Flüssigkeit aus einer Fünfliterflasche hinzu und verrührt das Ganze mit einer großen, langstieligen Badebürste. Er manövriert das Bettgestell neben die Wanne, hebt es seitlich hoch und lässt den leblosen Körper in die Flüssigkeit rutschen. Anscheinend gänzlich unberührt von dieser Tat, zieht er die Frau an den Fesseln hoch, sodass Kopf und Haare vollständig in die Flüssigkeit eintauchen. Gemächlich schrubbt er den gesamten Körper mit der Bürste minutiös ab, erst an der Vorderseite, wendet dann die Leiche, um deren Rücken ebenso akribisch von jeglichen Spuren zu befreien. Während die Flüssigkeit aus der Wanne abläuft, schneidet der Mann eine große Plane von einer zwei Meter breiten PVC-Folienrolle ab und breitet diese auf dem Bettgestell aus, dann fasst er den Leichnam unter den Achseln, zieht ihn aus der Wanne und bettet ihn darauf. Der Mann bedeckt die Leiche mit der Folie und schiebt seine makabre Last bis an die Treppe, die nach oben ins Freie führt. Er zwängt den mit der Folie umhüllten Leichnam in einen dünnen Schlafsack, den er über die Stufen mühsam schnaufend die Treppe emporzieht. Dort wirft er sich diesen über die Schulter und bringt die Last bis zum Wagen, wo er sie auf der Ladefläche deponiert. Stark pustend kehrt er zurück in den Keller, um sich der Schutzkleidung zu entledigen, dann verbarrikadiert er die Eingangstür. Tief atmend steigt er in den Opel, setzt sich ans Steuer und zündet sich eine Zigarette an. Er schaut auf die Uhr, sie zeigt ihm an, dass es fünfundzwanzig Minuten nach zwei ist. Wenig später startet er den Wagen und macht sich auf den Weg in den Kieler Forst.

      Ränkespiele

      »Moin, moin, liebe Kollegen! Ich hoffe, ihr hattet ein geruhsames Wochenende!« Beschwingt betritt Kriminalkommissarin Margrit Förster das Arbeitszimmer, in dem das vierköpfige LKA-Sonderermittlungsteam zurzeit mit der Aufarbeitung von Cold-Case-Fällen beschäftigt ist. Auf jedem ihrer Schreibtische türmen sich Akten von bisher – aus welchem Grund auch immer – ungelöst gebliebenen Straftaten aller Art. Vor allem sind es mysteriöse Tötungs- und schwere Körperverletzungsfälle, teilweise schon vor mehreren Jahren begangen, die sich diese Arbeitsgemeinschaft mit dem Ziel vornimmt, den oder die ominösen Täter zu entlarven und sie ihrer längst fälligen und gerechten Strafe zuzuführen.

      »Grues di, Margrit!«, tönt es hinter dem Bildschirm hervor, an dem Fachinspektor Ferdinand Csmarits gebannt die Daten screent, die er vor seinen Augen langsam herunterscrollen lässt. Der neben ihm stehende Kriminalkommissar Robert Zander, der ebenfalls aufmerksam auf Ferdls Bildschirm schaut, hebt kurz den Kopf, nickt ihr mit einem Lächeln zu und sagt lediglich: »Hallo, Margrit!«, bevor er wieder den Blick auf die Mattscheibe senkt.

      »Da hammer’n, das feine Bürscherl!«, ruft Ferdl erfreut aus und deutet auf die Datei mit dem digitalisierten Bild und die Personenbeschreibung des Gesuchten. »Dieser Habermann Karl ist eindeutig der Pülcher, der auf dem Überwachungsvideo das junge Madel bedrängt, das man später unter der Bahnbrück’n verg’waltigt und erwürgt aufg’funden hat. Und der Oasch hat an Akt so lang wie Wagners Nibelungenring: Sei Highlights: Drei Mal hams ean scho einkastelt wegen Erpressung, bewaffneten Raubs und zuletzt wegen Totschlags. A feins Früchterl! Is erst vor a paar Monate aus der JVA Neumünster freikemmen und steckt scho wieder mit beid’n Hax’n tief im braunen Eimer! Wan der Richter nur an Zentimeter Gripps hat, Spezi, geht’s für di lebenslänglich ins Häfer! Da bin i mir sicher!«

      »Gute Arbeit, Kollegen!«, lobt Nili ihr Team. »Wieder ein gelöster Fall mehr und eine Akte weniger.« Sie wendet sich an Ferdl: »Seien Sie so gut und leiten die Daten an Frau Staatsanwältin Doktor Bach in Itzehoe weiter. Ich rufe unseren ›Hein Gröhl‹ bei der Kriminalbezirksinspektion in der Großen Paaschburg an, um ihn ins Bild zu setzen, damit er den Verdächtigen festnageln kann. Da haben wir bei unserem Herrn Kriminalrat Stöver mal wieder einen gut. Und auch nochmals vielen Dank für Ihre gestrige Blitzaktion, Ferdl! Sie haben dem KTI-Kollegen Lutz Krause mit dem Ergebnis wirklich kolossal imponiert. Übrigens auch Herrn Doktor Mohr und mir mit den umfassenden Daten, die Sie herausgefunden haben. Und das nur aufgrund eines Eherings. Wirklich toll! Wie machen Sie das nur?«

      »Steht doch bei Matheus 7, Vers 8 in der Bibel, Chefin: ›Wer suchet …‹ Hams doch sicher scho mal g’hört, oder?«

      »Stimmt, Ferdl, aber was leider nicht dahinter steht, ist ›Gewusst wo!‹.« Grienend greift sie zum Telefonhörer und wählt.

