Скачать книгу

sitzen geblieben wäre. Er ächzte gekünstelt, wie ein alter Mann, schob sich schnell noch einen Bissen in den Mund und fragte dann, übertrieben laut: „Falki, du kannst wohl den kleinen Stuhl nicht alleine tragen?“

      Wer in seiner Nähe saß, sah, dass Arnor bei dieser Frage über das ganze Gesicht grinste. Alviturs Stuhl war nämlich ein riesiges, großes Monstrum, aber mit prächtig beschnitzten Armstützen und einer großen Rückenlehne, die oben von zwei schönen Wolfsköpfen gekrönt war.

      Falki stand schon neben dem Stuhl und wartete, dass sich Arnor endlich bei ihm einfand, damit sie ihn gemeinsam an den vorbestimmten Platz tragen konnten. Doch Arnor ging breit grinsend auf Falki zu und sprach so laut, dass es wieder alle hören konnten: „Falki lass mal, das mache ich lieber alleine, damit du dich nicht verhebst.“

      Nun musste Falki grinsen. Er wusste ja, dass es Arnor nur darauf ankam, hier vor allen Leuten zu zeigen, wie stark er war.

      Arnor wuchtete den Stuhl hoch über seinen Kopf und ging mit ihm bis zu Feuerstelle. Dort stelle er ihn mit Schwung und lautem Krach so ab, dass er genau an der richtigen Stelle stand.

      Wie ein Sieger stand Arnor neben dem Stuhl in Pose und reckte seine Brust. Falki, hinter ihm, klatschte laut in die Hände und rief: „Na prima, du Recke, hast ja Kraft wie ein Troll!“

      Aus dem Halbdunkel, von der Bank der Mädchen, kam nun wirklich eine lautes und begeistertes Klatschen und plötzlich klatschen auch alle anderen mit. Falki und Hilda reckten ihre Hälse um zu sehen, welche von den Mädchen da Arnors Verehrerin war. Gleich drei Plätze links neben Hilda saß Stina und klatschte begeistert, mit glänzenden Augen, in ihre Hände. Nun wurde Arnor plötzlich etwas verlegen. Er wollte sich nur einen kleinen Spaß machen, aber nun war er plötzlich der Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit und die Leute beklatschten ihn. Er wusste nicht so recht, was er tun und wo er hinsehen sollte und als dann plötzlich Stille um ihn herum war, weil das Klatschen aufhörte, kam er sich richtig verlassen vor. Es war so still, dass man jetzt sogar das Feuer knistern hörte. Er drehte sich zu Falki um, doch der schaute an ihm vorbei, zur hinteren Tür. Jetzt bekam auch Arnor den Grund für die plötzliche Stille mit und dass die Leute nicht ihn anstarrten, sondern in das Dunkel hinter ihm. Im Schein einer Fackel näherten sich zwei Gestalten, Alvitur und an seiner Seite Sölvi, der für ihn die Fackel trug.

      Die plötzliche Stille im Langhaus war fast hörbar. Die Flammen des großen Feuers knisterten jetzt scheinbar viel lauter als vorher. Selbst die Frauen am Kochfeuer schlossen für einen Moment ihre Münder und hielten inne. Auf allen Plätzen wurde es mucksmäuschenstill. Beschienen vom flackernden Schein der Fackel, trat Alviturs große, schlanke Gestalt ins Licht. In seinem blauen Filzmantel, der auf der Brust von eine wunderschönen, Bronzefibel zusammengehalten wurde, war Alvitur, schon wegen seiner Größe, eine beachtliche Erscheinung. Mit seinem dunkelblauen Filzhut und dem reich verzierten Stab, dessen Ende ein großer Drachenkopf zierte, legte er es gerne darauf an, dass ihn die Kinder mit Odin verglichen, zumal seine Einäugigkeit diesen Vergleich geradezu herausforderte.

      Alvitur schritt würdevoll, fast feierlich, auf das Feuer zu. Durch Alviturs beeindruckender Erscheinung, wirkte Sölvi neben ihm, fast wie ein Schatten, geräuschlos und farblos. Er begleitete Alvitur zu seinem Stuhl und wartete, bis dieser sich gesetzt hatte, dann löschte er die Fackel und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Alvitur nickte und Sölvi drängelte sich zwischen den Leuten hindurch, in Hildas Richtung. Von allen unbemerkt, wie aus dem Nichts, stand plötzlich die gute Fifilla neben Alvitur. Er raunte ihr etwas zu, dann gab er ihr seinen Hut und den Stab. Sie nahm beides, lehnte den Stab an den nächsten Pfosten und setzte den Hut oben auf den Drachenkopf.

      Tyra rückte einen Schemel neben Alvitur zurecht und Fifilla stellte einen großen, dampfenden Krug darauf ab und einen silbernen Trinkbecher. Sie neigte sich noch einmal Alvitur zu und schien ihm etwas Nettes zuzuflüstern, dabei legte sie ihm noch seine beiden Zöpfe ordnend über die Schultern und lächelte. Alvitur ließ es mit Wohlgefallen über sich ergehen und streichelt ihr die Wange.

