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dieser Bitch im Wintergarten getrieben hätte. Während sie laut streitend durch eine abgelegene Gegend gingen, riss Rafael der Geduldsfaden und er prügelte Cindy windelweich, bis sie mit gespaltener Lippe, blutender Nase und angebrochenem Nasenbein auf den Gehweg stürzte und dort liegen blieb. Angeblich hielt Rafael darauf ein vorbeifahrendes Taxi an und fuhr einfach davon. Ein zufällig vorbeikommender älterer Mann, der seinen Hund Gassi führte, hatte den Vorfall beobachtet und half Cindy wieder auf die Beine. Er griff nach seinem Handy, um die Polizei zu benachrichtigen, Cindy hielt ihn aber davon ab und bat darum, er möge ihr nur ein Taxi rufen. Kurz nachdem sie weggefahren war, kam ein Streifenwagen vorbei und der Zeuge namens Marco Thieslaff, neunundsechzig Jahre alt, schilderte den Beamten den stattgefundenen Vorfall. Diese fertigten daraufhin ein Protokoll an. Nachdem Cindy die ganze Nacht schlaflos und mit starken Schmerzen in einem Hotelzimmer verbracht hatte, fuhr sie in aller Frühe ins Städtische Krankenhaus, wo man neben einem blauen Auge und dem geschwollenen Gesicht auch noch Hämatome auf Brust und Armen feststellte. Man versorgte die Wunden und richtete die Nase. Die behandelnde Ärztin in der Notambulanz – eine Frau Doktor Wohlgast oder Wohlgarten – machte vorsichtshalber Fotos von den Blessuren für das Krankenhausarchiv. Auf die Weigerung der Patientin, Kopien der Fotos mitzunehmen, empfahl sie Cindy jedoch, gegen ihren Freund unbedingt Anzeige wegen körperlicher Misshandlung zu erstatten. Deswegen soll sich Cindy danach doch noch bei einer Polizeistation gemeldet haben. Da sie sich nicht so gut in Kiel auskennt, kann sie sich jedoch nicht mehr genau erinnern, wo diese gelegen war. Sie zeigte Rafael Kohlmann dort namentlich wegen Körperverletzung an. Gemäß ihrer Darstellung wurde zwar die Anzeige von einem Beamten schriftlich aufgenommen, ihr allerdings weder ein Protokoll zur Unterschrift vorgelegt noch eine Aktenzeichennummer bekannt gegeben, sodass sie von dem Vorgang keinen Beleg erhielt. Man soll ihr angeblich nahegelegt haben, die formelle Anzeige an ihrem gemeldeten Wohnort, Gemeinde Schönberg, zu erstatten. Dazu werde sie von der dortigen Polizeistelle eine schriftliche Anforderung erhalten. Eine solche hat sie allerdings nie zu Gesicht bekommen. Als sie in der dortigen Polizei-Zentralstation in der Ostseestraße zwei Wochen später vorstellig wurde, um danach zu fragen, wusste man angeblich nichts von dem Vorgang. Weil sie keine Aktenzeichennummer besaß, konnte man ihr auch hier nicht weiterhelfen. Zwei Monate später erhielt sie überraschenderweise ein Schreiben des Amtsgerichts, in dem ihr auf Antrag der Staatsanwaltschaft – gemäß Paragraph 170, Abs. 2 StPO – ich zitiere: ›Verfahrenseinstellung mangels eines hinreichenden Tatverdachts‹ mitgeteilt wurde. Die Begründung lautete, es stünde Aussage gegen Aussage, da der Beklagte Kohlmann ihrer Schilderung des Tathergangs widersprochen habe und diese als glatte Lüge bezeichnete. Die Frau sei vollkommen betrunken gewesen, deshalb gegen einen Laternenmast gelaufen und gestürzt. Als er ihr zu Hilfe eilen wollte, habe sie ihn unflätig beschimpft und ihn aufgefordert, ›sich zu verpissen‹. Darauf sei er in ein vorbeifahrendes Taxi gestiegen, habe aber mit seinem Handy den Polizeiruf 110 gewählt und ihre Verletzung gemeldet. Deshalb sei wohl auch ein Streifenwagen dort vorstellig geworden.«

      Robert legt eine Verschnaufpause ein. Während er stumm weiterliest, meint Margrit: »Wenn man das so hört, da möchte man sich doch so einen gemeinen Kerl vornehmen und ihn ordentlich verdreschen, nicht wahr?«

      Robert nickt und ergreift wieder das Wort: »Aber jetzt kommen einige wirklich außergewöhnliche Anmerkungen, und es ist mir unerklärlich, wie so etwas hier auftaucht. Hört euch das mal an: Unhaltbare Zustände! Wieso gibt es kein amtliches Protokoll von der Anzeige der Geschädigten? Der Zeuge wurde nicht vernommen – dabei hätte ja die Aussage der Frau bestätigt werden können. Und in der Mitteilung der Verfahrenseinstellung vom Amtsgericht fehlt ebenso der obligate Hinweis auf die gesetzlich geregelte Möglichkeit zum Widerspruch oder zur Beschwerde-Einreichung. Frau Frohm ließ diese aus Unkenntnis verstreichen und konnte nichts mehr unternehmen, sodass der üble Täter unbestraft bleibt! Eine Schande ist das!«

      Es folgt allgemeine Ratlosigkeit. Walter Mohr hatte den Arbeitsraum des Teams gerade in dem Augenblick betreten, als Robert Zander mit der Tatschilderung begann. Er meldet sich jetzt zu Wort: »Guten Morgen, Kollegen! In der Tat, eine ziemlich außergewöhnliche Darstellung, die mir da eben zu Ohren gekommen ist! Woher kommt überhaupt diese Akte?«

      »Moin, moin!«, klingt es unisono seitens Margrit und Robert.

