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Bald danach schlug abermals das grausame Schicksal zu: Israel war nach den vergangenen für sie erfolgreich beendeten Kriegen fatalerweise gegenüber den unterlegenen Feinden zu hochmütig geworden und wog sich in einer unheilvollen, falschen Sicherheit. Während des Jom-Kippur-Krieges im Herbst 1973, der den Staat für einen Moment an den Rand des Untergangs brachte, fiel Rubén bei einem schweren Artillerieangriff der Syrer, die danach trachteten, ihre im Sechstagekrieg von 1967 eingebüßten Golanhöhen zurückzuerobern. Der simultan ausgeführte ägyptischsyrische Überfall, der gerade am heiligsten jüdischen Feiertag begann, wurde nach tagelangen Kämpfen im Sinai und am Golan mit äußerst hohem und bitterem Blutzoll zurückgeschlagen und endete abermals mit der militärischen Niederlage der heimtückischen Angreifer. Der Kibutz Halonim wurde dabei schwer getroffen, Liliths langjähriges Aufbauwerk, ihre Hühnerstallungen im Lul, wurden Opfer der feindlichen Granateneinschläge. Oliver holte kurz danach seine abermals traumatisierte und nun verwitwete Schwester samt der gerade einjährigen Nili zu sich nach Oldenmoor, wo sie von da an verblieben.

      *

      Das Bremsen des Taxis unterbricht abrupt Waldis Gedankenfluss. Nachdem er bezahlt hat, steigen er und Nili aus und gehen ins Haus. Es ist eher selten, dass das Paar ein Wochenende hier verbringt, denn wann immer es ihnen möglich ist, genießen sie ihre Freizeit im Onkel Suhls Haus – Nilis Familiensitz – in der Elbmarschenkleinstadt Oldenmoor. Es ist nach jenem lieben Familienfreund benannt, der es ihren Großeltern zur Hochzeit vererbte und in dem nun Nilis Omi, Abuelita Clarissa, und ihre Mutter, Ima Lissy, wohnen.

      Das Marineviertel in Kiel-Ravensberg ist ein Wohngebiet, das in den Zwanziger- und Dreißigerjahren des vorigen Jahrhunderts vor allem für Angehörige der Reichsmarine und ihre Familien entstand. Es besteht aus einigen Reihen sehr ansehnlicher und mit schönen Ornamenten verzierter, offensichtlich immer noch mit Liebe erhaltener Häuser. Waldis Großvater, Leutnant zur See Rudolf Mohr, zog dort mit seiner frischgebackenen Ehefrau Waltraut kurz vor der NS-Machtergreifung ein. Er verstarb im Dezember 1939 auf dem Panzerkreuzer Graf Spee bei der Seeschlacht am Rio de la Plata vor der Küste Montevideos durch einen Kanonentreffer des britischen Gegners. In diesem Hause wurden Walters Vater sowie dessen beide Schwestern geboren, die nach ihrer Heirat wegzogen. Waldi, einziger Sohn des Ehepaars Reiner und Irmi Mohr, wuchs hier auf und besuchte sowohl die Grundschule als auch das Gymnasium bis zum Abitur. Nach dem Studium erwarb er seinen Doktortitel in Politikwissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, bevor er beim Landeskriminalamt in den gehobenen Polizeidienst eintrat. Er verdiente sich die ersten Sporen bei der Drogenfahndung und avancierte zu deren Leiter.

      Der meist in einen edlen Anzug aus Harris-Tweed gekleidete, gut aussehende und gerade zweiundvierzig Jahre alt gewordene stattliche Herr mit seiner leicht grau melierten lockigen Haarmähne, der altmodisch wirkenden vernickelten Brille und seinem gepflegtes Kinnbärtchen, mutet wohl eher wie ein Gelehrter als wie ein gehobener Beamter des Landeskriminalamtes an. Wegen nachgewiesener guter Führungseigenschaften wurde Waldi Ende des vorigen Jahres zum Ersten Kriminalhauptkommissar befördert, amtiert zudem als stellvertretender Leiter und ist somit Nilis direkter Vorgesetzter im Dezernat SG212 – Organisierte und Rauschgiftkriminalität –, in dem sie ihr Team von drei Mitarbeitern für besondere Sonderermittlungen befehligt.

      Nachdem sein Vater und nur wenig später vor vier Jahren seine Mutter gestorben war, wurde das geräumige Elternhaus zweigeteilt. Für sich selbst beansprucht Waldi das Erdgeschoss, in dem es neben dem gemütlichen, noch aus Opas Zeiten eingerichteten Salon mit Kamin und dem Schlafzimmer nur noch einen weiteren Raum gibt, in dem er sein Arbeitszimmer eingerichtet hat. Die altehrwürdige Küche sowie das Badezimmer stammen räumlich noch aus der ursprünglichen Bauzeit und wurden anlässlich des stattgefundenen Umbaus zeitgemäß umgestaltet. Das neu entstandene Apartment im Obergeschoss ist – nach entsprechendem Um- und Einbau von Küche und Badezimmer – an den Kollegen Lutz Krause vermietet, seit Kurzem zum Ersten Kriminaltechniker im jüngst gegründeten Kriminaltechnischen Institut im LKA avanciert, der es mit seiner Frau Marion und den Teenagern Jan und Tim bewohnt.