      »Was sollen wir als Nächstes angehen, Nili?«, fragt Robert, nachdem sie den Hörer wieder aufgelegt hat und nach ihrem Kaffeekrug mit der Aufschrift ›Mi querido tinto‹ greift. Während sie einige Schlucke ihres ›geliebten Schwarzen‹ zu sich nimmt, sinniert sie einen Augenblick lang, wie es wohl ihrer Freundin Sandra und ihren kolumbianischen Kollegen gehen mag, mit denen die junge Kitt Harmsen und sie damals den Dschungel auf der lebensgefährlichen Suche nach Coca-Plantagen und Kokainbrauern durchkämmt haben. Auch sie war sehr berührt, als sie am Freitagabend die bekannten Gesichter auf dem Videofilm wiedergesehen und ihre Stimmen gehört hat.

      Nili blickt auf und der fragende Blick des Kollegen bringt sie in die Gegenwart zurück. Sie berichtet kurz über die furchtbar verunstaltete Frauenleiche, die man im Forst in der Nähe Kiels aufgefunden hat. Das bringt sie auf einen Gedanken: »Ich denke, wir sollten mal unseren Aktenstoß nach ungelösten Fällen von derart verwerflichen Gewaltakten gegen Frauen durchforsten. Es ist wirklich krank, was sich da so mancher Ehemann oder Lebenspartner gegenüber seiner Frau oder Freundin an Gewalttätigkeiten und Misshandlungen herausnimmt, ohne dass die Missetäter dafür zur Verantwortung gezogen werden!«

      »Das Ganze hapert doch meistens an der Scheu oder auch Scham der Geschädigten, ihren Peiniger anzuzeigen«, relativiert Robert, während er sich seine Akten vornimmt, um dem Vorschlag Folge zu leisten. »Und wenn sie es doch mal wagen, dann ziehen sie kurz darauf reumütig die Anzeige wieder zurück, weil …« Er stocTitlekt, weiß er doch gerade nicht, wie er es richtig formulieren soll.

      Margrit kommt ihm zu Hilfe. »Weil sich solche Frauen in ihrem Innern immer noch dem Mann untertänig fühlen oder ihm blauäugig vertrauen. Sie verzeihen ihm sogar, wenn er ihnen heilig verspricht, sie nie wieder zu verprügeln.« Während auch sie ihren Aktenstapel durchforstet, setzt sie hinzu: »Was meinen Sie, Ferdl?«

      Der Fachinspektor liest gerade in der offenen Akte und schüttelt ungläubig den Kopf: »Das müsst ihr euch mal anhören, Kollegen: Da hab i an Fall derwischt, der vor sechzehn Monate hier in Kiel passiert is. Wann’s das so hörst, wirst ganz schö krawutisch! Gehns, seins so guat, Robert, lesen’s vor, Ihr Hochdaitsch is besser als meins!« Er reicht dem Kollegen den Ordner hinüber.

      Robert überfliegt das Geschriebene. Offensichtlich betroffen, räuspert er sich und berichtet: »Ich fasse mal zusammen, was hier drinsteht: Eine gewisse Cindy Frohm, siebenundzwanzig Jahre alt, und ihr Bekannter Rafael Kohlmann, achtunddreißig, waren bei Freunden auf einer Party, bei der ziemlich heftig gebechert wurde. Beide waren mittel bis stark alkoholisiert. Besagter Rafael hatte vergeblich versucht, eine andere Frau anzumachen, die ihn aber abblitzen ließ. Entsprechend wütend bemerkte er plötzlich, dass seine Cindy inzwischen sehr intim mit einem anderen Mann tanzte und es anscheinend willig geschehen ließ, dass dieser – entschuldigen Sie bitte, meine Damen, denn jetzt wird’s etwas krass, also ich zitiere – ihr sein in der Hose markant erigiertes Glied zwischen die Schenkel drückte. Von Eifersucht getrieben, riss er das Paar auseinander und wollte den Mann tätlich angreifen. Nur mit großer Mühe konnten ihn die in der Nähe stehenden Gäste bändigen und ihn von der Gewalttätigkeit abhalten. Nachdem sich die Lage einigermaßen beruhigt hatte, bat der Hausherr die beiden zu gehen, damit die Feier unbelastet fortgeführt werden konnte. Rafael ließ seinen Wagen stehen und das Paar machte sich zu Fuß auf den Nachhauseweg.

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