      »Guat’n Morgen, Herr Doktor!«, antwortet Ferdl ebenfalls. »Die hob i heit zufällig auss’n Stapel nauszog’n!« Robert übergibt Waldi den Ordner. Der sieht sich diesen genauer an und es erscheinen einige Falten auf seiner Stirn.

      »Diese Fallakte scheint mir ziemlich getürkt! Da hat offensichtlich jemand auf einem älteren Aktendeckel herumradiert und diesen dann neu tituliert.« Er geht an den Telefonapparat auf Nilis Schreibtisch und wählt. »Guten Morgen! Hier spricht EKHK Mohr. Ist zufällig Herr Treumann in der Nähe? Danke, ich warte!« Er blickt hinüber zu Nili, diese nickt ihm zu. »Gut, sollten Sie ihn erreichen, richten Sie ihm bitte aus, er möchte unverzüglich ins Sonderermittlungsbüro kommen, man benötigt hier dringend seine Hilfe. Vielen Dank, Frau Schmeling, und noch einen schönen Tag.« Er beendet das Gespräch und schaut auf. »Wenn der Bote kommt, fragt ihn, woher er die Akte hat, denn die ist nicht koscher. Ich muss jetzt aber weiter, gebt mir dann bitte beim Mittagessen in der Kantine Bescheid!«

      Als Waldi aus der Tür ist, meldet sich Nili zu Wort: »Ferdl, seien Sie so gut, schauen Sie mal in unserem Netz nach, ob Sie irgendetwas über den Fall finden, zum Beispiel Anschriften von besagter Cindy Frohm, dem Zeugen Marco Thieslaff und dem mutmaßlichen Missetäter Rafael Kohlmann. Margrit und Robert, Sie fahren bitte zur Polizei-Zentralstation in Schönberg und versuchen, dort Näheres zu erfahren. Fragen Sie deren Leiter, warum man Frau Frohm nicht weitergeholfen hat. Ich kümmere mich um das Städtische Krankenhaus, denn ich will die Ärztin ausfindig machen, die Cindy behandelt hat, und sie fragen, ob wir Kopien ihrer Fotos bekommen können.«

      »Chefin, I schau mal ah, ob i vielleicht das Streif’nrevier z’fassn krieg, das die Zeug’naussage aufgn’nomm’n hat! An Datum hamma ja!«, volontiert Ferdl.

      Nili nickt ihm anerkennend zu.

      »Haben wir überhaupt einen Fall, Nili?«, fragt Margrit ein wenig verunsichert. »Ich meine, weil doch die Akte anscheinend ein Fake sein könnte.«

      »Das entscheiden wir, wenn wir ein paar Fakten zusammengetragen haben. Ich vermute, dass jemand diese Akte bewusst und sehr gezielt in unsere Hände manövriert hat, damit in dieser bösen Sache endlich etwas passiert. Die darin geschilderte Darstellung erscheint mir dennoch durchaus plausibel und ich frage mich ernsthaft, ob da nicht irgendwer etwas vertuschen wollte. Jedenfalls ist es der Sachverhalt wert, dass wir ihm nachgehen. Also los, Leute, an die Arbeit!«

      *

      »Herzlichen Dank, Frau Prinz, sehr gute Arbeit, meine Damen und Herren vom Kriminaltechnischen Institut!«, lobt Staatsanwalt Dr. Uwe Pepperkorn die zum Lagebericht versammelte Ermittlungsmannschaft. »Besonders erfreulich, dass Sie so rasch die Identität der Leiche feststellen konnten!«

      Lutz Krause wirft einen raschen Seitenblick auf Koordinatorin Annegret Prinz und räuspert sich, ist ihm doch klar, dass das, was er jetzt sagt, nicht unbedingt nach dem Geschmack der ehrgeizigen Fallanalytikerin sein wird. Dennoch möchte er es – wahrscheinlich gerade deshalb – klarstellen und meldet sich zu Wort: »Ich muss allerdings gestehen, dass dies nicht allein auf unserem Mist gewachsen ist. Es war Frau Kriminalhauptkommissarin Masal, mit der meine Familie und ich am Wochenende zum Essen verabredet waren, die den richtigen Spürsinn hatte und ihren Kollegen Csmarits vom Sonderermittlungsteam veranlasste, die kargen Daten, die auf dem von mir gefundenen Ehering eingraviert waren, weiter zu erforschen. Der wackere IT-Fachmann schlug sich mit der Suche den ganzen Sonntagnachmittag um die Ohren und war glücklicherweise so erfolgreich mit dieser reichhaltigen Ausbeute.«

      Wie Lars Krause es erwartet hatte, zuckte die neben ihm sitzende Kriminologin Annegret Prinz merklich zusammen, blieb aber stumm.

      Staatsanwalt Pepperkorn, dem die kontroverse Haltung der beiden SpuSi-Beamten nicht verborgen bleibt, interveniert: »Wie es auch gewesen sein mag, geschätzter Herr Krause, sind wir Ihnen allen zu Dank verpflichtet. Wir konnten dadurch rasch konkrete Hinweise gewinnen, denen wir nun unverzüglich nachgehen werden. »Was schlagen Sie vor, Herr Kriminalrat? Wie wollen wir vorgehen?«

      Der

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