      Plötzlich drangen vom Eingang her wieder Geräusche, die in der Stille doppelt laut und störend wirkten. Alle Köpfe drehten sich zur Tür. Ein großer, schlanker Schatten huschte durch den Raum und drängte sich eilig zu den Sitzenden. Unwilliges Geraune quittierte die Störung.

      Hilda rief erfreut: „Alfger, endlich kommst du! Komm hierher!“

      Falki wandte seinen Kopf zu Alfger, winkte ihm zu und flüsterte: „Warum kommst du jetzt erst? Alle sind schon hier!“

      Hilda strahlte über ihr ganzes Gesicht und in ihren Augen spiegelte sich das Flackern des Feuers wider.

      Links von ihr saß Sölvi und rechts Falki. Die beiden schauten sich plötzlich an und wussten, dass einer von ihnen nun Platz für Alfger machen musste. Falki sah in Sölvis Gesicht, das plötzlich einen traurigen und bittenden Ausdruck annahm, und ganz leise flüsterte er zu Sölvi: „Ich mach schon Platz, bleib sitzen.“

      Falki ahnte, was in Sölvi vorging, wenn er in Hildas Nähe war, aber er wusste auch, dass Sölvi keine Chance hatte, weil es einfach Alfger gab.

      „Na, hast du endlich deinen Platz gefunden?“, kam Alviturs kräftige Stimme vom Feuer.

      Alviturs einziges Auge schaute streng zu dem jungen Mann herüber und Alfger beeilte sich ganz schnell, auf seinem Platz, unsichtbar zu werden, aber nicht ohne Hilda ein gewinnendes Lächeln zu schenken.

      Hildas Gesicht wurde ganz sanft und mit einem gehauchten: „Na endlich“, rutschte sie ganz dich an Alfger heran.

      Das, durch die kleine Störung hervorgerufene Getuschel verebbte und alle schauten wieder erwartungsvoll auf den Mann am Feuer.

      Alvitur verdeckte immer sein fehlendes Auge mit einem farbigen Band. Heute hatte er ein oranges Band gewählt, das einen schönen Kontrast zu seinem weißen Haar und seiner blauen Tunika darstellte. Trotz eines strengen Zuges, der sein edles Gesicht zeichnete, wusste jeder, dass Alvitur ein sehr gütiger Mann, mit feinsinnigem Humor war, der auch seine Freude daran hatte, wenn ihn die Kinder, hinter vorgehaltener Hand, mit Odin verglichen.

      Alvitur nahm einen Schluck von dem dampfenden Gebräu, das Fifilla ihm hingestellt hatte und machte ein genießerisches Gesicht.

      Was sich in dem Krug befand, wussten nur er und sie und es war ihr Geheimnis.

      Bedächtig stellte Alvitur den Becher wieder ab und schaute mit ernstem Blick in die Runde. Bei den Kindern verharrte er etwas und musterte die Kleinen mit seinem Auge, Kind für Kind.

      Die Erwachsenen lächelten in sich hinein und die Halbwüchsigen feixten, wenn sie das sahen. Alle wussten, das gehörte zu Alviturs Zeremonie des Erzählens.

      Hilda hatte diesmal das Gefühl, als ob Alviturs Auge länger auf ihr ruhte, als üblich. Wie gut, dass Alfger jetzt neben ihr saß und sie hatte auch nichts dagegen, dass er seinen Arm um sie gelegt hatte.

      Alvitur legte seinen Kopf etwas zurück und schloss sein Auge für einen Moment und Stille trat ein. Man meinte, die Mäuse zu hören, die hier auf flinken Füßen Krümel vom Boden sammelten. Das Feuer knisterte und sein flackerndes Licht tauchte alles in eine goldene Stimmung, in der selbst die Atemzüge der Leute zu hören waren. Unvermittelt fragte Alvitur in die Runde: „Sagt mal Leute, leben wir hier in Björkendal, in unserer Gemeinschaft, gut? Leben wir nach unseren Gesetzten, nach unseren Bräuchen, wie es schon seit langen Zeiten hier Sitte ist?“

      Zustimmendes Gemurmel setzte ein und ein paar Kinderstimmen riefen laut: „Ja!“

      Alviturs Stimme wurde eindringlicher: „Diejenigen unter euch, die mich schon lange kennen, wissen, dass ich viel von dieser Welt gesehen habe, so viel, dass es bestimmt für zwei Leben reichen würde. Wir feiern unsere Feste, wir opfern Odin und Freyja, wir machen alles so, wie es für unser Volk, seit langen Zeiten richtig war und trotzdem verändert sich die Welt.“ Alviturs machte eine kleine Pause und sein Blick wanderte wieder von einem zum anderen. Dann fuhr er fort: „Sie verändert sich so, wie wir es eigentlich nicht wollen und in einem Tempo, das mir manchmal Angst macht. Die unter euch, die gelegentlich auf Handelsreisen sind, wissen sehr gut, was ich meine. Unsere Götter scheinen gegen diesen

Скачать книгу