      Nili, ehemalige Oberkommissarin von der Polizeidienststelle in Oldenmoor, und Waldi, der damalige Leiter der Drogenfahndung, lernten sich anlässlich eines brisanten Falles kennen, bei dem sie dank ihrer fließenden englischen, spanischen und Iwrith-Sprachkenntnisse von Oberstaatsanwalt und LKA um Unterstützung bei der Befragung der festgenommenen Täter gebeten worden war. An einigen weiteren Ermittlungsfällen arbeiteten die beiden gelegentlich sehr gut zusammen und kamen sich dabei allmählich nahe; vor einigen Monaten gingen sie eine innige und äußerst harmonische Beziehung ein. Von einem gemeinsamen Heim oder gar von Heirat war bis heute allerdings noch nicht die Rede, wohl weil sie neben der täglichen Zusammenarbeit stets ihre Freizeit gemeinsam gestalten, sobald sich hierfür eine Gelegenheit bietet.

      Nach einer eiligen Dusche vereinigt sich das Paar im zärtlichen Liebesspiel, das sie bald bis zur wonnigen Sinnesekstase bringt. Völlig ermattet sinkt Nili danach in die Arme des Geliebten und sie fallen in enger Umarmung bald danach in tiefen Schlaf.

      Tot aufgefunden

      »Weibliche Leiche, Körpergröße einhundertachtundsechzig Zentimeter, geschätztes lebendes Körpergewicht etwa achtundsechzig Kilo, vermutliches Alter zwischen dreißig und fünfunddreißig Jahre, dunkelblondes Haar, blaue Augen. Zahngebiss bis auf zwei fehlende Weisheitszähne vollständig; massive prämortale Hämatome im Gesicht sowie an Oberkörper und Extremitäten. Sie muss des Öfteren heftig geschlagen worden sein. Auch das Nasenbein scheint gebrochen. Außerdem zeigen die Hämatome an den Handgelenken, dass sie gefesselt gewesen sein muss. Daran ist sie aber nicht gestorben. Nach einem massiven Schädel-Hirn-Trauma, das entweder von einem stumpfen Gegenstand am Hinterkopf oder vielleicht von einem heftigen Sturz herrührt, verstarb sie an der anschließenden epiduralen Blutung – so bezeichnet man medizinisch eine innere Verblutung im Hirn – etwa ein bis zwei Stunden nachdem man ihr diese Verletzung zugefügt hat. Die Frau wurde schätzungsweise ungefähr sechs Stunden nach dem Todeseintritt an diesen Ort gebracht und unbekleidet in einer Mulde im Waldboden abgelegt, dann notdürftig mit etwas Erde, Laub und Reisig abgedeckt, sodass der Leichnam sehr rasch von den herumstöbernden Wildschweinen aufgespürt und vier Finger von dessen rechter Hand fast vollständig abgebissen wurden. Auch der Unterarm wurde teilweise angefressen.«

      Der jüngere Arzt, der von den Polizeibeamten zur Leichenschau angefordert wurde und den Bericht diktiert, richtet sich auf: »Ich darf mich vorstellen: Assistenzarzt Finn Engelmann, zurzeit Doktorand bei Professor Christoff Klamm, Leiter des Gerichtsmedizinischen Instituts an der Kieler Universitätsklinik, der mich an seiner Stelle zu diesem Leichenfundort beordert hat.«

      »Vielen Dank, Herr Engelmann, das war recht umfangreich und reicht uns für den Augenblick.« Kriminalrat Harald Sierck, Leiter der Mordkommissionen von der Kieler Bezirkskriminalinspektion Blumenstraße, nickt anerkennend angesichts der umfassenden Angaben.

      »Was meinen Sie, Breiholz, noch Fragen an den Herrn Doktor?«, erkundigt er sich bei seinem Begleiter.

      »Nett gemeint, aber bitte keine vorzeitige Promotionsverleihung, Herr Kriminalrat«, interveniert der Assistenzarzt. »Die Doktorsporen muss ich mir erst noch erarbeiten, und ich befürchte, das wird noch ein Weilchen dauern«, scherzt er.

      Kriminaloberkommissar Sascha Breiholz grinst. »Nur keine falsche Bescheidenheit, Doc. Das, was wir soeben von Ihnen zu hören bekamen, hätte Ihr verehrter Herr Professor auch nicht besser vortragen können. Aber eine Frage hätte ich noch: Können Sie schon jetzt abschätzen, wie lange die Leiche hier liegt?«

      »Die letzte Nacht war sehr kalt und die Leiche unbekleidet. Beides macht es mir nicht unbedingt leicht, Ihre Frage genau zu beantworten. Dennoch, da die Totenstarre vollständig ausgeprägt ist, trat der Exitus schätzungsweise vor etwa vierundzwanzig bis dreißig Stunden ein. Wie gesagt, die livores mortis – also die Leichenflecken«, ergänzt er beflissen auf den plötzlichen stirnrunzelnden Ausdruck des Fragenden, »deuten auf etwa sechs Stunden danach, da die Leiche offensichtlich für den Hertransport vollkommen umgelagert wurde. Demnach schätze ich grob, circa achtzehn bis vierundzwanzig Stunden. Einen genaueren Todeszeitpunkt erfahren Sie dann im Obduktionsbericht.«

      Steffi Hink, die gerade hinzugekommene Kollegin

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